»Mein Freund«, sagte ich.
»Wir hätten dich nie gefunden, hätten die Leute nicht von einem Verrückten erzählt, der durch das Sklavenlager lief und Unschuldige tötete. Mir war sofort klar, daß das nur du das sein konntest.«
»Natürlich.«
»Also eilten wir herbei.«
»Wie viele sind es?«
»Etwas mehr als hundert Mann«, sagte Marcus. »Und ich kann dir versichern, diese Sleen sind wirklich nicht billig.«
Ich sah zu, wie Octantius und seine Leute gefesselt wurden. Man leerte ihre Geldbeutel.
»Wir bringen diese Kerle ein paar Pasang außerhalb von Brundisium«, sagte der Anführer der Söldner, »ziehen sie aus und lassen sie frei.«
»Ich danke dir«, sagte ich zu ihm, und mein Dank kam von Herzen.
»Du brauchst dich nicht bei ihnen zu bedanken«, sagte Marcus. »Sie sind Sleen, die man mieten kann. Es steht alles im Vertrag.«
»Weißt du, mit wem du es da eigentlich zu tun hast?« fragte ich Marcus.
»Er hat mit Edgar von Tarnwald zu tun«, sagte der Anführer der Söldner schnell.
Ich nickte. Unter diesen Umständen war das ein ausreichender Name. »Natürlich.«
»Der Söldnersleen ist nicht billig«, sagte Marcus. Als echter Soldat hatte er nur Verachtung für den Söldner übrig. Er hatte noch nicht gelernt, zwischen Söldner und Söldner zu unterscheiden. Das hatte einigen Kommandanten regulärer Verbände den Untergang beschert.
»Warum hast du mich nicht benachrichtigt, daß du da bist?« fragte ich ihn.
»Wir waren nicht da«, sagte Marcus. »Wir sind gerade erst eingetroffen.«
Ich mußte schlucken.
»Du hättest in unserem Lager bleiben sollen.«
»Offensichtlich.«
Ich ging zu Octantius herüber, dem gerade die Hände auf den Rücken gefesselt wurden. Ein Strick lag um seinen Hals. Er und seine Männer wurden in einer Reihe aufgestellt.
»Ich gehe davon aus«, sagte er, »daß man uns fortbringt und tötet.«
»Du bist ein tapferer Mann«, sagte ich.
»Es ist leicht, mutig zu sein, wenn man keine Hoffnung mehr hat.«
»Es tut mir leid, was ich eben zu dir gesagt habe.«
»Dein Plan war offensichtlich. Du hast mich nicht beleidigt.«
»Sie werden dich nicht töten«, sagte ich. »Ihr werdet fortgebracht und freigelassen.«
Er blickte mich überrascht an. Dann wurde er auch schon in Richtung auf das Tor gestoßen, wo er stehenbleiben mußte, da die nächsten Männer in die Reihe eingegliedert wurden.
Der Söldnerhauptmann wog den Beutel mit dem Gold in der Hand. Er blickte Marcus an. »Du hast uns angeheuert und dabei verschwiegen, daß du kein Gold hattest.«
»Ich hatte Aussichten auf eine größere Summe«, erwiderte Marcus.
»Und wenn du es nicht bekommen hättest?«
»Dann«, sagte Marcus, »hätte ich mein Leben teuer verkauft.«
»Ich verstehe«, sagte Edgar von Tarnwald.
Es freute mich, daß Marcus einen Plan für diese Möglichkeit geschmiedet hatte.
»Nun, jetzt hast du dein Gold«, sagte Marcus. »Du kannst gehen.«
»Marcus«, flüsterte ich. »Bitte.«
Der Söldner ging zu Ina hinüber, die noch immer bewußtlos im Staub lag. »Das ist also die kleine Verräterin und Sklavin«, sagte er. Er drehte sie mit dem Fuß auf den Bauch. »Nicht schlecht.« Er drehte sie wieder auf den Rücken. »Schöner Sklavenkörper«, meinte er.
Ich nickte.
»Wohin gehst du?« fragte er mich dann.
»Nach Ar.«
»Es wäre gefährlich, die Sklavin mit dorthin zu nehmen.«
»Diese Absicht habe ich nicht«, lächelte ich.
»Gut«, sagte er.
»In einer Ahn in meinem Lager?«
»Ich werde Mincon schicken.«
»Gut.«
»Du wirst sie kaufen müssen, wenn du sie haben willst«, mischte sich Marcus ein. Er wußte noch immer nicht, wem er eigentlich gegenüberstand.
»Welch ein mutiger Bursche«, sagte der Hauptmann. Dann warf er Marcus mit einem Lachen das Gold zu.
Marcus fing den Beutel auf und drückte ihn überrascht an die Brust.
»Ich wünsche dir alles Gute«, sagte Edgar von Tarnwald zu mir.
»Ich wünsche dir ebenfalls alles Gute.«
Dann wandte er sich Marcus zu. »Ich wünsche dir ebenfalls alles Gute, mein junger Freund.«
»Ich verstehe nicht«, sagte Marcus.
»Das liegt daran, daß du kein Söldner bist«, erklärte der Hauptmann.
»Ich verstehe noch immer nicht.«
»Wir haben unsere Belohnung bereits erhalten.«
»Aber… das Gold?«
»Gold ist nicht die einzige Münze, mit der bezahlt werden kann.«
»Nochmals danke«, sagte ich.
»Nicht der Rede wert«, antwortete der Hauptmann. Er wandte sich zum Gehen, blieb dann aber noch einmal stehen. »Ich hörte eben, wie ein Zuschauer erzählte, du hättest behauptet, Saphronicus sei tot.«
»Das ist richtig.«
»Woher hast du das gewußt?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe es mir einfallen lassen, da ich Zeit gewinnen wollte.«
»Ein bemerkenswerter Einfall.«
»Warum?«
»Weil Saphronicus tot ist.«
Ich konnte es nicht glauben. »Woher willst du das wissen?«
»Ich habe einen Agenten im Heerlager von Ar vor Holmesk«, sagte Edgar von Tarnwald.
»Was ist geschehen?«
»Das ist unklar«, sagte er. »Die Berichte widersprechen sich.« Dann drehte sich der Hauptmann um und verließ mit wehendem Umhang das Lager.
»Ich wünsche dir alles Gute!« rief Marcus ihm verblüfft hinterher.
»Du bist reich«, sagte ich.
»Die dunkelhaarige Sklavin!« rief er. »Jetzt kann ich mir sie leisten.«
Er drehte sich um und rannte davon.
Ich ging neben Ina in die Hocke und schüttelte sie.
»Bin ich am Leben?« fragte sie und kniete sich hin.
»So sieht es wohl aus.«
»Wo sind sie?«
»Man hat sie weggebracht«, sagte ich.
»Werden sie zurückkehren?«
»Ich glaube nicht«, sagte ich. »Das Gold ist weg.«
»Dort, wo es herkommt, gibt es noch mehr.«
»Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte ich. »Ich habe gehört, daß Saphronicus tot ist.«
»Er ist tatsächlich tot?«
»Ich glaube schon.«
»Dann droht mir keine Gefahr mehr?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht.«
»Und was geschieht mit mir?«
»Während du ohnmächtig warst, fand jemand Gefallen an deinem Sklavenkörper.«
»Mein Sklavenkörper!« Entsetzt preßte sie die Knie zusammen und bedeckte die Brüste mit den Händen.
»Ja«, sagte ich. »Und jetzt spreiz die Knie und leg die Hände auf die Oberschenkel.«
Sie gehorchte.
»Was geschieht mit mir?« fragte sie erneut.
»Komm mit«, sagte ich, und wir kehrten zurück in unser Lager.
26
Mincon wurde von zwei Männern begleitet. »Ist sie bereit?« fragte er.
»Ja«, sagte ich.
Ina senkte den Kopf bis auf den Boden. Ich fesselte ihr die Hände auf den Rücken.
»Das ist die Verräterin?« fragte Mincon.
»Ja.«
Er ging neben ihr in die Hocke und band ihr eine Leine um den Hals. »Wir mögen keine Verräterinnen«, sagte er zu ihr.
»Ja, Herr«, flüsterte sie, ohne den Kopf zu heben.
»Du weißt, welche Schwierigkeiten mit ihr verbunden sind?« fragte ich Mincon.
»Ja. Sie wird nur eine Sklavin unter vielen sein.«
»Ina«, sagte ich, »du weißt, in welcher Gefahr du schweben würdest, wenn man erführe, wer du früher warst?«
»Ja, Herr.«
»Ich gäbe mir Mühe, dies nach Möglichkeit zu verbergen.«
»Ja, Herr.«
»Auf die Füße, Sklavin!« befahl Mincon.
Ina gehorchte schnell.
Ich hob den Sack vom Boden auf, den ich aus dem Sklavenlager mitgenommen hatte. Sie starrte ihn ängstlich an.
»Ich wünsche dir alles Gute, Sklavin«, sagte ich.
»Ich wünsche Euch auch alles Gute, Herr«, erwiderte sie.
Dann küßte ich sie und streifte ihr den Sack über den Kopf; es war derselbe Sack, in dem Octantius ihren Kopf Saphronicus hatte übergeben wollen. Andererseits unterschied er sich durch nichts von Hunderten anderer Säcke.