»Ich will eine Story«, sagt Brennan. »Was sonst? Und ich weiß, dass ich keine von Ihnen bekomme, bevor ich nicht reinen Tisch gemacht habe. Also. Fürs Protokoll.« Wieder kettet er sich ans Ruder der Fliegenden-Holländer-Version seiner Muttersprache. »Mir fehlt die Absicht, etwas zurückzunehmen oder ungeschehen zu machen. Fügt diesem meinem ungeheuerlich vergrößerten Kopf ein Leid zu, bitte, aber ich stehe zu dem, was ich geschrieben habe, zu jedem Wort, bis zum heutigen Tage. Es war zutreffend, bewiesen und begründet. Und dennoch sage ich Ihnen gerne, dass die ganze traurige Angelegenheit einen schlechten Nachgeschmack in meinem Mund hinterließ —«
»Vielleicht der Geschmack Ihres Arsches?«, schlägt Landsman munter vor. »Vielleicht haben Sie sich in denselben gebissen.«
Doch Brennan segelt einfach weiter, wie ein Irrer. Landsman bekommt das Gefühl, dass der Goj schon längere Zeit darauf wartet, diese Platte abzuspielen. Kann sein, dass er mehr von Berko will als nur eine Story.
»Für meine Karriere, meine sogenannte, war es sicherlich nützlich. Einige Jahre lang. Es hat mich aus der Provinz, wenn Sie den Ausdruck verzeihen, nach L. A., Salt Lake, Kansas City gebracht.« Bei der Aufzählung der Stationen seines Niedergangs wird Brennans Stimme leiser und weicher. »Nach Spokane. Aber ich weiß, dass es schmerzhaft für Sie und Ihre Familie war, Detective. Daher würde ich gerne, wenn Sie es mir denn gestatten, um Entschuldigung für die von mir verursachten Verletzungen bitten.«
Kurz nach den Wahlen, die die jetzige Regierung in ihre erste Amtszeit trugen, verfasste Dennis J. Brennan eine Beitragsreihe für seine Zeitung. Er schilderte bis ins kleinste, verbissene Detail die schmutzige Geschichte von Korruption, Straftaten und verfassungswidriger Betrügerei, an der Hertz Shemets im Verlauf seiner vierzig Jahre beim FBI beteiligt war. Das Gegenspionageprogramm COINTEL-PRO wurde geschlossen, die Aufgaben wurden anderen Abteilungen übertragen, und Onkel Hertz wurde in einen schmachvollen Ruhestand gedrängt. Landsman, der damals durch nichts zu beeindrucken war, fiel es an den Tagen nach Erscheinen des ersten Artikels schwer, aus dem Bett zu kommen. Er hatte so gut wie alle anderen und besser als fast alle gewusst, dass sein Onkel sowohl als Mann wie auch als Beamter große Fehler hatte. Aber wenn man ergründen wollte, aus welchen Motiven ein Kind zum Nos wurde, lohnte es sich fast nie, an anderen Orten als ein oder zwei Ästchen höher im Stammbaum der Familie zu forschen. Fehler hin oder her, Onkel Hertz war für Landsman ein Held. Klug, hart, beharrlich, geduldig, methodisch, selbstsicher. Wenn seine schlechte Laune, seine Verschwiegenheit und seine Bereitschaft, Abkürzungen zu nehmen, ihn nicht zu einem Helden machten, so machten sie ihn auf jeden Fall zu einem Nos.
»Ich sage Ihnen das jetzt im Guten, Dennis«, sagt Berko. »Denn Sie sind ganz in Ordnung. Sie arbeiten hart, Sie schreiben anständig, und Sie sind der Einzige, neben dem mein Kollege wie ein Dressman aussieht: Leck mich am Arsch!«
Brennan nickt.
»Ich dachte mir, dass Sie so was sagen würden«, antwortet er traurig.
»Mein Vater ist ein verdammter Einsiedler geworden«, sagt Berko. »Ein Pilz. Er lebt mit Ohrenkneifern und solchen Krabbeltieren unter einem Baumstamm. Ganz egal, was für schändliches Zeug er im Schilde führte, er hat nur getan, was seiner Meinung nach gut für die Juden war, und wissen Sie, was die Scheiße an der Sache ist? Er hatte recht, denn gucken Sie sich mal die gequirlte Kacke an, in der wir ohne ihn stecken.«
»Herrje, Shemets, das höre ich nicht gerne. Und ich male mir nicht gerne aus, dass etwas aus meiner Feder irgendwas mit dem zu tun hat — dass es irgendwie zu dem … zu der misslichen Lage geführt hat, in der ihr Jids euch nun befindet … ah, Scheiße. Vergesst es.«
»Gut«, sagt Landsman. Er greift wieder nach Berkos Ärmel. »Komm!«
»Hey, ähm, ja. Wo wollt ihr denn hin? Was ist los?«
»Wir bekämpfen nur das Verbrechen«, sagt Landsman. »Genau wie beim letzten Mal, als Sie hier einflogen.«
Da Brennan nun sein Gewissen erleichtert hat, nimmt der Hund in ihm die Witterung von Berko und Landsman auf. Vielleicht hat er es schon aus einem Häuserblock Entfernung gerochen, konnte es durch die Fensterscheibe sehen, ein Rucken in Berkos wiegendem Gang, ein Kilo zusätzlicher Last auf Landsmans Schultern. Vielleicht sollte die ganze Entschuldigungsnummer von Anfang an nur in die Frage münden, die er nun in seiner Muttersprache hervorzerrt, nackt und schlicht:
»Wer ist tot?«
»Ein Jid, der Schwierigkeiten hatte«, sagt Berko. »Hund beißt Mensch.«
9.
Sie lassen Brennan vor dem Front Page stehen, seine Krawatte schlägt ihm auf die Stirn wie eine reumütige Hand, und sie gehen zur Ecke Seward, dann die Peretz hinunter und biegen direkt hinter dem Palatz-Theater im Windschatten von Baranof Hill ab zu einer schwarzen Tür in einer schwarzen Marmorfassade mit einem großen, schwarz gestrichenen Panoramafenster.
»Das ist doch nicht dein Ernst«, sagt Berko.
»In den letzten fünfzehn Jahren hab ich keinen anderen Schammes im Vorsht gesehen.«
»Meyer, es ist Freitagmorgen, halb zehn. Da sind doch höchstens Ratten drin.«
»Stimmt nicht«, sagt Landsman. Er führt Berko zur Seitentür und legt die Fingerknöchel daran, klopft zweimal. »Ich fand immer, dies wäre der richtige Ort, um Missetaten zu planen, falls ich jemals Missetaten im Schilde führen würde, die geplant werden müssten.«
Mit einem Stöhnen schwingt eine schwere Stahltür auf und gibt den Blick frei auf Mrs. Kalushiner, die ein graues Kostüm und schwarze Pumps trägt, als wolle sie in Schul oder zur Arbeit bei der Bank gehen, das Haar auf rosa Schaumgummiwickler gedreht. In der Hand hält sie einen Pappbecher mit einer Flüssigkeit, die wie Kaffee oder vielleicht Pflaumensaft aussieht. Mrs. Kalushiner kaut Tabak. Der Becher ist ihr ständiger, wenn nicht einziger Begleiter.
»Aha«, sagt sie und macht ein Gesicht, als hätte sie gerade Ohrenschmalz vom Finger geleckt. Dann spuckt sie auf ihre kultivierte Art in den Becher. Mit der weisen Macht der Gewohnheit schaut sie gründlich die Gasse hoch und runter, um zu sehen, welchen Ärger die beiden mitgebracht haben. Kurz und unverhohlen mustert sie den riesigen jarmulketragenden Indianer, der im Begriff ist, ihr Etablissement zu betreten. Bisher waren alle Menschen, die Landsman zu dieser Tageszeit mitgebracht hat, nervöse, mausäugige Schtinker wie Benny »Shpilkes« Plotner und Zigmund Landau, der Heifetz der Informanten. Nie sah jemand weniger wie ein Schtinker aus als Berko Shemets. Und bei allem Respekt vor der Mütze und den Bommeln kann der Kerl vor ihr auf gar keinen Fall ein Mittelsmann sein, schon gar kein rangniederer Mafioso, nicht mit dieser Indianervisage. Als Mrs. Kalushiner Berko trotz gründlicher Überlegung nicht in ihre Systematik zwielichtiger Typen einordnen kann, spuckt sie in ihren Becher. Dann richtet sie den Blick wieder auf Landsman und seufzt. Einer gewissen Zählweise folgend, schuldet sie Landsman siebzehn Gefallen; nach einer anderen müsste sie ihm in die Magengrube schlagen. Sie tritt zur Seite und lässt die beiden herein.
Das Lokal ist so leer wie ein Innenstadtbus nach Dienstschluss und riecht doppelt so streng. Vor Kurzem muss jemand mit einem Eimer Bleiche hindurchgegangen sein, um einige Obertöne in den konstanten Basso continuo aus Schweiß und Pissoirgestank des Vorsht zu tupfen. Über oder unter allem nimmt die scharfe Nase den Mantelfuttergeruch von abgegriffenen Dollarscheinen wahr.
»Setzt euch da hin«, sagt Mrs. Kalushiner, ohne anzuzeigen, wo sie die Männer gerne sitzen sehen möchte. Die runden Tische auf der überfüllten Bühne tragen umgedrehte Stühle wie Geweihe. Landsman stellt zwei davon auf und nimmt mit Berko Platz, fern der Bühne, neben dem schwer verriegelten Eingang. Mrs. Kalushiner geht ins Hinterzimmer, und der Perlenvorhang klappert hinter ihr wie lose Zähne in einem Eimer.