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Jetzt blickt sie finster zum Super Sport hinüber, während Landsman den Motor ausstellt. Sie lässt die alles verbannende Hand sinken. Aus der Entfernung hat Landsman den Eindruck, als könnte die Lady drei oder vier Tassen starken Kaffees vertragen und als wäre ihr heute Morgen schon eine Laus über die Leber gelaufen, vielleicht sogar zwei. Landsman war zwölf Jahre mit dieser Dame verheiratet und hat fünf Jahre mit ihr in derselben Mordkommission gearbeitet. Er kennt ihre kleinen Launen nur zu gut.

»Sag mir, dass du nichts davon gewusst hast«, sagt er zu Berko.

»Ich weiß noch immer nichts davon«, sagt Berko. »Ich hoffe, wenn ich kurz die Augen zu- und dann wieder aufmache, ist sie verschwunden.«

Landsman versucht es.

»Keine Chance«, sagt er mit Bedauern und steigt aus dem Wagen. »Gib mir eine Minute.«

»Bitte, so lange du willst.«

Landsman braucht zehn Sekunden, um den Schotterparkplatz zu überqueren. In den ersten drei Sekunden wirkt Bina froh, ihn zu sehen, dann folgen zwei, in denen sie ängstlich und liebenswürdig aussieht. In den letzten fünf Sekunden setzt sie eine Miene auf, als sei sie bereit, sich mit Landsman anzulegen, wenn er es so haben will.

»Was soll der Scheiß?«, sagt Landsman; er enttäuscht sie nur ungern.

»Zwei Monate Exfrau«, sagt Bina. »Was dann kommt, weiß keiner.«

Direkt nach dem Scheidungsurteil ging Bina für ein Jahr in den Süden, wo sie ein Ausbildungsprogramm für weibliche Polizeibeamte zur Führungskraft absolvierte. Bei ihrer Rückkehr trat sie den stolzen Posten eines Detective Inspectors bei der Mordkommission von Yakovy an. Dort als leitende Ermittlerin die Todesfälle arbeitsloser Lachsfischer zu untersuchen, die in den Abwasserkanälen im Venedig von Northwest Chichagof Island an Unterkühlung gestorben waren, fand sie stimulierend und erfüllend. Seit der Beerdigung seiner Schwester hat Landsman Bina nicht mehr gesehen, und ihrem mitleidigen Blick auf sein altes Fahrgestell entnimmt er, dass es in den Monaten danach mit ihm noch weiter abwärtsgegangen ist.

»Freust du dich nicht, mich zu sehen, Meyer?«, fragt sie. »Was sagst du zu meinem neuen Parka?«

»Er ist unglaublich orange«, sagt Landsman.

»Hier oben muss man gut sichtbar sein«, sagt sie. »In den Wäldern. Sonst denken sie, du bist ein Bär, und erschießen dich.«

»Die Farbe steht dir«, hört Landsman sich herausbringen. »Passt zu deinen Augen.«

Bina nimmt das Kompliment an wie eine Limonadendose, von der sie glaubt, dass er sie vorher geschüttelt hat.

»Du bist also überrascht«, sagt sie.

»Ich bin überrascht.«

»Hast du nichts von Felsenfeld gehört?«

»Typisch Felsenfeld. Was sollte ich von ihm hören?« Landsman fällt ein, dass Shpringer ihm in der Nacht dieselbe Frage gestellt hat, und jetzt überfällt ihn die Erkenntnis mit einem Scharfsinn, die des Mannes würdig ist, der den Krankenhauskiller Podolsky fasste. »Felsenfeld hat die Biege gemacht.«

»Hat vor zwei Tagen seine Marke abgegeben. Gestern Abend nach Melbourne geflogen. Die Schwester seiner Frau wohnt da.«

»Und jetzt muss ich für dich arbeiten?« Er weiß, dass das nicht Binas Idee gewesen sein kann. Die neue Stelle ist zweifellos ein Aufstieg für sie, wenn auch nur für zwei Monate. Aber irgendwie kann er nicht glauben, dass sie so etwas zulassen konnte — dass sie glaubt, es aushalten zu können. »Das ist unmöglich.«

»Heutzutage ist alles möglich«, sagt Bina. »Hab ich in der Zeitung gelesen.«

Und auf einmal sind die Konturen ihres Gesichts geglättet, und er sieht, wie anstrengend es für sie immer noch ist, in seiner Nähe zu sein, wie erleichtert sie ist, als Berko Shemets näher kommt.

»Da sind wir ja alle!«, sagt sie.

Als Landsman sich umdreht, steht sein Kollege direkt hinter ihm. Berko besitzt ein bemerkenswertes Talent für Tarnung, das er natürlich auf seine indianischen Ahnen zurückführt. Landsman schreibt es gerne den mächtigen Kräften der Oberflächenspannung zu, wenn Berkos gewaltige Schneeschuhfüße den Boden eindrücken.

»So, so, so«, sagt Berko herzlich. Seitdem Landsman Bina das erste Mal mit nach Hause gebracht hat, teilt sie mit Berko ein Wissen über, einen Blick auf, ein Lächeln für Landsman, den lustigen kleinen Giftzwerg auf dem letzten Bild des Comicstrips, in dessen Visage die schwarze Lilie einer explodierten Zigarre welkt. Bina hält ihm die Hand hin, sie begrüßen sich.

»Herzlich willkommen, Detective Landsman«, sagt Berko, ein wenig verlegen.

»Inspector«, sagt sie, »und jetzt wieder Gelbfish.«

Gewissenhaft sortiert Berko das Blatt von Tatsachen, das sie ihm gerade ausgeteilt hat.

»Mein Fehler«, sagt er. »Wie war’s in Yakovy?«

»Ganz in Ordnung.«

»Nette Stadt?«

»Kann ich nicht sagen.«

»Niemanden kennengelernt?«

Bina schüttelt den Kopf, wird rot und bei der Erkenntnis, rot geworden zu sein, noch roter.

»Ich habe nur gearbeitet«, sagt sie. »Du kennst mich ja.«

Die klebrige rosa Masse des alten Sofas verschwindet um die Ecke des Moduls, und Landsman widerfährt ein zweiter Moment der Erkenntnis.

»Die Beerdigungsgesellschaft ist im Anmarsch«, sagt er. Er meint die Spezialeinheit des amerikanischen Innenministeriums für den Übergangszeitraum, die Vorhut der Reversion, die die Leiche bewacht und sie zur Beisetzung im Grab der Geschichte vorbereitet. Seit ungefähr einem Jahr murmelt sie ihr bürokratisches Kaddisch über jedes Detail der Distriktbürokratie, erstellt Register und gibt Empfehlungen ab. Sie legt den Grundstock dafür, so nimmt Landsman an, dass man die Schuld, wenn später irgendetwas schief- oder in die Brüche geht, glaubhaft den Juden anlasten kann.

»Ein Herr namens Spade«, sagt sie. »Kommt irgendwann am Montag, spätestens Dienstag.«

»Felsenfeld« y sagt Landsman voller Verachtung. Typisch, dass sich der Mann verdrückt, drei Tage bevor ein Schomer von der Beerdigungsgesellschaft kommen soll. »Ein schwarzes Jahr auf ihn!«

Zwei weitere Wächter poltern jetzt aus dem Wohncontainer, sie tragen die Pornosammlung der Abteilung und ein lebensgroßes Pappstandbild des amerikanischen Präsidenten mit seiner Kinnspalte, seiner Golferbräune, seiner überstrapazierten, selbstgefälligen Quarterback-Attitüde nach draußen. Die Polizisten haben dem Papppräsidenten gerne Spitzenunterwäsche angezogen oder ihn mit Klumpen nassen Toilettenpapiers beworfen.

»Wird Zeit, die Maße fürs Totenhemd von Sitka Central zu nehmen«, sagt Berko und schaut der Pappfigur nach.

»Ihr kapiert das nicht mal ansatzweise«, sagt Bina, und sofort erkennt Landsman an dem düsteren Unterton in ihrer Stimme, dass sie mühsam versucht, eine Vielzahl sehr schlechter Nachrichten im Zaum zu halten. Dann sagt Bina: »Ab ins Haus, Jungs«, und klingt wie jeder Vorgesetzte, dem Landsman je zu gehorchen verpflichtet war. Vor einem Moment noch schien die Vorstellung, auch nur für zwei Monate unter seiner Exfrau zu arbeiten, absolut undenkbar, aber so, wie sie jetzt mit dem Kinn Richtung Modul weist und die Männer hineinbeordert, besteht für Landsman Anlass zur Hoffnung, dass seine Gefühle für sie — nicht dass er überhaupt noch welche hätte — sich ins universelle Grau der Disziplin umfärben könnten.

In klassischer Flüchtlingsmanier sieht das Büro so aus, wie Felsenfeld es verlassen hat: Fotos, halbtote Topfpflanzen, auf dem Aktenschrank Wasserflaschen neben der Familienpackung Kautabletten gegen Sodbrennen.

»Setzt euch«, sagt Bina, geht um den Tisch herum zum gummierten Metallschreibtischstuhl und nimmt mit achtloser Entschlossenheit Platz. Sie legt den orangefarbenen Parka ab, und ein staubbrauner Hosenanzug mit einer weißen Oxfordbluse kommt zum Vorschein, ein Outfit, das sich viel eher mit Landsmans Vorstellung deckt, wie Bina über Kleidung denkt. Vergeblich versucht er zu übersehen, wie ihre schweren Brüste, deren Leberflecke und Sommersprossen er noch immer wie Sternbilder im Planetarium seiner Phantasie projizieren kann, die Taschen und Laschen ihrer Bluse spannen. Landsman und Berko hängen ihre Mäntel an die Haken hinter der Tür und behalten die Hüte in der Hand. Jeder nimmt einen freien Stuhl in Beschlag. Felsenfelds Frau auf dem einen Foto und seine Kinder auf dem anderen sind seit dem letzten Mal, als Landsman sie betrachtete, nicht reizvoller geworden. Der Lachs und der Heilbutt staunen immer noch, tot an Felsenfelds Angel zu hängen.