»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen das sagen soll«, sagt der große Mann mit dem ungleichmäßigen Bart. Seine Stimme scheint zu lange in seiner Brust herumzuhüpfen, ehe sie herauskommt. Die Worte lösen sich nur schwer, werden langsam mit einer Kelle geschöpft. »Aber Ihr Taxi ist gerade ohne Sie abgeflogen.«
»Will ich irgendwohin?«, sagt Landsman.
»Hier bleiben Sie jedenfalls nicht, mein Freund«, sagt der Mann im Tweedanzug. Bei dem Wort Freund scheint jegliche Freundlichkeit aus ihm zu sickern.
»Aber ich habe reserviert«, sagt Landsman, ohne die ruhelosen Hände des großen Kerls aus den Augen zu lassen. »Ich bin jünger, als ich aussehe.«
Ein Geräusch wie Knochen in einem Eimer, irgendwo im Wald.
»Gut, ich bin kein Kind mehr, und ich habe auch nicht reserviert, aber ich habe wirklich ein Alkoholproblem«, sagt Landsman. »Das ist doch schon mal was.«
»Mister —«, sagt der Mann im Tweedanzug und steigt eine Stufe tiefer. Landsman kann den bitteren Tabak in seiner Pfeife riechen.
»Hören Sie«, sagt Landsman. »Ich hab von der guten Arbeit gehört, die ihr hier macht, okay? Ich habe alles versucht. Ich weiß, es ist verrückt, aber ich weiß wirklich nicht mehr weiter und habe keine Ahnung, wo ich sonst hingehen soll.«
Der Mann im Tweedanzug dreht sich zu dem großen Kerl weiter oben um. Die beiden scheinen keine Ahnung zu haben, wer Landsman ist oder was sie von ihm halten sollen. Der ganze Spaß der vergangenen Tage, insbesondere der marternde Flug von Yakovy hierher, hat offensichtlich den Nos ein wenig von Landsmans Ausstrahlung genibbelt. Er hofft und fürchtet, dass er wie ein Loser aussieht, der sein Pech in einer Tasche mit sich herumschleppt.
»Ich brauche Hilfe«, sagt er, und zu seiner Überraschung werden seine Augen heiß von Tränen. »Mir geht’s dreckig.« Seine Stimme bricht. »Das gebe ich gerne zu.«
»Wie heißen Sie?«, sagt der große Mann langsam. Seine Augen sind warm, aber ohne Freundlichkeit. Sie bedauern Landsman, ohne sich sonderlich für ihn zu interessieren.
»Felnboyger«, probiert Landsman. Den Namen zieht er aus einem alten Festnahmeprotokoll. »Lev Felnboyger.«
»Weiß jemand, dass Sie hier sind, Mr. Felnboyger?«
»Nur meine Frau. Und der Pilot natürlich.«
Die beiden Männer schauen sich an, und Landsman merkt, dass sie sich gut genug kennen, um sich, ohne zu sprechen oder etwas anderes als die Augen zu bewegen, einen heftigen Streit liefern zu können.
»Ich bin Dr. Roboy«, sagt der Lange schließlich. Er schwenkt eine Hand in Landsmans Richtung wie eine Kranladung am Ende eines Seils. Landsman will ihr aus dem Weg gehen, ergreift aber dennoch die kühle, trockene Masse. »Bitte, Mr. Felnboyger, kommen Sie doch herein.«
Er folgt den beiden über die geschliffenen Tannenbohlen der Veranda. Oben in den Balken entdeckt er ein Wespennest, und kurz sucht Landsman es auf Lebenszeichen ab, aber es wirkt so verlassen wie jedes andere Bauwerk auf diesem Berg.
Sie gelangen in einen leeren Empfangsraum, der mit weichen beigen Schaumstoffquadern eingerichtet ist wie eine Fußpflegepraxis. Langweiliger, niederfloriger Teppich, eierkartongrau. An der Wand hängen abgedroschene Markenzeichen des Lebens in Sitka, Lachsboote und Jeschiwa-Jungmänner, die Café-Gesellschaft auf der Monastir Street, ein swingender Klezmer, der ein stilisierter Nathan Kalushiner sein könnte. Wieder hat Landsman das unbehagliche Gefühl, dass das alles erst am Morgen so hergerichtet wurde. In den Aschenbechern ist keine einzige Ascheflocke. Das Regal mit dem Informationsmaterial ist gut bestückt: Drogenabhängigkeit — Wer braucht das? Und Leben: geborgt oder für immer? Ein Thermostat an der Wand seufzt, als leide es unter der Eintönigkeit. Der Raum riecht nach neuem Teppich und gelöschter Pfeife. Über der Tür zu einem mit Teppich ausgelegten Flur steht auf einem Schild: EINRICHTUNG DES EINGANGSBEREICHS GESTIFTET VON BONNY UND RONALD LEDERER, BOCA RATON, FLORIDA.
»Nehmen Sie bitte Platz«, sagt Dr. Roboy mit seiner schweren schwarzen Sirupstimme. »Fligler?«
Der Mann im Tweedanzug geht zurück zur Eingangstür, öffnet den linken Flügel und prüft die Verriegelung oben und unten. Dann schließt er ihn wieder, verriegelt die Tür und steckt den Schlüssel ein. Er geht an Landsman vorbei, streift ihn mit seiner gepolsterten Tweedschulter.
»Fligler«, sagt Landsman und greift vorsichtig nach dem Arm des kleinen Mannes. »Sind Sie auch Arzt?«
Fligler schüttelt Landsmans Hand ab. Er holt ein Streichholzheft aus der Tasche.
»Und wie«, sagt er ohne jede Aufrichtigkeit oder Überzeugung.
Mit den Fingern der rechten Hand schält er ein Streichholz aus dem Heftchen, reißt es an und hält es an den Kopf seiner Pfeife, alles in einer fließenden Bewegung. Während die rechte Hand Landsman mit dieser kleinen Vorstellung unterhält, taucht die linke in die Tasche von Landsmans Sakko und holt die ‚22 hervor.
»Das hier ist Ihr Problem, genau das«, sagt Fligler und hält die Waffe hoch, sodass jeder sie sehen kann. »Und jetzt sehen Sie sich den Arzt an.«
Landsman schaut gehorsam zu, wie Fligler die Waffe hebt und sie mit dem scharfen Blick eines Mediziners mustert. Doch eine Minute später schlägt eine Tür irgendwo in Landsman Kopf zu, und danach wird er — eine halbe Sekunde lang — vom Summen Tausender Wespen abgelenkt, die durch die Veranda seines linken Ohres hereinfliegen.
30.
Auf dem Rücken liegend, kommt Landsman zu sich, über ihm eine Reihe riesiger, gusseiserner Kessel. Mit ihren kräftigen Haken baumeln sie an einem Gitter exakt einen Meter über seinem Kopf. In Landsmans Nase mischt sich der nostalgische Geruch von Zeltlagerküche, Gas und Spülmittel, von verschmorten Zwiebeln und hartem Wasser mit dem schwachen Gestank einer Angelkiste. Unter seinem Kopf spürt er Metall, ein kalter Schauer böser Vorahnung. Er liegt ausgestreckt auf einer langen Edelstahltheke, die Hände in Handschellen unter sich, gegen sein Kreuzbein gedrückt. Barfuß, sabbernd und bereit, ausgenommen und mit einer Zitrone und vielleicht einem hübschen Salbeizweig in der Bauchhöhle dekoriert zu werden.
»Ich hab schon so einiges über Sie gehört«, sagt Landsman. »Kannibalismus war nicht dabei.«
»Ich würde Sie nicht essen, Landsman«, bekräftigt Baronshteyn. »Selbst dann nicht, wenn ich der hungrigste Mann in Alaska wäre und Sie mir mit einer silbernen Gabel vorgesetzt würden.« Er sitzt auf einem Barhocker links von Landsman, die Arme hinter dem Vorhang seines üppigen schwarzen Bartes verschränkt. »Ich habe nicht viel übrig für sauer Eingelegtes.«
Baronshteyn trägt nicht seine Berufskleidung, sondern eine neue blaue Arbeitshose und ein in die Hose gestecktes, fast völlig zugeknöpftes Flanellhemd. Einen dicken Ledergürtel mit schwerer Schnalle und schwarze Rangerstiefel. Das Hemd ist zu groß für seine Statur, die Hose steif wie ein Plätteisen. Abgesehen von seiner Jarmulke sieht Baronshteyn aus wie ein mageres kleines Kind, das sich für eine Schulaufführung als Holzfäller verkleidet hat, falscher Bart inklusive. Er hat die Stiefelabsätze in die Querstrebe des Hockers gehakt, sodass sein Hosenbein hochwandert und einige strumpflose Zentimeter schmalen Schienbeins verrät.
»Wer ist dieser Jid?«, sagt der hagere Riese Roboy. Landsman verrenkt sich den Hals, um den Arzt zu sehen, der auf einem Barhocker zu seinen Füßen thront — wenn er denn Arzt ist. Ringe unter den Augen wie Graphitspuren. Neben ihm steht Krankenpfleger Fligler, den Gehstock über den Arm gehakt, und sieht zu, wie eine Papiros in der Obhut seiner rechten Hand stirbt. Die linke Hand steckt unheilvoll in der Tasche seines Tweedsakkos. »Woher kennen Sie ihn?«
Ein Arsenal von Messern, Hackebeilen und anderen Werkzeugen an einer magnetischen Schiene entlang der Küchenwand befindet sich in bequemer Reichweite des fleißigen Küchenchefs oder Schlossers.