»Ich kann das Geld morgen bringen.«
Ich stand von dem kleinen Feuer auf. »Ich zeige sie dir.«
Ina saß ein Stück abseits. Der Fremde begleitete mich.
»Soll ich dir eine Lampe holen?«
Er schüttelte den Kopf, dann ging er wortlos neben ihr in die Hocke.
»Ein ganz normales Kajira-Brandzeichen«, sagte er.
»Natürlich.«
Diese Feststellung fiel ihm nicht schwer, denn bis auf die Haube war sie nackt. Ich hatte die nötigen Formalitäten am Nachmittag erledigt. Ina war nun eine gesetzmäßige Sklavin.
»Wie nennst du sie?«
»Ina.«
»Bitte entfern die Haube«, bat er mich.
Ich löste die Schnallen und zog sie herunter. Ina blinzelte, dann starrte sie den Fremden mit weit aufgerissenen Augen an. »Octantius!« rief sie entsetzt.
»Sie scheint dich zu kennen«, sagte ich.
»Ich bin Octantius aus Ar«, sagte er. »Ich war im Delta Erster Offizier auf ihrer Barke.«
»Ich verstehe.« Vermutlich hatte ich ihn dort gesehen, hatte einen kurzen Blick auf ihn geworfen, während ich das vollgesogene Renceboot für Plenius und die anderen zog. Er hatte vermutlich an Deck gestanden.
»Wie groß war die Besatzung?«
»Neun Mann, mich eingeschlossen.«
Ich nickte. »Die Rencebauern haben euch in einen Hinterhalt gelockt?«
»Ja.«
»Wie viele von euch sind dem Delta entkommen?«
»Neun Mann«, sagte er. »Es hat den Bauern anscheinend Vergnügen bereitet, uns ziehen zu lassen.«
»Ich verstehe.«
»Sie wollten nur sie haben.«
Das war verständlich.
Er beugte sich vor. »Du warst einmal sehr wichtig, nicht wahr, Ina?« fragte er.
»Schon möglich, Herr.«
»Aber jetzt bist du nicht mehr so wichtig?«
»Nein, Herr.«
»Ich glaube, es hat ihnen Vergnügen bereitet, uns ziehen zu lassen«, sagte er. »Sie machten nicht einmal den Versuch, uns festzuhalten oder uns zu verfolgen. Ich glaube, sie wollten, daß sie allein auf der Barke stand, während sie auf die Jäger wartete, auf die Seile, die ihren Körper fesseln würden.«
»Ich verstehe.«
»Widerstand war zwecklos. Es gab Hunderte von ihnen. Es hatte keinen Sinn, sein Leben für eine Schlampe wie sie herzugeben, für eine zum Scheitern verurteilte Sache.« Plötzlich griff er nach ihrem Kinn und hob es unsanft an. »Wie oft habe ich sie mir so vorgestellt, in Ketten.«
»Von den neun Männern deiner Besatzung – was glaubst du, wie viele außer dir würden sie erkennen?« fragte ich.
»Alle.«
»Aber sie war doch sicherlich verschleiert.«
Er lächelte. »Gelegentlich senkte sie den Schleier, wenn Männer in der Nähe waren, ganz zufällig, als wolle sie ihn ordnen oder ganz kurz senken, um das Gesicht zu kühlen.«
»Ich verstehe.«
»Es hat ihr Vergnügen bereitet, sich uns zu zeigen«, sagte er. »Uns zu quälen, zu erregen, in dem Wissen, daß sie für uns unerreichbar war, daß sie nichts von uns zu befürchten hatte.«
Ich schüttelte den Kopf. Das wunderte mich nicht. »Schon damals warst du eine eitle Sklavin, nicht wahr, Ina?«
»Ja, Herr.«
»Aber jetzt bist du eine gesetzmäßige Sklavin«, sagte Octantius.
»Ja, Herr.«
»Glaubst du, daß du jetzt auch noch unerreichbar bist?«
»Nein, Herr«, sagte sie ängstlich.
»Du kannst ihr wieder die Haube aufsetzen.«
Ich stülpte ihr die Haube über den Kopf.
»Von den neun Männern, die sie erkennen könnte – wie viele sind hier in der Nähe?«
»Alle.«
»Ich verstehe.«
Wir kehrten zum Feuer zurück.
»Da sie nun eine Sklavin ist«, sagte ich, »zieht dein Vorgesetzter sein Angebot vermutlich zurück.«
»Ganz im Gegenteil. Du willst die hundert Goldstücke doch verdienen, oder nicht?«
»Ich hätte nichts dagegen, soviel Gold zu besitzen.«
»Dann brauchst du solche Fragen nicht zu stellen.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber ich bin trotzdem neugierig.«
Octantius zuckte mit den Schultern. »Vielleicht will ein Wohltäter sie vor der Sklaverei bewahren.«
»Keiner, der sie im Kragen gesehen hat, zöge auch nur in Erwägung, sie vor der Sklaverei zu bewahren.«
Er lächelte. »Das ist wahr.«
»Warum will man sie mir denn abkaufen?«
»Ich werde morgen mit dem Geld zurückkehren«, sagte Octantius.
»Und wenn ich sie nicht verkaufen will?«
»Ich werde hundert Mann mitbringen.«
»Das hört sich nach einer ganzen Menge an.«
»Unsere Möglichkeiten sind beträchtlich.«
»Anscheinend.«
»Bis morgen.«
»Wie steht’s damit, jetzt um sie zu kämpfen, nur du und ich und zwei Schwerter?«
»Mach keine Schwierigkeiten«, sagte Octantius. »Du kannst sie uns morgen geben, oder wir werden sie dir abnehmen.«
»Ach, so ist das.«
»Und in der Zwischenzeit solltest du nicht zu entkommen versuchen. Dein Lager wird von mehreren Männern beobachtet.«
Er wandte sich zum Gehen.
»Wem wirst du sie übergeben?« fragte ich.
Er drehte sich noch einmal um. »Ich werde nur ihren Kopf übergeben.«
»Ich verstehe.«
Octantius verschwand in der Dunkelheit.
»Wirst du sie ihm verkaufen?« fragte Marcus.
»Nein.«
Er blickte mich an.
»Du solltest vor Einbruch der Morgendämmerung gehen«, sagte ich.
»Und du?«
»Ich bleibe.«
Er sah mich wortlos an.
»Du hast unsere Unterhaltung mitbekommen?«
»Natürlich.«
»Geh.«
Marcus schüttelte den Kopf. »Sie ist nur eine Sklavin.«
»Ich wünsche dir alles Gute.«
Er stand auf und verließ das Lager.
25
Ich stand auf, streckte mich und lachte. Ina, die an meiner Seite geschlafen hatte, sah mich überrascht an. Ich fühlte mich ausgeruht.
»Ihr kettet mich ja los«, sagte sie.
»Bleib in meiner Nähe.«
»Wohin gehen wir?«
»Neugier bekommt einer Kajira nicht.«
Ich wollte zum Sklavenlager. Dort gab es Hunderte von Sklavinnen. Möglicherweise bot sich mir dort die Gelegenheit, Ina zu verstecken oder sie entkommen zu lassen. Allerdings war ich, wenn ich mir gegenüber ehrlich war, nicht besonders zuversichtlich.
Ein Mann stellte sich mir in den Weg. »Bleib stehen!« sagte er. »Du verläßt das Lager nicht.«
»Tritt beiseite«, sagte ich, »oder ich entferne dich aus meinem Weg.«
Er lachte. Und Ina schrie auf.
»Ihr habt ihn getötet!«
Ich wischte die Klinge an seiner Tunika ab. Ich war nicht in scherzhafter Stimmung.
»Was wollte er?« fragte sie. »Warum wollte er uns am Gehen hindern?«
Ich blickte mich um. Die sieben Männer schienen wie aus dem Nichts zwischen den Zelten aufgetaucht zu sein.
»Was wollen sie?« rief Ina.
»Stell dich mir nicht in den Weg«, sagte ich zu dem Mann vor mir.
Er warf einen Blick auf seinen gefallenen Kameraden, auf das Blut im Straßenstaub.
Ich trat bedrohlich einen Schritt auf ihn zu, und er wich schnell zur Seite, genau wie ein anderer seiner Kameraden, der ebenfalls den Weg verstellt hatte.
Ich ging mit gezogener Klinge an ihnen vorbei. Ina eilte hinter mir her.
Sofort nahmen sie die Verfolgung auf, kamen aber nicht nahe genug, um in einen Kampf verwickelt zu werden.
Ich drehte mich um, drohte ihnen, und sie wichen zurück. Ich ging schnell auf einen zu, und er drehte sich um und lief davon. Da schrie Ina auf. Ich fuhr herum, und ein anderer Mann, der nahe an mich herangekommen war, wich zurück.
»Kommt her, na los!« lud ich sie ein. Meine Stimme muß sich schrecklich bedrohlich angehört haben. Ina wimmerte. Ich glaube, sie hatte Angst, mir zu folgen.
»Geh nicht mit ihm, kleine Vulo!« rief einer der Männer.
»Komm mit uns«, lockte ein anderer.
»Er ist verrückt«, sagte ein dritter. »Sieh dir nur sein Gesicht an, seine Augen.«
»Ich muß mit ihm gehen«, rief Ina. »Er ist mein Herr.«
»Wir werden deine Herren sein.«
»Was wollen sie von Euch«, fragte sie mich. »Was habt Ihr getan?«