»Mehr willst du mir nicht erzählen?«
»Im Augenblick ist das alles«, sagte ich. »Die Hände auf den Rücken!«
Ina gehorchte, und ich ließ die Handschellen zuschnappen. Dann zog ich zweimal prüfend an der Leine.
»Wohin gehst du?«
»Nach Brundisium«, erklärte ich. »Mit etwas Glück sollte ich morgen früh zurück sein.«
»Soll ich dich begleiten?«
»Ich glaube, es ist besser, ich gehe allein.«
»Wie du wünschst.«
Ich zog noch einmal an der Leine, diesmal um Ina darauf hinzuweisen, daß sie gleich geführt werden würde und in welche Richtung es losging.
Marcus ließ nicht locker. »Warum gehst du nach Brundisium?«
»Da gibt es drei Gründe.«
»Hättest du die Güte und würdest mir wenigstens einen davon nennen?«
»Aber sicher«, sagte ich. »Ich vergesse nur selten eine Sklavin.«
»Und morgen wirst du das Geschäft mit deinem Freund zu Ende bringen?«
»Ich glaube schon.«
»Und dann willst du nach Torcodino aufbrechen.«
»Das wird nicht länger nötig sein.«
Marcus runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht.«
»Dietrich von Tarnburg hält sich nicht mehr in Torcodino auf.«
»Wo ist er dann?«
»In Brundisium.«
Er starrte mich ungläubig an. »Wie kommst du denn darauf?«
»Ich habe ein ausgezeichnetes Gedächtnis, für Sklavinnen«, erwiderte ich.
21
Ich klopfte leise an die Hintertür der Paga-Taverne. Eine Klappe wurde aufgeschoben. »Laß mich herein.«
»Geh zum Vordereingang«, erwiderte eine Stimme.
»Ich will aber hier eintreten.«
»Wie du willst.«
Ich warf einen Blick über die Schulter, zurück in die Gasse. Die Schatten, die uns seit dem Verlassen des Lagers begleitet hatten, Dunkelheit inmitten der Dunkelheit, huschten in Deckung. Bereits während des ganzen letzten Tages hatte ich ein paar Burschen im Lager herumlungern sehen; das war einer der Gründe, warum ich mich dazu entschieden hatte, der Stadt einen Besuch abzustatten, und zwar ohne Marcus. Ich wollte ihn nicht in Schwierigkeiten verwickeln, die nichts mit ihm zu tun hatten.
Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, und ich schob die barfüßige, gefesselte und mit einer Haube versehene Ina hinein; die Leine baumelte von dem angeschnallten Lederhalsband herunter. Ich folgte ihr. Der Mann schloß die Tür und schob die Riegel vor.
Wir standen in einem schlecht beleuchteten kleinen Korridor. Die Taverne hieß Die Juwelenverzierte Peitsche und war nur eine von mehreren Tavernen in der Dockstraße.
»Oberschenkel«, befahl der Mann, der uns eingelassen hatte, mit einem Blick auf Ina. Er wollte sich vergewissern, daß sie eine Sklavin war.
»Sie ist eine freie Frau«, sagte ich.
»Die wollen wir hier nicht haben.«
»Wo bin ich?« fragte Ina.
»Es ist gegen das Gesetz«, beharrte der Kerl. »Wir können nicht noch mehr Schwierigkeiten mit den Behörden gebrauchen. Davon abgesehen machen solche wie die hier die Mädchen unruhig.«
»Du sollst sie nur für mich verwahren.« Er sah mich an. Ich hielt einen Kupfertarsk in die Höhe. In dieser Taverne kosteten die Mädchen ein Tarskstück; in dem Preis waren Essen und Paga eingeschlossen.
Er nahm die Münze.
Dann packte er Ina am Oberarm und führte sie in einen abzweigenden Gang. Ich hielt mich an den Hauptkorridor, stieß eine Tür auf und betrat den Paga-Raum.
Zwischen Körpern blitzten die Glieder einer nackten Sklavin auf, die sich in einem Netz auf der Tanzfläche wand. Vier andere Sklavinnen waren als Sklavenjäger verkleidet, aber die Kostüme waren auf eine Weise geschnitten, daß weder ihr Geschlecht noch ihre Reize verborgen blieben. Sie hielten leichte Stäbe, sprangen um die Gefangene herum und verhinderten ihre Flucht; in ihrem Triumph taten sie so, als würden sie sie quälen. Das Umgehen mit dem Stab war gekonnt, die nachgeahmten Waffen bewegten sich im Gleichklang, wirbelten umher, wechselten die Besitzer und trafen zusammen auf dem Boden auf. Es war eine Version des Tanzes der im Netz gefangenen Sklavin. Netze sind ein weit verbreitetes Handwerkszeug der Sklavenjäger. Sie finden meistens in ländlichen Gebieten ihren Einsatz, bei Überfällen auf kleine Dörfer.
Ich setzte mich abseits der Tanzfläche in die Nähe der Musikanten, mit dem Rücken zur Wand.
»Paga, Herr?« fragte ein Mädchen und kniete neben dem niedrigen Tisch nieder, hinter dem ich mit untergeschlagenen Beinen saß.
Ich betrachtete sie. Sie war hübsch zurechtgemacht, mit Lippenstift und Lidschatten. Auf der Stirn trug sie an einer winzigen Goldkette eine Perle in einer tropfenförmigen Fassung. Sie war bekleidet mit gelber Sklavenseide. Um ihren linken Arm wand sich ein schlangenförmiges Schmuckstück, die Handgelenke waren voller Armreifen. Am linken Knöchel baumelte ein Glöckchen.
»Ja«, sagte ich. Ich hatte vor, an dem Paga nur zu nippen.
Sie erhob sich mit gesenktem Kopf, drehte sich mit bimmelnden Glöckchen und wehender Sklavenseide um und eilte zur Theke.
Ich musterte die Gäste. Es war kein bekanntes Gesicht aus dem Lager oder seiner Nähe darunter. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, daß sie draußen in der Gasse ihren Zug machten. Sie hatten es nicht getan.
Der Tanz näherte sich seinem Ende. Die Sklavin, die mit dem Netz gefangen und mittlerweile gefesselt worden war, wurde von den Jägerinnen ihrem Auftraggeber vorgeführt. Die Gefangene kniete auf der Mitte der Tanzfläche, die Jäger triumphierten. Die Musik steigerte sich noch einmal und brach dann ab; die Gefangene senkte demütig den Kopf. Es gab reichlich goreanischen Applaus (die rechte Handfläche klopft dabei auf die linke Schulter). Plötzlich knallte eine Sklavenpeitsche, und die Jägerinnen zogen sich schnell aus, warfen die Stäbe beiseite und knieten neben der Gefangenen nieder. Einer der Bediensteten der Taverne hob das Netz auf und warf es über die Gruppe. Jetzt waren auch die Jägerinnen wieder Sklavinnen. Eine andere Melodie ertönte, alle standen auf und huschten mit den hübschen Trippelschritten eilender Sklavinnen im Netz von der Tanzfläche. Weiterer Applaus ertönte.
Das Mädchen kehrte mit dem Paga zurück. Sie küßte den Pokal und reichte ihn mir mit ausgestreckten Armen und gesenktem Kopf. »Paga, Herr?«
Ich nahm den Pokal und stellte ihn auf dem Tisch ab.
»Sipa, Herr?« Sie war natürlich im Preis des Pagas Inbegriffen.
»Du darfst gehen.«
»Ja, Herr.«
Die meisten Männer besuchen eine Taverne, um etwas zu trinken, Neuigkeiten zu hören und Freunde zu treffen. Einige wollen Kaissa spielen. Sollte einer an einem bestimmten Mädchen Gefallen finden, ist es natürlich möglich, es an den Tisch zu befehlen.
Ich blickte mich wieder im Schankraum um. Obwohl es sich bei den meisten Gästen zweifellos um Bürger Brundisiums handelte, sah man auch viele andere Männer: Ruderer von den Galeeren im Hafen, Soldaten aus dem Heerlager und Söldner.
In dem Schankraum gab es mehrere Türen, die vermutlich in private Eßräume führten. Eine dieser Türen öffnete sich, und eine sinnliche dunkelhaarige Sklavin trat heraus. Sie eilte zur Theke, um Paga zu holen, trug ihn vorsichtig zurück und schloß die Tür hinter sich.
Das letzte Mal hatte ich diese Schönheit früher an diesem Abend gesehen, auf dem Rückweg von Ephialtes’ Wagen. Nackt, die Hände auf dem Rücken gefesselt, am Hals angekettet, war sie neben dem Steigbügel ihres Herrn hergelaufen.
Aber natürlich hatte ich sie schon einmal zuvor gesehen, hilflos in Ketten neben dem Tisch ihres Herrn. Damals war sie nicht einmal eine legale Sklavin gewesen; zu ihrer Verzweiflung hatte ihr Herr ihr dies verweigert. Jetzt war sie eine richtige Sklavin, vor dem Gesetz anerkannt, stolz und sich ihrer selbst bewußt. Einst war ihr Name Lady Cara aus Venna gewesen. Sie war dabei belauscht worden, wie sie abfällige Bemerkungen über eine bestimmte Stadt gemacht hatte. Das war einem Söldnerhauptmann aus der besagten Stadt zu Ohren gekommen, der dafür gesorgt hatte, daß man sie ihm nackt und in Ketten zu Füßen legte. Sie hatte bald gelernt, was es bedeutete, in der Gewalt eines solchen Mannes zu sein. Ich hatte selbst gehört, wie sie ihn um den Kragen anflehte. Ihr jetziger Name war mir unbekannt.