»Ich will es mal anders sagen«, sagt der blonde Klotz, und eine Ausbuchtung an seiner Hüfte zieht die Aufmerksamkeit seiner Hand auf sich. »Ab ins Auto!«
Landsman zupft an seinem Kinn, fühlt die Stoppeln. Wahnsinn, denkt er. Da verfolgst du eine theoretische Spur in einem nicht existierenden Fall und verlierst ohne jeden Grund die Geduld. Ehe du dich versiehst, löst du einen Zwischenfall in einer Sippe von Schwarzhüten aus, die über so viel Einfluss, Geld und einen so großen Vorrat an mandschurischen und russischen Armeefeuerwaffen verfügen, dass es, wie der Nachrichtendienst in einem vertraulichen Bericht kürzlich schätzte, den Anforderungen für einen Guerillaaufstand in einer kleinen mittelamerikanischen Republik genügen würde. Wahnsinn, der zuverlässige Landsman’sche Wahnsinn.
»Wie wäre es, wenn ihr herkommt und mich fertigmacht?«, sagt Landsman.
Da stößt Berko seine Tür auf und zeigt der Straße seine urige Bärengestalt. Sein Profil ist majestätisch, einer Münze oder eines gemeißelten Berghangs würdig. Und in der rechten Hand hält er den unheimlichsten Hammer, den je ein Jude oder Nichtjude zu Gesicht bekommen hat. Es ist eine Kopie des Kriegsbeils, das Häuptling Katlian 1804 im Tlingitkrieg gegen die Russen geschwungen haben soll. Die Russen verloren den Krieg. Berko bastelte das Werkzeug mit dreizehn Jahren, um die Jids einzuschüchtern, in deren Labyrinth er neu war, und bisher hat es seinen Zweck nie verfehlt, weshalb Berko es auf dem Rücksitz von Landsmans Wagen verwahrt. Der Kopf besteht aus einem fünfunddreißig Pfund schweren Block Meteoreisen, den Hertz Shemets auf einem ehemals russischen Gelände bei Yakovy ausgrub. Der Griff wurde mit einem Jagdmesser von Sears aus einem elf Kilo schweren Baseballschläger geschnitzt. Ineinander verschlungene schwarze Raben und Seeungeheuer vom Roten Meer winden sich um den Schaft und zeigen grinsend ihre großen Zähne. Um sie einzufärben, verbrauchte Berko vierzehn Minenschreiber. Zwei Rabenfedern hängen an einem Lederriemen am Ende des Schafts. Dieses Detail mag historisch nicht korrekt sein, tut aber seine wilde Wirkung auf das jiddische Hirn:
Indianer.
Das Wort wird die Stände und Ladenlokale hinauf- und hinuntergereicht. Die Juden von Sitka sprechen und sehen selten Indianer, höchstens vor dem Bundesgericht oder in den kleinen jüdischen Siedlungen entlang der Grenze. Die Verbover brauchen nur sehr wenig Phantasie, um sich vorzustellen, wie Berko und sein Hammer eine Massenschlachtung unter den Schädeln der Bleichgesichter veranstalten. Dann fällt ihr Blick auf Berkos Jarmulke und die flatternden dünnen weißen Fransen des Vier-Ecken an seiner Hüfte, und man spürt, wie der rasende Fremdenhass aus der Menge sickert und nur einen Rest rassistischen Schwindels zurücklässt. So läuft das immer bei Berko Shemets im Distrikt Sitka, wenn er seinen Hammer rausholt und zum Indianer wird. Fünfzig Jahre Hollywood-Skalps, sirrende Pfeile und brennende Planwagen haben ihre Wirkung auf die Hirne nicht verfehlt. Die reine Widersinnigkeit erledigt den Rest.
»Berko Shemets«, sagt der Mann mit dem gespaltenen Bart blinzelnd, und langsam fallen große Schneefedern auf seine Schultern und seinen Hut. »Was ist los, Jid?«
»Dovid Sussman«, sagt Berko und lässt den Hammer sinken. »Hab ich mir doch gedacht.«
Vorwurfsvoll und leidvoll richtet er seine großen Minotaurus-Augen auf seinen Cousin. Es war nicht Berkos Idee, nach Verbov Island zu fahren. Es war nicht Berkos Idee, den Lasker-Fall zu verfolgen, nachdem man ihnen befohlen hatte, ihn zu den Akten zu legen. Es war nicht Berkos Idee, schmachvoll in die billige Absteige in der Untershtot zu fliehen, wo geheimnisvolle Junkies von der Schachgöttin einen drüberbekommen.
»Einen schönen Sabbat Ihnen, Sussman«, sagt Berko und wirft den Hammer in den Kofferraum von Landsmans Wagen. Die Federn in den Schalensitzen klingeln wie Glocken.
»Ihnen auch einen schönen Sabbat, Detective«, sagt Sussman. Die anderen Jids wiederholen den Wunsch ein wenig verunsichert. Dann wenden sie sich ab und widmen sich wieder ihrem Disput über eine Spitzfindigkeit koscherer Speisezubereitung oder illegaler Kennzeichenänderung.
Die beiden Detectives steigen ins Auto. Berko schlägt die Tür zu und sagt: »Ich hasse das.«
Sie fahren die Avenue 225 hinunter, und jeder dreht sich nach dem indianischen Juden in dem blauen Chevrolet um.
»So viel zu ein paar diskreten Fragen«, sagt Berko bitter. »Eines Tages, Meyer, so hilf mir, gehe ich mit meinem Totschläger auf dich los.«
»Wäre vielleicht besser«, sagt Landsman. »Vielleicht wäre mir das als Therapie ganz recht.«
Auf der Avenue 225 kriechen sie gen Westen bis zur Werkstatt von Itzik Zimbalist. Kleine Plätze und Sackgassen, neoukrainische Einfamilienhäuser und Eigentumskomplexe, schindelgedeckte Gebäude mit steilen Dächern, gestrichen in trüben Farben, bis an die Grundstücksgrenze gebaut. Die Häuser rempeln sich an und drängeln sich wie Schwarzhüte in der Synagoge.
»Kein einziges Verkaufsschild hier«, beobachtet Landsman. »An jeder Leine hängt Wäsche. Alle anderen Sekten haben ihre Thoras und Hutschachteln längst gepackt. Harkavy ist eine halbe Geisterstadt. Aber nicht die Verbover. Entweder ist ihnen die Reversion völlig egal, oder sie wissen mehr als wir.«
»Das sind Verbover«, sagt Berko. »Auf was wettest du?«
»Du meinst, der Rebbe hat Geld rübergeschoben. Green Cards für alle.« Landsman denkt darüber nach. Natürlich weiß er, dass eine kriminelle Organisation wie der Verbover-Ring nicht ohne die bereitwilligen Dienste von Kassierern und heimlichen Lobbyisten blüht, nicht ohne dass der Regierung regelmäßig Schmiere und Druck verabreicht werden. Die Verbover mit ihrer talmudischen Auffassung von Systemen, mit ihren tiefen Taschen und ihren für die Außenwelt unergründlichen Mienen haben viele Kontrollmechanismen gebrochen oder manipuliert. Aber dass sie eine Möglichkeit ersonnen haben sollen, um die gesamte Einwanderungsbehörde wie einen Colaautomaten mit einem Dollar an der Schnur auszutricksen?
»Niemand hat so viel Einfluss«, sagt Landsman. »Nicht mal der Verbover Rebbe.«
Berko zieht den Kopf ein und vollführt ein halbes Schulterzucken, als wolle er lieber nichts mehr sagen, um keine furchtbaren Mächte heraufzubeschwören — Plagen, Geißeln oder heilige Tornados.
»Nur weil du nicht an Wunder glaubst«, sagt er.
13.
Zimbalist, der Grenzen-Mejwen, der gelehrte alte Knacker — er hält sich bereit, als das Gerücht von Indianern in einem blauen Schlitten aus Michigan vor seine Haustür rumpelt. Zimbalists Werkstatt ist ein steinernes Gebäude mit einem Zinkdach und großen Rolltoren und befindet sich am breiten Ende eines kopfsteingepflasterten Platzes. Der Platz ist an einem Ende schmal und verbreitert sich wie die Nase einer Judenkarikatur. Ein halbes Dutzend krummer Gassen purzelt hinein, Pfaden folgend, die von längst vergangenen ukrainischen Ziegen oder Auerochsen festgetreten wurden, vorbei an Häuserfronten, die ihren verlorenen ukrainischen Originalen getreu nachgebaut wurden. Ein Disney-Schtetl, strahlend unbeschmutzt wie eine frisch gefälschte Geburtsurkunde. Ein kunstvoller Wirrwarr aus schlammbraunen und senfgelben Bauten, aus Holz, Putz und Strohdächern. Gegenüber von Zimbalists Werkstatt, an der schmalen Seite des Platzes, steht das Heim von Heskel Shpilman, der zehnte in der dynastischen Linie des ursprünglichen Rebbe aus Verbov, selbst ein berühmter Wundertäter: drei hübsche weiße Würfel makellosen Stucks mit Mansardendächern aus blauen Schieferplatten und hohen Fenstern, schmal und verschlossen. Eine exakte Kopie des Stammsitzes in Verbov, das dem Großvater der Frau des jetzigen Rebbe gehörte, dem achten Verbover Rebbe, bis hin zur nickelbeschichteten Wanne im oberen Badezimmer. Schon bevor sich die Verbover Rebbes der Geldwäsche, dem Schmuggel und der persönlichen Bereicherung widmeten, unterschieden sie sich von ihren Wettbewerbern durch die Pracht ihrer Westen, durch das französische Silber auf ihren Sabbattischen und das weiche italienische Leder an ihren Füßen.