»Mache ich. Werde ich.« Er fischt seine Packung Broadways hervor, fünfzehn sind noch drin, und befördert sie wie eine Münze, die man mit einem Wunsch in einen Brunnen wirft, in hohem Bogen in den Mülleimer der Lobby. Ihm ist ein wenig schwindelig, ein wenig tragisch zumute. Landsman ist reif für die große Geste, den opernhaften Fehler. Manisch ist wahrscheinlich das passende Wort. »Aber deshalb bin ich nicht stehen geblieben.«
»Du bist doch verletzt. Erzähl mir nicht, dass du nicht verletzt bist, wie du hier rumläufst und einen auf harten Kerl machst, obwohl du eigentlich im Krankenhaus liegen müsstest.« Mit den Fingern beider Hände umfasst Bina seine Gurgel, wie eh und je bereit, das Leben aus Landsman zu würgen, um ihm zu zeigen, wie viel er ihr bedeutet. »Hast du schlimme Schmerzen, du Idiot?«
»Nur in meiner Seele, meine Schejne«, sagt Meyer. Auch wenn er es für möglich hält, dass Rafi Zilberblats Kugel etwas mehr als nur seinen Schädel streifte. »Ich musste nur ein paar Mal stehen bleiben. Um nachzudenken. Oder nicht um nachzudenken, ich weiß nicht. Jedes Mal, wenn ich versuche zu atmen, nur mal zehn Sekunden lang, ja, und diese Sache liegt in der Luft, mit der wir sie davonkommen lassen, keine Ahnung, dann habe ich das Gefühl, als würde ich ein klein bisschen ersticken.«
Landsman lässt sich auf ein Sofa fallen, dessen blutergussfarbene Kissen einen starken Sitka-Geruch von Schimmel, Zigaretten und komplizierter Salzigkeit verströmen, teils stürmische See, teils der Schweiß im Innenband eines dicken Filzhuts. Die Lobby des Dnyeper besteht aus blutrotem Samt und vergoldeter Kruste, geschmückt mit vergrößerten handkolorierten Postkarten aus den großen Schwarzmeerurlaubsorten zu Zarenzeiten. Damen mit Schoßhündchen auf sonnenbeschienener Promenade. Grand Hotels, die nie einen Juden beherbergten.
»Er liegt mir wie ein Stein im Magen, dieser Pakt, den wir geschlossen haben«, sagt Landsman. »Liegt schwer da rum.«
Bina verdreht die Augen, Hände in den Hüften, und schaut zur Tür. Dann kommt sie zu ihm, lässt ihre Tasche fallen und sich neben ihn plumpsen. Wie oft, fragt er sich, hat sie schon genug von ihm gehabt und doch immer noch nicht ganz genug?
»Eigentlich kann ich gar nicht glauben, dass du damit einverstanden warst«, sagt sie.
»Ich weiß.«
»Ich bin doch der Arschkriecher.«
»Da sagst du was.«
»Der Speichellecker.«
»Es macht mich fertig.«
»Wenn ich mich nicht mehr darauf verlassen kann, dass du den hohen Tieren sagst, sie könnten dich mal, Meyer, warum behalte ich dich dann noch?«
Da versucht er sie ihr zu erklären — seine Überlegungen, die ihn zu seiner eigenen, persönlichen Version eines Paktes führten. Er nennt einige kleine Gründe — die Konservenfabriken, die Geiger, die Markise des Baranof Theater —, er erklärt, dass es ihm Freude machte, an Sitka festzuhalten, als er sich mit Cashdollar einigte.
»Du und dein bescheuertes Herz der Finsternis«, sagt Bina. »Den Film gucke ich mir nie wieder an.« Sie zieht ihre Lippen zu einem harten kleinen Punkt zusammen. »Du hast was vergessen, du Arschloch. Auf deiner süßen kleinen Liste. Dir fehlt da was, würde ich sagen.«
»Bina.«
»Ist auf deiner Liste kein Platz für mich, Meyer? Ich hoffe nämlich, dass du weißt, dass du auf meiner ganz oben stehst.«
»Wie kann das sein?«, sagt Landsman. »Ich verstehe nicht, wie das sein kann.«
»Warum nicht?«
»Weil ich, du weißt schon. Ich habe dich im Stich gelassen, Bina. Ich habe dich enttäuscht. Ich habe das Gefühl, dich unglaublich enttäuscht zu haben.«
»Womit denn?«
»Weil ich … wegen dem, zu was ich dich gezwungen habe. Mit, ich meine, du weißt schon. Mit Django. Ich weiß nicht, wie du es überhaupt aushältst, mich anzusehen, Bina.«
»Mich gezwungen? Meinst du … Glaubst du, du hast mich gezwungen, unser Kind umzubringen?«
»Nein, Bina, ich —«
»Ich will dir mal was sagen, Meyer.« Sie nimmt seine Hand und gräbt ihre Fingernägel in sein Fleisch. »Wenn du jemals mein Verhalten so unter Kontrolle haben solltest, dann nur, wenn dich jemand fragt, ob ich mir einen Kiefernsarg oder ein schlichtes weißes Hemd gewünscht habe.« Sie legt seine Hand zur Seite, ergreift sie dann wieder und streicht über die feurigen Halbmonde, die sie in sein Fleisch gedrückt hat. »Ach, du liebe Güte, deine Hand, Meyer, es tut mir leid. Tut mir leid.«
Natürlich tut es Landsman auch leid. Er hat sich bereits bei ihr entschuldigt, mehrmals, unter vier Augen und in Anwesenheit von anderen, mündlich und schriftlich, formell in wohlgesetzten Phrasen und in ungehemmtem Gestammeclass="underline" Es tut mir leid, es tut mir so leid, es tut mir so unglaublich leid. Er hat sich für seine Verrücktheit entschuldigt, für seine Unberechenbarkeit, für seine Schwermut und seine Schwipse, für das jahrelange Hin und Her zwischen Begeisterung und Verzweiflung. Er hat sich entschuldigt, sie verlassen zu haben und sie angefleht zu haben, ihn wieder zurückzunehmen, die Tür ihrer alten gemeinsamen Wohnung eingetreten zu haben, als sie sich seiner Bitte verweigerte. Er hat sich erniedrigt, seine Kleider zerrissen, ist vor ihr auf dem Boden gekrochen. Meistens hat Bina, gute und treusorgende Frau, die sie ist, Landsman die Worte geschenkt, die er hören wollte. Er hat sie um Regen angefleht, und sie hat ihm kühle Schauer geschickt. Aber tatsächlich braucht er eine Flut, die seine Schlechtigkeit vom Angesicht der Erde spült. Oder den Segen eines Jids, der nie wieder jemanden segnen wird.
»In Ordnung«, sagt Landsman.
Bina steht auf, geht zum Mülleimer und fischt Landsmans Broadways-Packung heraus. Dann holt sie ein verbeultes Zippo aus ihrer Jackentasche, das das Abzeichen des 75. Ranger-Regiments trägt, und zündet ihm und sich eine Papiros an.
»Wir haben das getan, was uns damals richtig erschien, Meyer. Wir hatten nur wenige Fakten. Wir kannten unsere Grenzen. Wir dachten, wir hätten die Wahl. Aber wir hatten wirklich keine Wahl. Wir hatten nur, keine Ahnung, drei beschissene Fakten und die Landkarte unserer eigenen Grenzen. Wir wussten, womit wir nicht klarkommen würden. Welche Linien wir nicht überschreiten würden.« Sie holt ihr Shoyfer aus der Tasche und reicht es Landsman. »Und wenn du mich fragst, und irgendwie habe ich das Gefühl, dass du das tust, hast du jetzt eigentlich auch keine Wahl.«
Er sitzt einfach da, mit ihrem Telefon in der Hand, sodass sie es aufklappt, eine Nummer wählt und es ihm wieder in die Hand drückt. Er hebt es ans Ohr.
»Dennis Brennan«, sagt der wichtigste und einzige Mitarbeiter der Sitka-Zweigstelle einer großen amerikanischen Tageszeitung. »Brennan, hier ist Meyer Landsman.«
Landsman zögert erneut. Er legt den Daumen auf die Sprechöffnung des Handys.
»Sag ihm, er soll mit seinem Riesenschädel herkommen und zusehen, wie wir deinen Onkel wegen Mordes verhaften«, sagt Bina. »Sag ihm, er hat zwanzig Minuten Zeit.«
Landsman versucht, das Schicksal Berkos, seines Onkels Hertz, Binas, der Juden, der Araber, das Schicksal des ganzen unseligen, heimatlosen Planeten gegen das Versprechen abzuwägen, das er Mrs. Shpilman und sich selbst gegeben hat, obwohl er den Glauben an das Schicksal und an Versprechen verloren hat.
»Ich hätte nicht auf dich warten müssen, als du deinen jämmerlichen Balg die lausige Treppe runtergeschleppt hast«, sagt Bina. »Das weißt du. Ich hätte einfach durch die verfluchte Tür abhauen können.«
»Ja, warum hast du das nicht getan?«
»Weil ich dich kenne, Meyer. Ich hab gesehen, was dir durch den Kopf ging, als du da oben saßest und Hertz zugehört hast. Ich hab gesehen, dass du etwas sagen musstest.« Sie drückt ihm das Telefon an die Lippen und streicht mit ihren über seine. »Jetzt mach und sag es endlich. Ich bin das Warten leid.«
Tagelang hat Landsman geglaubt, er hätte seine Chance mit Mendel Shpilman verpasst. Ohne es zu ahnen, hätte er im Exil des Hotel Zamenhof seine einzige Chance auf so etwas wie Erlösung vertan. Aber es gibt keinen Messias von Sitka. Landsman hat keine Heimat, keine Zukunft, kein Schicksal außer Bina. Das Land, das ihm und ihr versprochen wurde, ist von den Fransen ihres Hochzeitsbaldachins begrenzt, von ihren eselsohrigen Mitgliedskarten einer internationalen Bruderschaft, deren Mitglieder ihr Erbe in einer Tasche über der Schulter und ihre Welt auf der Zungenspitze tragen.