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»Wenn er Russe wäre, gäbe es keinen Grund für die beiden Schwarzhüte, so viel Angst zu haben«, sagt Landsman. »Die beiden wissen nichts von Moskowits. Russische Schtarker, Auftragsmorde, das sagt dem durchschnittlichen Bobover nicht viel.«

Wieder zupft Landsman an seinem Kinn, dann überlegt er sich etwas. Er schaut hinauf zum dünnen Streifen strahlend grauen Himmels, der sich über die schmale Gasse hinter dem Hotel Einstein spannt. »Um wie viel Uhr geht wohl heute die Sonne unter?«

»Warum? Wollen wir in Harkavy rumstochern, Meyer? Ich glaube nicht, dass es Bina gefällt, wenn wir anfangen, die Schwarzhüte da unten gegen uns aufzubringen.«

»Glaubst du nicht, was?« Landsman grinst. Er holt seinen Parkschein aus der Tasche. »Dann halten wir uns besser von Harkavy fern.«

»Oh, oh. Du hast dieses Grinsen drauf.«

»Magst du das nicht?«

»Nein, ich habe nur festgestellt, dass darauf meistens eine Frage folgt, die du dir selbst beantwortest.«

»Wie wär’s hiermit: Was für ein Jid, Berko, sag mir das bitte, was für ein Jid sorgt dafür, dass ein knastgestählter russischer Psychopath sich fast in die Hose scheißt und der frömmste Schwarzhut von Sitka Tränen in den Augen hat?«

»Du willst, dass ich sage: ein Verbover«, sagt Berko.

Nach seinem Abschluss an der Polizeiakademie besetzte Berko seinen ersten Posten im 5. Bezirk, in Harkavy. Dort hatten sich die Verbover sowie die meisten anderen Schwarzhüte niedergelassen, nachdem 1948 der neunte Verbover Rebbe, Schwiegervater des gegenwärtigen Titelträgers, samt seinem kläglichen restlichen Hofstaat dorthin gezogen war. Es war der klassische Ghettoposten, auf dem man Menschen helfen und schützen muss, die einen selbst und die von einem repräsentierte Amtsgewalt verachten und verschmähen. Berkos Abordnung fand ein Ende, als der junge halbindianische Latke beim Schawuos-Massaker in Goldblatts Milchrestaurant eine Kugel in die Schulter bekam, fünf Zentimeter neben dem Herz.

»Ich weiß, dass du willst, dass ich das sage«, sagt Berko.

Und auf folgende Weise erklärte er Landsman einmal, was sich hinter der Bande mit dem geheiligten Namen »Chassidim von Verbov« verberge: Seinen Anfang habe alles in der Ukraine genommen, es seien Schwarzhüte gewesen wie alle anderen Schwarzhüte, sie verachteten den Dreck und das Trara der säkularen Welt innerhalb ihrer imaginären Ghettomauern aus Ritual und Glaube. Dann sei die Sekte im Feuer der Vernichtung zu einem harten, zähen Kern zusammengeschmolzen, schwärzer als jeder Hut. Was von dem neunten Verbover Rebbe übrig blieb, erstand mit elf Jüngern und nur der sechsten von acht Töchtern aus diesem Feuer auf. Der Rebbe stieg in die Luft empor wie ein verkohltes Blatt Papier und wurde auf diesen schmalen Streifen Land zwischen den Baranof-Bergen und dem Ende der Welt geweht. Und hier fand er einen Weg, die alte Distanziertheit der Schwarzhüte zu neuem Leben zu erwecken. Er führte ihre Logik an ihr logisches Ende, so wie es böse Genies in billigen Romanen tun. Er schuf ein kriminelles Imperium, das von dem sinnlosen Tohuwabohu hinter den theoretischen Mauern profitierte, von diesen so mangelhaften, korrupten Wesen, derart fern jeder Erlösungshoffnung, dass die Verbover sie nur aus einer kosmischen Höflichkeit heraus überhaupt als Menschen betrachten.

»Den Gedanken hatte ich natürlich auch schon«, gesteht Berko. »Habe ihn aber sofort wieder verdrängt.« Er schlägt seine großen Hände vors Gesicht und lässt sie kurz dort liegen, dann zieht er sie langsam nach unten, zerrt an seinen Wangen, sodass sie wie die Hängebacken einer Bulldogge bis über das Kinn reichen. »Wehe mir, Meyer, willst du wirklich, dass wir raus nach Verbov Island gehen?«

»Fuck, no«, sagt Landsman. »Ehrlich, Berko. Ich hasse das Viertel. Wenn wir schon auf eine Insel gehen müssen, dann wäre mir Madagaskar deutlich lieber.«

Da stehen sie in der Gasse hinter dem Einstein und wägen die zahlreichen Argumente für und die wenigen gegen das Vorhaben ab, sich mit den mächtigsten Figuren der Unterwelt nördlich des 55. Breitengrads anzulegen. Abwechselnd versuchen sie, Erklärungen für das wieselgleiche Verhalten der Patzer im Einstein vorzubringen.

»Wir gehen besser zu Itzik Zimbalist«, sagt Berko schließlich. »Bei allen anderen da draußen wäre es genauso sinnvoll, wie mit einem Hund zu sprechen. Und ein Hund hat mir heute schon das Herz gebrochen.«

12.

Das Strassenmuster auf dieser Insel ist zwar das gleiche wie in Sitka, rechtwinklig und durchnummeriert, aber abgesehen davon bist du hier geliefert, mein Schejner: gebeamt, teleportiert, durch das Wurmloch auf den Planeten der Juden geschleudert. Freitagnachmittag auf Verbov Island, und Landsmans Chevelle Super Sport gleitet durch die Wogen von Schwarzhüten auf der Avenue 225. Die fraglichen Hüte sind Filzexemplare mit hohen, eingedrückten Kronen und meilenbreiten Krempen, wie sie von Aufsehern in einem Plantagenmelodram bevorzugt werden. Die Frauen tragen Kopftücher und glänzende Perücken, gefertigt aus dem Haar armer Jüdinnen aus Marokko oder Mesopotamien. Ihre Mäntel und langen Kleider sind die feinsten Fetzen aus Paris und New York, ihre Schuhe der Stolz Italiens. Mit starker Krängung sausen Knaben auf Inlinern über die Gehwege, ein Wirbel aus Schals und Schläfenlocken, dazwischen blitzt das orangefarbene Futter ihrer wehenden Parkas. Durch lange Röcke zu tippelnden Schritten gezwungene Mädchen gehen Arm in Arm, heisere Flechtwerke junger Verboverinnen, radikal und ausgrenzend wie die Anhänger einer Philosophenschule. Der Himmel ist stählern geworden, der Wind eingeschlafen, die Luft knistert von der Alchimie der Kinder und der Aussicht auf Schnee.

»Guck dir diesen Ort an«, sagt Landsman. »Er lebt.«

»Kein einziger leerer Laden.«

»Und mehr von diesen elenden Jids als je zuvor.«

Landsman hält vor einer roten Ampel in der NW 28th Street. Vor einem Eckladen neben einem Lehrhaus lungern Jungmänner herum, Schriftverdreher, unvergleichliche Luftmenschen und Feld-, Wald- und Wiesengangster. Als sie Landsmans Wagen mit seiner Aura zivilfahnderischer Hybris und dem provozierenden Doppel-S auf dem Kühlergrill entdecken, hören sie auf, sich gegenseitig anzuschreien, und glotzen Landsman auf ihre bessarabische Art an. Er ist auf ihrem Grund und Boden. Er ist glatt rasiert und zittert dennoch nicht vor Gott. Er ist kein Verbover Jude, und daher eigentlich gar kein Jude. Und wenn er kein Jude ist, ist er ein Nichts.

»Guck dir an, wie diese Arschlöcher glotzen«, sagt Landsman. »Das gefällt mir nicht.«

»Meyer!«

Die Wahrheit lautet, dass Schwarzhut-Juden Landsman wütend machen, seit jeher. Jetzt findet er diese Wut angenehm, stark nuanciert durch Neid, Herablassung, Groll und Mitleid. Er legt einen Gang ein und drückt die Tür auf.

»Meyer! Nein.«

Landsman geht um die geöffnete Tür des Super Sport herum. Er merkt, dass die Frauen gucken. Er riecht die plötzliche Angst im Atem der Männer um sich herum wie Karies an den Zähnen. Er hört das Gelächter von Hühnern, die ihr Schicksal noch nicht ereilt hat, das Summen von Kompressoren, die die Karpfen in ihren Becken am Leben halten. Er glüht wie eine Nadel, die erwärmt wurde, um eine Zecke zu töten.

»So, nu«, sagt er zu den Jids an der Ecke. »Wer von euch Büffeln möchte in unserem schönen Nosmobil mitfahren?«

Ein Jid tritt vor, ein hellhäutiger Klotz, breiter als hoch, mit schwerer Stirn und einem gespaltenen gelben Bart.

»Ich schlage vor, dass Sie zu Ihrem Fahrzeug zurückkehren, Officer«, sagt er langsam und vernünftig. »Und fahren Sie dahin, wo Sie hinwollen.«

Landsman grinst.

»Das schlagen Sie mir vor?«, sagt er.

Jetzt treten auch die anderen Männer an der Straßenecke vor und besetzen den Raum um den Klotz mit dem blitzförmigen Bart. Es müssen um die zwanzig sein, mehr als Landsman geschätzt hat, und Landsmans Strahlen flackert ein wenig, spuckt wie eine durchbrennende Glühbirne.