Einer unserer Männer gab ein wütendes Knurren von sich. Dabei sind solche Praktiken weit verbreitet.
»Mit Peitschenhieben trieben sie uns nordwärts, als wären wir Frauen, und brachten uns zu einem Sammellager. Dort wurden wir an mindestens zweihundertfünfzig andere arme Schlucker angekettet, die man ebenfalls im Sumpf gefangen genommen hatte.«
»Und was war mit dem Mann, den ihr einen Cosianer nennt?« fragte ich.
»Obwohl sie ihn gefesselt in unserem Lager vorfanden, erlitt er ein ähnliches Schicksal«, sagte Claudius. »Unsere Fänger machten zwischen uns keine großen Unterschiede. Vielleicht haben sie ihn zuerst auch für einen von uns gehalten, der einfach nur bestraft wurde. Seinem Akzent nach kam er nicht aus Cos.«
»Aber ihr seid jetzt hier«, sagte Plenius.
»Dafür habe ich keine Erklärung«, erwiderte Claudius.
»Was ist geschehen?«
»Vor ein paar Tagen ließ man uns alle frei. Man gab uns unsere Uniformen zurück; die Waffen behielt man sie aber. Zum ersten Mal nahmen unsere Gefangenenwärter die Behauptung ernst, der bei uns gefundene Cosianer sei ein Cosianer. Auf unsere Bitte hin fanden sie eine cosische Uniform für ihn; vermutlich war sie ein diplomatisches Geschenk, oder sie wurde von cosischen Patrouillen benutzt. Er weigerte sich, aber wir bestanden darauf, daß er sie anzog. Wir wollten ihm auf keinen Fall gestatten, die Uniform des glorreichen Ar zu tragen. Wir würden sie ihm so bald wie möglich vom Leib reißen. Die Rencebauern, denen unsere Abneigung ihm gegenüber nicht entging, erlaubten ihm, die Gegend vor uns zu verlassen, damit er Zeit hatte, sich zu den cosischen Linien durchzuschlagen. Ein paar von uns, in deren Gewahrsam er sich zuvor befand, waren entschlossen, ihm zu folgen und wieder einzufangen. Wir haben ihn seit Tagen in südöstliche Richtung verfolgt und sind erst heute morgen auf ihn gestoßen. Und wir hätten ihn auch eingefangen, wärt ihr nicht dazwischengegangen.«
»Er ist kein Cosianer«, wiederholte ich.
Claudius zuckte mit den Schultern.
»Wißt ihr, warum man euch freiließ?« fragte ich.
»Nein«, erwiderte er. »Wir wissen nur, daß es auf den Befehl eines Burschen namens Tamrun geschah.«
Plenius und ich tauschten einen erfreuten Blick aus, genau wie die anderen Männer unserer Gruppe.
»Ist das von Bedeutung?«
»Allerdings«, sagte ich. »Aber das erklären wir euch später. Jetzt ist nur wichtig, daß die Soldaten, die sich noch im Delta aufhalten, vor den Rencebauern sicher sind. Das heißt, daß sie nicht gefährdeter als sonst auch sind, wenn sie Warnsignale mißachten und dergleichen.«
»Aber nicht sicher vor den Cosianern«, sagte Plenius.
»Mit Sicherheit nicht.«
»Oder vor den Leuten, die im Sold von Cos stehen«, meinte Titus.
»Das ist wahr«, bestätigte ich.
»Seht nur!« rief einer der Soldaten. Einige Meter von uns entfernt stand ein Mann in der Uniform von Cos. Er hatte zweifellos bald erkannt, daß die Verfolger zurückgeblieben waren. Statt die Flucht fortzusetzen, hatte er die Lage erkundet. Unsere kleine Gruppe mußte ihm sehr merkwürdig vorgekommen sein.
Ich winkte ihm zu. »He, Marcus, komm zu uns!«
»Jeder, der ihm etwas antun will, wird in Stücke gehackt«, warnte Plenius.
Die Neuankömmlinge blickten einander an.
»Ist das klar?«
»Ja«, sagte Claudius.
Marcus kam heran, seine Schritte waren langsam. »Tarl«, sagte er. »Bist du es?«
»Ja«, erwiderte ich. »Und du bist schlecht gelaufen. Wir werden dir was zu essen geben, danach kannst du dich ausruhen. Dann wartet Arbeit auf uns.«
»Arbeit?«
»Ja«, sagte ich. »Wir müssen die nötigen Vorbereitungen treffen, um das Delta zu verlassen.«
18
Marcus und ich schlichen ganz langsam und mit geschwärzten Gesichtern durch das Gras und näherten uns aus verschiedenen Richtungen der gegnerischen Stellung. In der Nacht zuvor hatten wir das Gebiet erforscht. Es gab fünf Posten und eine Hütte, die ein paar hundert Meter weiter hinten stand; dort bewahrten die Kopfgeldjäger ihre schrecklichen Trophäen auf. Vor zwei Nächten hatten wir den Rand des Sumpfes erkundet. Mitten im Rence am Deltarand trieben zwei Leichen im Wasser; sie waren zur Hälfte verwest und angefressen, vermutlich von kleinen Fischen und Tharlarion. Anscheinend brachten die Kopfgeldjäger ihre Opfer in den Sumpf, nachdem sie die Köpfe entfernt hatten, die sie brauchten, um ihr Kopfgeld zu erhalten. Eine der Leichen war ein Cosianer gewesen. Kopfgeldjäger sind manchmal nicht besonders wählerisch, welche Köpfe sie sammeln, und ihre Auftraggeber können natürlich nicht feststellen, ob es der Kopf eines Arers, eines Cosianers oder etwa eines Rencebauern ist.
In der Dunkelheit sind alle Sinne angespannt, so ist es schwierig, nicht schon auf das geringste Geräusch zu reagieren.
Marcus mußte mittlerweile seine Stellung bezogen haben. Ich war jedenfalls an Ort und Stelle, keinen Meter von dem Mann entfernt. Die Umrisse seines Kopfes hoben sich von der Dunkelheit ab.
Ein Laut ertönte, fast unhörbar, ein winziges klickendes Geräusch, nicht unähnlich den schnalzenden Lauten einiger Sprachen, die östlich von Schendi gesprochen werden. Marcus hatte es verursacht. Sofort wandte sich der Mann der Quelle des Geräuschs zu. Ich näherte mich von der anderen Seite und schnitt ihm die Kehle durch.
Marcus gesellte sich zu mir.
»Das dürfte der letzte gewesen sein«, flüsterte ich, »von dem Kerl – oder den Kerlen – in der Hütte abgesehen.«
»Hier ist sein Sack«, erwiderte Marcus und hob einen Gegenstand hoch.
Ich sagte: »Ich habe eine Idee.«
Ich gab mir nicht die geringste Mühe, mein Näherkommen zu verbergen. Ich ging geradewegs auf die Hütte zu. Ein paar Schritte hinter mir kam Marcus. Wir trugen beide Kleidung, die wir den Kopfgeldjägern ausgezogen hatten. Sie brauchten sie nicht länger. Ich hatte mir den Umhang übergeworfen. Der Sack ruhte auf meiner Schulter.
Ich stieß die Tür auf.
In ihrem Innern hielt sich nur ein Mann auf, und der hockte am anderen Ende vor einem kleinen Feuer im Kamin und rührte in einem Topf. Der Geruch des einfachen Eintopfs brachte mich beinahe um den Verstand. Es war lange her, daß ich etwas Gekochtes gegessen hatte. Ich glaubte nicht, daß er etwas dagegen hätte, wenn ich mit ihm den ›Kessel teilte‹, wie es auf Gor heißt. Er drehte sich bei unserem Eintreten nicht einmal um.
»Glück gehabt?« fragte er.
Ich warf den Sack neben ihm zu Boden.
»Der ist aber schwer«, sagte er aufgeregt. »Wie viele?« Er drehte sich um. Ich stand neben ihm, die tief ins Gesicht gezogene Kapuze verbarg meine Züge. Ich hielt die Hand hoch.
»Fünf«, sagte der Kopfgeldjäger. »Ausgezeichnet! Gute Arbeit für eine Nacht.«
Der Meinung war ich auch.
Er öffnete gierig den Sack. »Hoffentlich sind es alles Arer«, sagte er. »Anesidemus wird allmählich mißtrauisch.«
Er leerte den Sackinhalt auf den Steinboden neben dem Kamin. Ich glaube nicht, daß er dabei hörte, wie ich das Schwert zog.
Er hielt einen der Köpfe an den Haaren hoch. »Barsis!« rief er aus. Entsetzt betrachtete er die anderen Köpfe, die er zweifellos erkannte. Dann drehte er sich zu mir um, im nächsten Augenblick war er tot.
»Komm herein«, sagte ich zu Marcus.
Mein junger Freund betrat die Hütte.
»Wir haben hier noch eine Leiche für den Sumpf«, sagte ich. »Soweit ich es beurteilen kann, sind es nicht einmal Söldner, sondern irgendwelche Straßenräuber.«
»Anscheinend waren sie recht erfolgreich in ihrer Arbeit«, sagte Marcus, nachdem er sich umgesehen hatte.
»Wir werden alles im Sumpf versenken«, sagte ich. »Sollten irgendwelche Cosianer vorbeikommen, werden sie keinen Hinweis auf das Schicksal finden, das wir für diese Kerle angebracht hielten. Da sie von solchen Typen weder Disziplin noch Verläßlichkeit erwarten, gehen sie vermutlich von der Annahme aus, daß sie entweder einfach weitergezogen sind oder sich ihren Lohn abholen wollten.«