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»Von dieser Sorte gibt es nicht viele.«

»Unter den roten Wilden schon«, erwiderte ich. Ich dachte an Männer wie Cuwignaka, Canka und Hci.

Er hielt den Kopf in den Händen. »Das Expeditionsheer muß im Delta sein«, flüsterte er.

»Handelst du so, weil du das Kriegsgericht oder die Entehrung fürchtest?«

»Nein.«

»Warum dann?«

»Pflichtbewußtsein«, sagte er. »Kannst du, ein Spion, so etwas verstehen?«

»Ich habe davon gehört.«

Er stand auf und ging. Einige Augenblicke später war Plenius zur Stelle, um mich wieder zu knebeln und mir die Haube überzustreifen. »Wenn es nach mir ginge«, sagte er, »würde ich dich in helles Rot kleiden und dich mit einem Strick um den Hals an der Spitze marschieren lassen.«

Dann ging er.

Es war wieder sehr heiß, aber das war nicht der Grund, warum ich ein tiefes Unbehagen verspürte. Erneut verfolgte mich das Gefühl, als würde eine dunkle Wolke über dem Sumpf liegen, etwas Finsteres, Bedrohliches, beinahe schon eine körperliche Präsenz.

Es war ein seltsames Gefühl.

Plötzlich fiel mir auf, daß der Sumpf ungewöhnlich still war. Die Schreie der Vosk-Möwen waren verstummt.

10

»Bleib stehen, Zugochse!« rief Plenius.

Ich gehorchte dankbar.

Fassungslose Rufe und Wehklagen hallten über den Sumpf. Berichte von der linken Flanke waren eingetroffen. Es war unmöglich, sie nicht zu hören, denn sie verbreiteten sich in Windeseile unter den Männern. Tatsächlich erfuhren es die Soldaten schneller als ihr Hauptmann, denn sie waren die ersten, die den Boten begegneten, die schlechte Nachrichten überbrachten und deren Besatzungen nach Hilfe riefen, denn viele waren verwundet. Seltsamerweise waren die wenigsten von ihnen unterwegs auf Rencebauern gestoßen. Es war, als wären die geheimnisvollen Bewohner des Delta auf unerklärliche Weise plötzlich verschwunden.

»Ich kannte Camillus! Ich kannte ihn!« schluchzte ein Soldat.

»Flavius ist gefallen?« wollte ein anderer wissen.

»Ich sah ihn sterben«, sagte der Bote.

Die linke Flanke war vor zwei Tagen angegriffen worden, auf eine ziemlich ähnliche Weise wie zuvor die rechte. Bis zu dem Angriff hatten die Regimenter nur geringen Kontakt mit den Rencebauern gehabt. Es hatte sogar die Meinung bestanden, daß der unsichtbare Feind sich überhaupt nur an der rechten Seite des Heeres befand. Aber der Angriff auf die linke Flanke – im Süden – war viel verheerender gewesen, vielleicht weil man dort weniger aufmerksam gewesen war.

»Wehe Ar!« wimmerte einer der Soldaten.

Obwohl ich die Haube trug, glaubte ich zu wissen, wer den Schlüssel zu meinen Handschellen verwahrte. Ich hatte am Morgen den Austausch gehört.

»Wehe uns, wehe uns!«

»Vier Regimenter sind im Süden vernichtet worden!« rief jemand.

»Erzähl uns alles!«

Ich hörte, wie Männer in meine Richtung wateten. Einer hustete.

»Ich komme vom Vierzehnten«, sagte ein Mann. »Wir haben zusammen mit dem Neunten, dem Siebten und dem Elften versucht, aus dem Delta herauszukommen.«

»Desertion!« rief jemand.

»Die Cosianer warteten schon auf uns«, fuhr der Neuankömmling fort. »Es war ein Gemetzel, ein Abschlachten! Wir wurden aus der Luft mit Bolzen beschossen. Man warf Steine, um unsere Reihen auseinanderzutreiben. Wir wurden von Tharlarion überrannt. Man hetzte Kriegssleen auf uns. Wir hatten keine Chance. Wir konnten uns kaum bewegen. Wir standen zu eng beieinander, um unsere Waffen vernünftig zu schwingen. Hunderte starben im Sumpf. Viele, die es noch konnten, flüchteten zurück ins Delta!«

»Weh uns!« jammerte ein Soldat.

»Wir hatten nicht die geringste Chance. Sie haben den Kampf gewonnen!«

Die Erwähnung der Cosianer machte mir erst klar, daß hier gar nicht die Rede von dem Angriff auf die linke Flanke war, den die Rencebauern durchgeführt hatten, sondern vom Süden, wo die Regimenter einen Ausbruchsversuch unternommen hatten. Es war keine große Überraschung, daß die Cosianer auf sie gewartet hatte. Vermutlich hatten Tarnspäher seit Tagen jede ihrer Bewegungen an den cosischen Befehlshaber übermittelt, vielleicht sogar an Policrates höchstpersönlich, der angeblich einst ein Pirat gewesen war.

»Bestimmt habt ihr sie für ihren Sieg teuer bezahlen lassen«, sagte ein Soldat.

»Wir waren schwach, erschöpft«, erklärte der Überlebende. »Wir konnten kaum die Waffen heben.«

»Wie viele Gefangene habt ihr denn gemacht?«

»Ich weiß es nicht, sofern überhaupt Gefangene gemacht wurden.«

Die Cosianer hatten bestimmt Gefangene gemacht. Gefangene können sehr wertvoll sein, sei es für die Steinbrüche oder die Bänke der Galeeren. Ich fragte mich, ob die Cosianer genügend Ketten und Käfige für die Gefangenen dabei hatten, vorausgesetzt, sie wollten sie überhaupt mitnehmen. Ein sich ergebender Gefangener erhält oft den Befehl, sich nackt auszuziehen und mit ausgestreckten Armen und Beinen bäuchlings auf den Boden zu legen. Dann muß er abwarten, ob man ihn fesselt oder ihm die Kehle durchschneidet.

Der Mann fing wieder an zu husten. Dem Geräusch nach zu urteilen hatte er Blut in der Kehle.

»Verbindet seine Wunden neu«, sagte ein Unteroffizier.

Mittlerweile hatten die cosischen Soldaten vermutlich ein Siegesdenkmal auf dem Schlachtfeld errichtet. Für gewöhnlich fällt man ein paar Bäume, baut daraus ein Gerüst und hängt die erbeuteten Waffen daran auf. Manchmal stellt man auch Trophäenpfeiler auf.

»Da! Im Norden!« Die Stimme kam aus der Höhe, vermutlich von der Aussichtsplattform der Kommandobarke, die man mit schweren Brettern sozusagen gepanzert hatte, um den Ausguck wenigstens, einigermaßen zu schützen. Trotzdem wurden die Männer dort oft abgelöst, und soviel ich mitbekommen hatte, war dieser Posten trotz der vergleichsweise angenehmen Trockenheit und Kühle, die die Plattform bot, nicht besonders beliebt. Selbst mit dem Plankenschutz fühlte man sich nicht besonders beschützt, sondern sah sich als Ziel unsichtbarer Bogenschützen.

»Da ist die Fahne von Ar, dort über dem Rence!«

Jetzt sahen sie auch andere. Aufregung machte sich breit. »Das ist das Siebzehnte Regiment. Es kommt von der rechten Seite.«

»Verstärkung!«

»Sie sind durchgebrochen! Sie haben die Rencebauern besiegt!«

»Wir haben einen großen Sieg errungen!«

Das war natürlich eine Erklärung für den scheinbaren Rückzug der Rencebauern. Denn warum hätten sie sich sonst zurückgezogen, wenn sie nicht vor den Soldaten hätten fliehen müssen?

»Aber wo ist dann der Voraustrupp, wo sind die Späher?«

»Warum kommt die Fahne als erstes?«

»Da, sie schwankt!«

»Schnell, zu ihm!« rief ein Unteroffizier.

»Vorsicht, das könnte auch eine Falle der Rencebauern sein!«

Der Mann im Ausguck meldete sich wieder zu Wort. »Er kommt jetzt aus dem Rence heraus. Er ist allein, nein – wartet, da sind noch andere bei ihm, seht ihr?«

»Er ist verwundet!«

Männer wateten eilig durch das Wasser. Sie eilten bestimmt dem Fahnenträger entgegen. Ich versuchte, allein auf mein Gehör angewiesen, die Position des Schlüsselträgers im Kopf zu behalten. Aber dann verlor ich ihn.

Doch was machte das letztlich für einen Unterschied, fragte ich mich verbittert, war ich denn nicht ohnehin völlig hilflos? Die meisten Gefangenenwärter machen kein Geheimnis daraus, wer den Schlüssel für die Ketten hat; was für einen Unterschied kann das für den Gefangenen schon machen? Einige Wärter erzählen dem Gefangenen sogar absichtlich, wer den Schlüssel hat, so machen sie ihm schonungslos und nachdrücklich klar, in wessen Gewalt er sich befindet. Ich hätte genausogut eine schöne Sklavin sein können, dachte ich wütend, in einer Nische angekettet, die, wenn sie den Kopf ein Stück wendet, den Schlüssel in bequemer Reichweite für jeden Gast oder Kunden hängen sieht, für sie selbst jedoch einen Fingerbreit außer Reichweite.

Plötzlich erschallte ein großes Geschrei. Ich bemühte mich, durch die Haube alles zu hören.