»Man sagt, er gehört eher zur kräftigen Fraktion.«
»Er ist süß. Herzallerliebst.«
»Was der Mejwen uns eben über Mendel erzählt hat. Die Wunder und Mirakel. Berko, glaubst du das?«
»Du weißt doch, dass es bei mir nicht um Glauben geht, Meyer. Ging es noch nie.«
»Aber hast du — ich bin nur neugierig —, hast du wirklich das Gefühl, du wartest auf Messias?«
Berko zuckt mit den Schultern, eine uninteressante Frage. Er hält den Blick auf die Spur schwarzer Gummischuhe im Schnee gerichtet.
»Ist halt Messias«, sagt er. »Was soll man sonst tun außer warten?«
»Und wenn er kommt, was ist dann? Friede auf Erden?«
»Friede, Wohlstand. Genug zu essen. Niemand ist mehr krank oder einsam. Niemand verkauft mehr was. Weiß nicht.«
»Und Palästina? Gehen alle Juden dahin zurück, wenn Messias kommt? Ins Gelobte Land? Biberfellmützen und so?«
»Ich habe gehört, dass Messias einen Deal mit den Bibern gemacht hat«, sagt Berko. »Gibt keinen Pelz mehr.«
Im glühenden Schein einer großen eisernen Gaslampe, die mit einem Eisenträger an der Hausfassade des Rebbes angebracht ist, vertreibt sich ein loses Knäuel von Männern den Rest der Woche — Parasiten, Rebbe-Hörige, der eine oder andere regelrechte Tölpel. Und das übliche improvisierte Durcheinander von Möchtegern-Schweizergardisten, die den zu beiden Seiten der Haustür aufragenden Biks die Arbeit erschweren. Jeder sagt jedem, er solle nach Hause gehen und mit der Familie das Licht segnen, solle den Rebbe in Ruhe sein Sabbatessen genießen lassen, schojn. Niemand bricht wirklich auf, niemand bleibt wirklich stehen. Die Männer tauschen glaubwürdige Lügen über die jüngsten Wunder und Zeichen aus, über neue Tricks, wie man nach Kanada auswandert, und es gibt vierzig Versionen der Geschichte über den hammerschwingenden Indianer; er habe das Alenu-Gebet gesagt und dabei einen indianischen Patschtanz vollführt.
Als die Männer das Knirschen und Quäken von Zimbalists Gummischuhen hören, die sich ihnen über den Platz nähern, stellen sie nacheinander ihre Äußerungen ein, wie eine schwächer werdende Dampforgel. Seit fünfzig Jahren lebt Zimbalist nun in ihrer Mitte, doch ist er durch ein undurchschaubares Gemenge aus Zwang und freier Wahl Außenseiter geblieben. Er ist ein Zauberer, ein Voodoo-Mann, so wie er die Fäden in den Händen hält, die den Distrikt umgrenzen und seine Handflächen am Sabbat das Brackwasser ihrer Seelen umschließen. Wenn seine Leute oben auf den Masten hocken, können sie in jedes Fenster blicken, jedes Telefongespräch belauschen. Zumindest glauben die Männer das.
»Platz da, bitte«, sagte der Mejwen und steuert auf die Haustreppe mit ihrem hübsch geschnörkelten schmiedeeisernen Geländer zu. »Freund Belsky, zur Seite.«
Die Männer machen Platz, als würde Zimbalist mit etwas Brennendem in der Hand auf einen Wassereimer zustürzen. Bevor sie die für Zimbalist geschaffene Lücke wieder schließen können, sehen sie Landsman und Berko näher kommen. Sie dunsten ein so schweres Schweigen aus, dass Landsman spürt, wie es seitlich gegen seinen Kopf drückt. Er hört, wie der Schnee zischt, er hört jede Schneeflocke knistern, die auf die Gaslampe fällt. Die Männer stellen böse Blicke, unschuldige Blicke und so leere Blicke zur Schau, dass alle Luft aus Landsmans Lungen gesogen zu werden droht. Jemand sagt: »Ich sehe kein Kriegsbeil.«
Detective Landsman und Detective Shemets wünschen den Männern die Freude des Sabbats. Dann wenden sie ihre Aufmerksamkeit den Biks an der Tür zu, zwei untersetzten, rothaarigen, glotzäugigen Kerlen mit Stupsnase und einem dichten Wollbart vom rostigen Gold einer Rinderbrustsoße. Zwei rote Rudashevskys, Biks aus einer langen Ahnenreihe von Biks, gezüchtet auf Einfalt, Dummheit, Kraft und Leichtfüßigkeit.
»Professor Zimbalist«, sagt der Rudashevsky links der Tür. »Einen schönen Sabbat Ihnen!«
»Ihnen auch, Freund Rudashevsky. Ich bedauere, dass wir Ihren Wachdienst an diesem friedvollen Nachmittag stören müssen.« Der Grenz-Mejwen drückt die pelzige Ottomane fester auf seinen Kopf. Er setzt zu einer blumigen Eröffnung an, aber als er sich anschickt, die Schubladen seines Gesichts zu leeren, fallen keine weiteren Münzen heraus. Landsman greift in seine Jackentasche. Zimbalist steht einfach nur da, mit hängenden Armen, denkt vielleicht, es sei alles sein Fehler, es sei das Schachspiel, das den Jungen vom gottgewiesenen Pfad seines Ruhms abbrachte, und jetzt muss Zimbalist auch noch dort hinein und dem Vater das traurige Ende der Geschichte schildern. Landsman streift Zimbalists Schulter, die Finger um den glatten, kalten Hals der Flasche kanadischen Wodkas in seiner Tasche geschlossen. Er pocht mit der Flasche gegen Zimbalists knochige Klaue, bis der alte Knacker sie ergreift und streichelt.
»Nu, Yossele, ich bin Detective Shemets«, übernimmt Berko die Einsatzleitung und blinzelt mit einer Hand über den Augen in das zerstreute Gaslicht. Die Horde von Männern hinter ihnen beginnt zu murmeln, sie spüren, dass sich hier mit Geschwindigkeit etwas Schlechtes, Unglaubliches entwickelt. Der Wind schlägt die Schneeflocken an hundert Haken hin und her. »Was ist, Jid?«
»Detective«, sagt der Rudashevsky auf der rechten Seite, vielleicht Yosseles Bruder, vielleicht sein Cousin. Vielleicht beides. »Wir haben gehört, dass Sie in der Gegend sind.«
»Das ist Detective Landsman, mein Kollege. Könnten Sie bitte Rabbi Shpilman ausrichten, dass wir ihn gerne einen Moment sprechen würden? Glauben Sie uns bitte, wir würden ihn nicht zu dieser Stunde stören, wenn es nicht sehr wichtig wäre.«
Schwarzhüte, selbst Verbover, stellen normalerweise nicht das Recht oder die Autorität von Polizeibeamten in Frage, die in Harkavy oder auf Verbov Island ihrer Arbeit nachgehen. Sie kooperieren nicht, aber sie behindern normalerweise auch niemanden. Andererseits braucht man schon einen wirklich guten Grund, um so kurz vor dem heiligsten Moment der Woche das Heim des mächtigsten Rabbis im Exil zu betreten. Da muss man schon gekommen sein, um ihm beispielsweise zu sagen, dass sein einziger Sohn tot ist.
»Einen Moment mit dem Rebbe?«, sagt ein Rudashevsky.
»Und wenn Sie eine Million Dollar hätten, Detective Shemets, bei allem Respekt, und verzeihen Sie, wenn ich das sage«, sagt der andere, breiter an Statur und von stärker behaarter Haut als Yossele, und legt die Hand aufs Herz, »aber das kann nie genug sein.«
Landsman fragt Berko: »Hast du so viel Geld dabei?«
Berko stößt Landsman mit dem Ellenbogen in die Seite. Landsman ist in seinen ersten Dienstjahren nie bei den Schwarzhüten Streife gegangen, musste sich nie über einen trüben Meeresgrund aus Schweigen und leeren Blicken tasten, die ein U-Boot zerstören können. Landsman weiß einfach nicht, wie man angemessen Respekt erweist.
»Komm, Yossele! Shmerl, mein Lieber«, schmeichelt Berko. »Ich muss nach Hause an den Tisch. Lasst uns rein!«
Yossele zupft an dem kalbsbratenfarbenen Polster unter seinem Kinn. Dann beginnt der andere mit gedämpfter, gleichmäßiger Stimme zu sprechen. Der Bik trägt, verborgen hinter einer kastanienbraunen gekringelten Schläfenlocke, ein Headset mit Mikro und Knopf im Ohr.
»Ich soll mich höflichst erkundigen«, sagt der Bik nach einer Weile, und die Macht des Befehls huscht über seine Züge, macht sie weich und seine Ausdrucksweise gleichzeitig steif, »in welcher Angelegenheit die ehrenwerten Herren so spät am Freitagnachmittag zum Haus des Rebbes möchten.«
»Idioten!«, sagt Zimbalist — er hat einen Schluck Wodka intus — und jagt die Treppe hinauf wie ein närrischer Bär auf einem Einrad. Er greift nach den Aufschlägen von Yossele Rudashevskys Mantel und tanzt mit ihnen, links und rechts, Zorn und Trauer. »Sie sind wegen Mendele hier!«