Выбрать главу

Mein Vorstoß nahm nur ein paar Ehn in Anspruch. Dabei versuchte ich die ganze Zeit über sogar, die Schritte zu zählen, damit ich eine ungefähre Ahnung hatte, wie weit ich mich von dem Regiment entfernte. Ich wollte mich tief genug ins Schilf schlagen, um der erneuten Gefangennahme zu entgehen, aber nicht so weit, daß ich den Kontakt verlor. Vor Rencebauern brauchte ich während des Fliegenschwarms, der vermutlich in mehreren Wellen stattfand und mindestens ein paar Ahn, wenn nicht sogar einige Tage dauern würde, keine Angst zu haben.

Überall um mich herum fühlte ich Rence. Also hatte ich eine gewisse Deckung. Nichts sehen zu können machte mich rasend. Es war durchaus möglich, daß in diesem Augenblick ein Soldat belustigt meine Bemühungen beobachtete.

Etwas Weiches glitt an meinem Nacken vorbei. Es konnte durchaus eine Mokassinschlange sein. Ich hatte keine Lust, bei Einbruch der Dämmerung noch im Wasser zu sein.

Ich ballte die Hände, die mir mit Handschellen vor den Körper gebunden waren, zu Fäusten.

Dann machte ich mich daran, die Haube an dem Floß zu reiben, an einem scharfkantigen Vorsprung. Dabei bemühte ich mich, es in der Höhe des Knebels zu machen, möglichst mein Gesicht zu schützen. Fliegen umschwärmten die Haube und ließen sich darauf nieder. Ich rieb weiter, obwohl meine Wange brannte. Es war sehr schwer, einen beständigen Druck an derselben Stelle auszuüben, aber ich versuchte es, so gut es ging, und glich das Verrutschen der Haube aus. Ich konnte die Reibung fühlen. Ich versuchte, den unteren Haubenrand über den Vorsprung zu stülpen und die Haube herunterzureißen, aber auf diese Weise schnitt ich mir nur in den Hals. Also rieb ich weiter. Ein paar Ehn später konnte ich fühlen, wie sich die Rinde vom Holz löste. Jetzt rutschte das Leder über eine glatte, feuchte Oberfläche, was noch enttäuschender war.

Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, aber plötzlich spürte ich einen kühlen Hauch auf der Haut. Außerdem zeigte sich ein winziger Lichtschimmer im Inneren der Haube. Ich konnte die rechte Innenseite sehen! Und dann kroch eine Stechfliege durch die Öffnung herein und ließ sich auf meiner Wange nieder.

Ich verharrte reglos, und sie bewegte sich auf das Licht zu und verschwand wieder durch die Öffnung. Sofort nahm ich meine Bemühungen wieder auf, verstärkte sie, rieb die Haube gegen das Holz – und dann riß das Leder.

Die Haube wies an der rechten Seite eine große Öffnung auf. Im ersten Augenblick war das Licht grell und blendend. Ich konnte die Öffnung sehen, und behutsam stülpte ich ihren zerfetzten Saum über das Holz und senkte den Kopf. Das Floß senkte sich, und die Sklavenhaube wurde zur Hälfte abgerissen. Fast im gleichen Augenblick sah ich, wie ein kleines, von Stechfliegen bedecktes Tharlarion, das kaum größer als einen halben Meter war, von dem Floß ins Wasser sprang. Die Stämme waren mit einer dicken Schicht Fliegen überzogen. Andere schwärmten dicht darüber.

Schnell erkundete ich meine Umgebung.

Überall ragten Rencehalme in die Höhe. Von den Soldaten fehlte jede Spur. Auf der einen Seite gab es eine kleine Sandbank. Drei ausgewachsene Tharlarion lagen dort und beäugten mich. Sie waren mit Stechfliegen übersät, aber es schien sie weder zu stören noch ihnen irgendwelches Unbehagen zu bereiten. Sie betrachteten mich durch die dritten, transparenten Augenlider hindurch. Ich schob das Floß tiefer in das Rencefeld, von ihnen fort. Wären sie auf mich zugekommen, hätte ich versucht, mich auf das Floß zu retten. Tharlarion können außerordentlich gefährlich sein, aber der Mensch ist nicht ihre bevorzugte Beute. Außerdem sind sie daran gewöhnt, ihre Beute im oder in der Nähe zum Wasser zu töten, daher ist es unwahrscheinlich, daß sie auf Flöße klettern. Manchmal paddeln die Rencebauern in ihren leichten Gefährten mitten durch sie hindurch. Sie klettern auch nicht auf die Renceinseln. Und sollte dies doch einmal vorkommen, können Kinder sie mit Stöcken vertreiben. Etwas anderes ist es jedoch, wenn eine der Echsen einmal Menschenfleisch gefressen hat; nähert sie sich einem Renceboot oder will sie auf eine Renceinsel steigen, droht höchste Gefahr. Für gewöhnlich erlegen die Bauern ein solches Tier, da es eine Bedrohung darstellt.

Ich tauchte immer wieder unter, um meinen Kopf und die Reste der Sklavenhaube von den Fliegen zu befreien. Tief innerhalb der Schilfansammlung befanden sich spürbar weniger Fliegen.

Dann kam der Knebel an die Reihe. Ich zwang das Halteband über den Vorsprung und zerrte, so hart ich konnte, wobei ich das Floß mehr als nur einmal zur Hälfte untertauchte. Es gelang mir, das Band einen Viertelhort zu lockern. Dann drückte ich mit einiger Zungenarbeit das Tuch aus dem Mund. Ich warf den Kopf in den Nacken und atmete tief ein; jetzt lag nur noch das Halteband über meinen Zähnen. Ich konnte froh sein, daß sie keinen Eisen- und Lederknebel benutzt hatten. Ein solcher Knebel besteht aus zusammengenähten Lederstücken, die von einem Eisenband an Ort und Stelle gehalten werden; dieses wird im Nacken verschlossen und verhindert jede Manipulation. Es sind auch Modelle in Gebrauch, bei denen der eingeführte Knebel aus einer lederüberzogenen Eisenkugel besteht, in die ein Eisenreifen hineinmontiert wurde. Eine Mechanik aus gezahnten Sperrstangenund Haken erlaubt, daß man ihn an die jeweils benötigte Größe anpassen kann. Es gibt zwei Größen, für Männer und für Frauen. Der Vorteil dieser Art von Knebel liegt darin, daß der Gefangene ihn selbst mit freien Händen nicht entfernen kann. Wie man sich sicher denken kann, werden die kleineren Schloßknebel weitaus häufiger benutzt, und dann so gut wie nie bei Männern, sondern bei Sklavinnen. So kann ihr Herr über ihre Hände verfügen, sie arbeiten oder ihn erfreuen lassen, muß sie aber nicht sprechen hören, wenn er nicht will.

Mit einigen Schwierigkeiten kletterte ich auf das Floß und zerrte mit meinen aneinandergeketteten und an der Taille festgebundenen Händen das Geschirr ebenfalls hinauf.

Der Stich einer Fliege hätte mich beinahe aufschreien lassen.

Da ich die Hände vor dem Körper hatte, gelang es mir, das Geschirr von dem Floß zu lösen. Gefesselt wie ich war konnte ich mich selbst jedoch nicht davon befreien. Aber wenigstens konnte ich jetzt das Floß verlassen. Ich war nicht länger daran gefesselt, ich war kein Zugochse für Ar mehr. Trotz der Handschellen verfügte ich wieder über eine gewisse Beweglichkeit. Ich kniete auf dem Floß und fühlte mich großartig.

Ich blickte mich um. Um mich herum gab es nichts anderes als Rence. Ich zerrte an dem Riemen um meinem Leib, der die Handschellen hielt. Ich war noch immer nackt und ziemlich hilflos. Auch ein zweiter Versuch erwies sich als fruchtlos: ich konnte den Riemen nicht zerreißen. Er war sehr stabil. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, es mit den Eisenmanschetten zu versuchen, aber dabei würde der Riemen schmerzhaft in meinen Rücken schneiden. Ich wollte keine offenen Wunden dem Sumpfwasser aussetzen, wenn es sich vermeiden ließ. Bei vielen der Soldaten hatten sich die Wunden entzündet, selbst wenn es sich nur um geringfügige Verletzungen wie Schnitte von den Rencehalmen handelte. Diese Entzündungen hatten die Strapazen und Härten des Deltas nur noch verstärkt. Ich kroch zur Seite des Floßes und schob den Riemen über einen der unregelmäßigen Holzvorsprünge. Dann griff ich mit beiden Händen zu und bewegte ihn mit wohldosierten kleinen Bewegungen vor und zurück. Wenige Ehn später ging er entzwei, und ich streckte die Arme aus. Ein großartiges Gefühl.

Ich riß die Handgelenke auseinander. Die kurze Kette dazwischen stoppte sie fast sofort. Meine Bewegungsfreiheit war auf wenige Zentimeter beschränkt. Die mittlerweile angerosteten Kettenglieder erfüllten noch immer ihren Zweck. Trotzdem hätte ich jubeln können. Auch ein auf diese Weise gefesselter Mann kann gefährlich sein.