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»Stellst du dich auf seine Seite?« fragte ein Soldat.

»Was hättet ihr gedacht, wenn ihr im Rence leben würdet?« stellte ich eine Gegenfrage.

»Wir wußten, daß ihr der Feind seid«, verkündete Ho-Tenrik. »Schon lange bevor ihr in unser Land eingedrungen seid.«

»Wieso denn das?« fragte ich.

»Unsere Freunde, die Cosianer, haben uns gewarnt.«

»Und ihr habt ihnen geglaubt?«

»Euer Verhalten hat ihre Worte bestätigt.«

»Nein!« sagte Plenius.

»Aber den Bauern muß das so vorgekommen sein«, sagte ich.

Die Männer warfen sich wütende Blicke zu. »Tötet ihn!« stieß einer hervor.

»Ich habe keine Angst vor dem Tod«, behauptete Ho-Tenrik. Aber seine Unterlippe zitterte ein wenig.

Ein Soldat hielt ihm das Messer unter das Kinn. »Du machst Jagd auf Männer aus Ar, das stimmt doch?« fragte er.

»Ja«, erwiderte Ho-tenrik und hob das Kinn ein Stück, damit die Klinge nicht in die Haut schneiden konnte.

»Aber du bist jetzt in unserer Gewalt, gefesselt«, fuhr der Mann fort. »Es sieht also so aus, als wäre der Jäger gejagt worden.«

»Und in die Falle gegangen«, fügte Plenius hinzu.

»Aber nicht dir«, erwiderte Ho-Tenrik. Eine Anspannung ergriff Plenius, seine Hand tastete nach dem Schwert.

»Aber das wäre durchaus möglich gewesen«, sagte ich.

Der Junge blickte mich an. »Vielleicht.«

Dieses Zugeständnis war meiner Meinung nach nicht nur gerechtfertigt, sondern schien auch eine der ersten überlegten Antworten des Jungen zu sein.

»Es sind sicher noch andere in der Nähe«, vermutete Plenius.

»Wir sollten den da ausziehen und gefesselt und geknebelt als Lockmittel für die anderen benutzen«, schlug der Mann mit dem Messer vor.

»Dann können wir sie alle töten.«

»Dazu haben wir keine Zeit«, warf ein anderer Soldat ein. »Laßt uns ihn in Stücke hacken und seine Einzelteile als Warnung an die Äste eines Baumes hängen.«

Ho-Tenrik wurde erklärlicherweise ziemlich blaß, als er diese bedrohlichen Vorschläge hörte. Ich war froh, nicht in seiner Haut zu stecken.

»Hauptmann?« fragte Plenius.

»Ich denke nach«, sagte Labienus. »Ich muß nachdenken.«

»Überprüfe die Vorposten«, bat ich einen Mann. »Seht nach, ob noch andere in der Nähe sind.«

Er verließ die Gruppe.

»Sieh dir den Himmel an, Junge«, riet einer der älteren Soldaten dem Jungen. Jetzt am Spätnachmittag war er in der Tat sehr schön. Der junge Bauer schluckte schwer.

Der Mann, den ich ausgesandt hatte, kehrte wenige Ehn später zurück. »Es gibt keinerlei Anzeichen, daß noch mehr von ihnen in der Nähe sind«, meldete er.

»Zu schade«, bedauerte einer der Umstehenden. »Es wäre schön, mehr von diesen Kerlen umbringen zu können.«

»Junge, schlag dir jeden Gedanken an Rettung aus dem Kopf«, sagte der Soldat, der ihm eben noch geraten hatte, sich noch einmal an der Schönheit des Himmels zu erfreuen.

»Ich habe nachgedacht«, verkündete da Labienus.

Wir wandten uns ihm zu.

Er stellte sich wieder mit dem Gesicht zu dem Baum, neben dem er stand. Er streckte die Hände aus und berührte ihn. Dabei schien er völlig entspannt zu sein. Seine Reglosigkeit verblüffte uns. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, verzerrte sich sein Gesicht vor Wut, er stieß einen tierhaften Schrei aus und hieb auf den Baum ein, grub tiefe Furchen in das Holz, riß die Rinde ab und schleuderte sie in alle Himmelsrichtungen. Einen Augenblick lang wirkte er wie ein tollwütiger Sleen.

»Aii!« rief der Junge.

Und wir, denen Labienus’ Kraft und seine seltsamen Übungen nicht unbekannt waren, reagierten in ähnlicher Weise. Ich war entsetzt, und ich glaube, ich kann auch für die anderen sprechen, wenn ich behaupte, daß sie ebenfalls entsetzt waren. Denn selbst wir, die sich die ganze letzte Zeit in Labienus’ Nähe aufgehalten hatten, hatten nicht begriffen, wozu er nun fähig war. Die Wirkung auf den unschuldigen jungen Burschen, der ja nichts anderes als ein gefangengenommener Fremder war, war deutlich sichtbar. Er war erschüttert und totenbleich. So wie wir auch.

Dann drehte sich Labienus wieder seltsam ruhig um, wobei er uns jene zerstörten, hakenähnlichen grauen Hände, an denen hier und da noch Holz klebte, wie eiserne Klauen entgegenstreckte, und wandte uns die erblindeten weißen Augen zu.

»Hauptmann?« fragte Plenius.

»Ich halte ein Messer in der Hand, Hauptmann«, sagte der eine Soldat. »Soll ich den Gefangenen entkleiden?« Gefangene werden auf Gor oft nackt ausgezogen. Dafür gibt es mehrere Gründe. So unterscheiden sie sich von der Masse und werden mühelos als Sklaven oder Gefangene erkannt; man hilft ihnen zu verstehen, daß sie sich nun in der Gewalt von anderen befinden, davon abgesehen erschwert man ihnen das Verbergen von Waffen. Wie so oft im Leben muß man alles im Zusammenhang sehen. So arbeiten einige goreanische Handwerker ebenfalls nackt oder so gut wie unbekleidet. Auch in der Sporthalle, auf dem Sportplatz und in den Bädern ist Nacktheit nichts Besonders.

»Nein«, sagte Labienus. »Laßt ihn angezogen.«

»Ich danke dir, Hauptmann«, sagte Ho-Tenrik respektvoll und dankbar. Ich nehme an, daß er das nicht nur wegen seiner Person zu schätzen wußte, sondern auch wegen gewisser heikler Ehrvorstellungen, die mit seiner Familie und deren Bedeutung im Sumpf zu tun hatten.

Labienus sah den Jungen mit seinen furchteinflößenden, schrecklichen blinden Augen an.

»Hauptmann?«, fragte Ho-Tenrik.

Labienus sagte kein Wort.

»Ich bin dein Gefangener, Hauptmann«, sagte der Junge unsicher.

»Wir machen keine Gefangenen«, erklärte Labienus.

»Ah!« rief der Soldat und hob das Messer.

Ina stieß einen leisen Ruf des Entsetzens aus.

Ho-Tenrik erbleichte.

»Nehmt ihm die Fesseln ab«, befahl Labienus.

»Hauptmann?« fragte der Soldat unsicher.

»Ihr sollt ihn losmachen.«

Der Soldat durchschnitt die Fesseln.

»Wir machen keine Gefangenen«, wiederholte Labienus an den Jungen gewandt. »Du kannst gehen.«

»Ich verstehe nicht«, sagte Ho-Tenrik. Er rieb sich die Handgelenke. Ich hatte ihm den Riemen fast so eng wie einer Sklavin gezurrt.

»Im Namen von Gnieus Lelius, dem Regenten von Ar, und dem Hohen Rat von Ar«, sagte Labienus, »drücke ich als ihr De-facto-Bevollmächtigter im Delta ihr Bedauern über die Mißverständnisse zwischen unseren Völkern aus, insbesondere darüber, daß diese in einem heimtückischen und brutalen Angriff auf ein unschuldiges Dorf ihren Ausdruck fanden. Man kann einen solchen Zwischenfall kaum mit Worten entschuldigen, aber wenn Blut mit Blut vergolten werden kann, dann halte ich, was diese Angelegenheit betrifft, die Schuldlast für ausgeglichen.«

Ho-Tenrik war sprachlos. Auch ich war über diese staatsmännische Handlung völlig überrascht. Zwar hatte ich gehofft, daß etwas in dieser Richtung geschähe, aber ich hätte nie zu glauben gewagt, daß es etwas für Ar so Demütigendes wäre und das gleichzeitig soviel Großmut zeigte.

»Die Männer aus Cos mögen eure Freunde sein oder auch nicht«, fuhr der Hauptmann fort. »Das kann ich nicht beurteilen. Was das angeht, müßt ihr euer eigenes Urteil fällen. Eines jedoch weiß ich genau: Die Bürger Ars sind nicht eure Feinde.«

Labienus streckte die Hand aus, und Plenius ergriff sie und führte ihn fort.

»Du kannst gehen«, sagte ich zu Ho-Tenrik.

»Er wird uns nur die anderen auf den Hals hetzen«, knurrte der Soldat mit dem Messer.

»Bis dahin sind wir verschwunden«, beschwichtigte ich ihn.

»Du hörst dich nicht an wie jemand, der aus Ar kommt«, sagte der Junge.

»Ich stamme aus Port Kar.«

»Das Rence hat keinen Streit mit Port Kar«, wandte Ho-Tenrik ein.

»Genausowenig wie Port Kar mit dem Rence«, erwiderte ich.

»Wieso bist du bei ihnen?«

»Ich wollte ihnen helfen«, erklärte ich. »Schließlich befinden sie sich mit Cos im Kriegszustand, genau wie Port Kar – wenn nicht sogar wie das Rence.«