Выбрать главу

»Ich —« Der Russe sackt zusammen, spreizt die Knie, lässt die Hände baumeln. »Detectives, darf ich Ihnen sagen etwas?«, fragt er. »Manchmal habe ich einen wahrhaften Hass auf diese dürftige Ersatzwelt.«

»Erzählen Sie uns von Frank!«, sagt Berko. »Sie mochten ihn.«

Der Russe hebt die Schultern, seine Augen vereisen wieder.

»Ich mag niemanden«, sagt er. »Aber wenn Frank kommt herein, ich laufe immerhin nicht schreiend hinaus zur Tür. Er ist lustig. Kein schöner Mann. Aber schöne Stimme. Ernste Stimme. Wie der Mann im Radio, der ernste Musik spielt. Um drei Uhr nachts, erzählt von Schostakowitsch. Aber er sagt Sachen mit ernste Stimme, die sind lustig. Alles, was er sagt, ist immer eine kleine Kritik. Wie dein Haar ist geschnitten, wie hässlich ist deine Hose, dass Velvel immer fährt auf, wenn ein Mensch spricht von seiner Frau.«

»Das stimmt«, sagt Velvel. »Das tue ich.«

»Zieht dich immer auf, aber ich weiß nicht, warum, du bist nicht böse.«

»Weil du fühlst, dass er zu sich selbst noch härter ist«, sagt Velvel.

»Wenn du spielst gegen ihn, auch wenn er gewinnt jedes Mal, hast du das Gefühl, du spielst besser gegen ihn als gegen die Arschlöcher im Club«, sagt der Russe. »Frank ist nie Arschloch.«

»Meyer«, sagt Berko leise. Er lässt die Flaggen seiner Augenbrauen zum Nachbartisch wehen. Sie haben Zuhörer.

Landsman dreht sich um. Zwei Männer sitzen an einem Spiel in der Anfangsphase. Einer trägt die moderne Jacke, Hose und den Vollbart eines Lubawitscher Juden. Der Bart ist dicht und schwarz, wie mit einem weichen Bleistift gezeichnet. Eine ruhige Hand hat ein schwarzes, mit schwarzer Seide abgesetztes Velourskäppchen auf sein schwarzes Haargewirr gesetzt. Sein dunkelblauer Mantel und der blaue Filzhut hängen an einem Haken an der verspiegelten Wand hinter ihm. Das Mantelfutter und das Etikett des Huts spiegeln sich im Glas. Erschöpfung verdunkelt die Unterlider seiner Augen; glühende Augen, träge und traurig. Sein Gegner ist ein Bobover mit langer Robe, Kniehose, weißen Strümpfen und Pantoffeln. Seine Haut ist so blass wie eine Seite im Thorakommentar. Sein Hut thront auf seinem Schoß, ein schwarzer Kuchen auf einem schwarzen Teller. Flach wie eine aufgenähte Tasche ruht die Jarmulke auf seinem kurz geschorenen Hinterkopf. Für ein nicht durch Polizeiarbeit ernüchtertes Auge könnten die beiden Männer in das diffuse Leuchten ihres Spiels so versunken sein wie jedes andere Patzerpärchen im Einstein. Doch Landsman würde hundert Dollar wetten, dass keiner von beiden weiß, wer am Zuge ist. Sie haben jedem Wort am Nachbartisch gelauscht, und sie lauschen auch jetzt.

Berko geht zum Tisch auf der anderen Seite von Velvel und dem Russen. Er ist leer. Berko hebt einen Wiener Stuhl mit zerschlissenem Rohrgeflecht hoch, schwingt ihn herum und stellt ihn zwischen den Tisch mit den Schwarzhüten und den Tisch, an dem der Russe gerade Velvel bezwingt. Auf seine eindrucksvolle Fleischklopsart nimmt Berko Platz, spreizt die Beine und wirft die Mantelschöße nach hinten, so als wolle er sich alle Anwesenden zum Festmahl vornehmen. Er setzt seinen Homburg ab, streicht über die Rundung der Krone. Sein Indianerhaar ist dicht und glänzend, seit Neuestem silbern durchwoben. Graues Haar lässt Berko weiser und freundlicher aussehen, eine Wirkung, die auszunutzen er nicht zögert, obwohl er wirklich ziemlich weise und eigentlich ganz freundlich ist. Der Kaffeehausstuhl fürchtet sich vor dem Umfang und Umriss von Berkos Hinterbacken.

»Hü«, sagt Berko zu den Schwarzhüten. Er reibt die Handflächen aneinander, dann legt er sie auf die Oberschenkel. Dieser Mann braucht nur noch eine Serviette im Kragen, eine Gabel und ein Messer. »Wie geht’s?«

Mit dem Talent und der Entschlossenheit schlechtester Schauspieler blicken die Schwarzhüte erstaunt auf.

»Wir wollen keinen Ärger«, sagt der Lubawitscher.

»Mein Lieblingssatz in der jiddischen Sprache«, sagt Berko aufrichtig. »Wie wäre es, wenn Sie sich an unserer kleinen Unterhaltung beteiligten? Erzählen Sie uns von Frank!«

»Wir kannten ihn nicht«, sagt der Lubawitscher. »Was für ein Frank?«

Der Bobover sagt nichts.

»Freund Bobover«, sagt Landsman freundlich. »Ihr Name!«

»Ich heiße Saltiel Lapidus«, sagt der Bobover. Er hat mädchenhafte, scheue Augen. Er verschränkt die Hände auf dem Schoß, auf seinem Hut. »Und ich weiß nichts über niemanden.«

»Haben Sie mit diesem Frank gespielt? Kannten Sie ihn?«

Saltiel Lapidus schüttelt schnell den Kopf. »Nein.«

»Doch«, sagt der Lubawitscher. »Er war uns bekannt.«

Wütend funkelt Lapidus seinen Freund an, der Lubawitscher blickt zur Seite. Landsman versteht, was dahintersteckt. Frommen Juden ist das Schachspiel erlaubt, als einziges Spiel sogar am Sabbat. Doch der Einstein-Schachclub ist eine streng weltliche Einrichtung. Der Lubawitscher hat den Bobover an einem Freitagmorgen in diesen ungeweihten Tempel geführt, obwohl der Sabbat bevorsteht und beide Besseres zu tun hätten. Er sagte, es sei schon in Ordnung, was könne es denn schaden? Das sieht man ja jetzt.

Landsman ist neugierig, sogar gerührt. Eine Freundschaft über die Grenzen der Konfessionen hinweg ist seiner Erfahrung nach kein geläufiges Phänomen. Bisher fand Landsman, dass, abgesehen von Homosexuellen, nur Schachspieler eine verlässliche Möglichkeit gefunden haben, mit Leidenschaft, aber ohne verhängnisvolle Gewalt den Golf zu überbrücken, der alle Männer voneinander trennt.

»Ich habe ihn hier gesehen«, verkündet der Lubawitscher, die Augen auf den Freund gerichtet, wie um ihm zu versichern, dass sie nichts zu befürchten haben. »Diesen sogenannten Frank. Vielleicht habe ich ein- oder zweimal gegen ihn gespielt. Meiner Meinung nach war er ein überaus begabter Spieler.«

»Verglichen mit dir, Fishkin«, sagt der Russe, »ist ein Affe Raul Capablanca.«

»Sie«, sagt Landsman auf eine Eingebung hin mit ruhiger Stimme zu dem Russen. »Sie wussten, dass er heroinabhängig war. Woher?«

»Detective Landsman«, sagt der Russe halb tadelnd. »Erkennen Sie mich nicht?«

Landsman dachte, es sei eine Eingebung, dabei war es nur eine falsch abgelegte Erinnerung.

»Vassily Shitnovitzer«, sagt Landsman. Es ist gar nicht so lange her — ein Dutzend Jahre —, dass er einen jungen Russen dieses Namens wegen Verabredung zum Heroinverkauf verhaftete. Ein Einwanderer, ehemaliger Sträfling, ungeschoren aus dem Chaos gespült, das auf den Zusammenbruch der Dritten Russischen Republik folgte. Ein Mann mit gebrochenem Jiddisch war er, dieser Heroindealer, die blassen Augen zu eng beieinander. »Und Sie wussten die ganze Zeit Bescheid.«

»Sie sind ein hübscher Kerl. Schwer zu vergessen«, sagt Shitnovitzer. »Und immer so schick angezogen.«

»Shitnovitzer hat lange in Butyrka gesessen«, berichtet Landsman Berko von dessen Haft im berüchtigten Moskauer Gefängnis. »Netter Kerl. Vertickte seinen Stoff hier in der Küche des Cafés.«

»Sie haben Frank Heroin verkauft?«, sagt Berko zu Shitnovitzer.

»Ich bin im Ruhestand«, sagt Vassily Shitnovitzer und schüttelt den Kopf. »Vierundsechzig Monate in Ellensburg, Washington. Schlimmer als Butyrka. Den Kram ich rühre nicht mehr an, Detectives, und selbst wenn, ihr könnt mir glauben, gehe ich nicht in Franks Nähe. Bin ich vielleicht verrückt, aber bin ich nicht lebensmüde.«

Landsman spürt, wie seine Reifen blockieren und rutschen. Sie sind gerade gegen etwas geprallt.

»Warum nicht?«, sagt Berko freundlich und weise. »Warum sind Sie nicht nur ein Verbrecher, sondern lebensmüde, wenn Sie Smack an Frank verkaufen, Mr. Shitnovitzer?«

Es erklingt ein leichtes, entschlossenes Klirren, etwas hohl, wie aufeinanderbeißende falsche Zähne. Velvel kippt seinen König um.

»Ich gebe auf«, sagt er. Er nimmt die Brille ab, lässt sie in die Tasche gleiten und steht auf. Er hat einen Termin vergessen. Er kommt zu spät zur Arbeit. Seine Mutter ruft ihn auf der Ultraschallfrequenz an, die die Regierung für jüdische Mütter bei bevorstehendem Mittagessen reserviert hat.