»Fligler …«, sagt Roboy und wischt sich mit seiner riesigen Hand über den Mund.
»Bitte, Fligler«, sagt Landsman. »Schneiden Sie mir die Kehle durch. Ich wäre Ihnen dankbar. Na los, Sie Memme.«
Auf der anderen Seite der Küchentür brausen erregte Männerstimmen auf. Zwei Füße scharren über den Flur, zögern, wollen klopfen. Nichts geschieht.
»Was ist?«, fragt Roboy bitter.
»Auf ein Wort, Herr Doktor«, sagt eine Stimme, jung, amerikanisch, auf Englisch.
»Tun Sie nichts«, sagt Roboy. »Warten Sie.«
Kurz bevor die Tür hinter Roboy ins Schloss fällt, hört Landsman eine Stimme, die zu sprechen beginnt, ein Sturm eckiger Silben, die sein Kopf als kehlige Laute registriert.
Fligler drückt sein Gewicht noch schwerer in Landsmans Kreuz. Es folgt die gewisse Befangenheit von Fremden in einem Fahrstuhl. Baronshteyn sieht auf seine feine Schweizer Uhr.
»Wie viel davon war richtig?«, sagt Landsman. »Nur damit ich Bescheid weiß.«
»Ha«, sagt Fligler. »Dass ich nicht lache.«
»Roboy ist ein ausgebildeter Rehabilitationstherapeut«, sagt Baronshteyn mit demonstrativ geduldiger Toleranz. Er klingt erstaunlich wie Bina, wenn sie mit einem der fünf Milliarden Menschen spricht, die ihrer Meinung nach letztendlich Idioten sind, inklusive Landsman. »Man hat hier wirklich versucht, dem Sohn des Rebbe zu helfen. Mendels Aufenthalt war absolut freiwillig. Als er sich entschied zu gehen, hatte man keine Möglichkeit, ihn aufzuhalten.«
»Das hat Ihnen bestimmt das Herz gebrochen«, sagt Landsman.
»Was meinen Sie damit?«
»Ich nehme an, ein geheilter Mendel Shpilman bedeutete keine Gefahr für Sie? Für Ihren Status als gesetzlicher Erbe?«
»Oj«, sagt Baronshteyn. »Was wissen Sie schon.«
Die Tür geht auf, und Roboy schlüpft wieder herein, die Augenbrauen erhoben. Kurz bevor die Küchentür zufällt, erhascht Landsman einen Blick auf zwei bärtige junge Männer in schlecht sitzenden schwarzen Anzügen. Große Jungs, einer mit der schwarzen Schnecke eines Kopfhörers in der Ohrmuschel. Außen an der Tür steht auf einem kleinen Schild KÜCHENAUSSTATTUNG GESTIFTET VON MR. UND MRS. LANCE PEARLSTEIN, PIKESVILLE, MD.
»In acht Minuten«, sagt Roboy. »Maximal zehn.«
»Kommt jemand?«, fragt Landsman. »Wer? Heskel Shpilman? Oder weiß er sogar, dass Sie hier sind, Baronshteyn? Sind Sie hier, um mit diesen Leuten ins Geschäft zu kommen? Will man hier in Verbover Geschäfte einsteigen? Was hatten die mit Mendel vor? Wollten Sie ihn benutzen, um den Rebbe zum Handeln zu zwingen?«
»Mir scheint, Sie müssten Ihren Brief nochmal durchlesen«, bemerkt Baronshteyn. »Oder sich von Sender Slonim erzählen lassen, was drinsteht.«
Auf der anderen Seite der Tür hört Landsman Leute herumlaufen. Stuhlbeine kreischen über den Holzboden. In der Ferne das Surren und Klicken eines elektrischen Motors, ein davonsirrender Golfcaddy.
»Wir können das jetzt nicht machen«, sagt Roboy und stellt sich neben Landsman, ragt drohend über ihm auf. Sein dichter Bart beflockt sein gesamtes Gesicht von den Wangenknochen abwärts, floriert in seinen Nasenlöchern, windet sich in feinen Ranken von seinen Ohrläppchen hinab. »Das Letzte, was er will, ist irgendeine Schweinerei. Gut, Detective.« Seine langsame Stimme wird sirupartig und sofort wärmer. Eine oberflächliche Zuneigung durchzieht sie, und Landsman wird starr, wartet auf das Schlimme, das nun sicherlich folgen wird. Es stellt sich als ein Stich in den Arm heraus, schnell und gekonnt.
In den verträumten Sekunden, die dem Verlust seines Bewusstseins vorangehen, läuft die gutturale Sprache, die Landsman Roboy sprechen hörte, wie eine Aufnahme in seinem Ohr ab, und Landsman vollführt einen verblüffenden Sprung in eine unmögliche Erkenntnis. Er gleicht dem plötzlichen Gewahrwerden in einem Traum, dass man eine großartige Theorie erfunden oder ein schönes Gedicht geschrieben hat, was sich am nächsten Morgen als Geschwurbel herausstellt. Diese Juden auf der anderen Seite der Tür, sie reden über Rosen und Weihrauch. Sie stehen im Wüstenwind, unter Dattelpalmen, und Landsman ist bei ihnen, in fließenden Gewändern, die ihn vor der biblischen Sonne schützen, sie sprechen Hebräisch, und alle sind sie Freunde und Brüder, und die Berge springen wie Widder und die Hügel wie kleine Lämmer.
31.
Landsman erwacht aus einem Traum, in dem er sein rechtes Ohr in die Propellerblätter einer Cessna 206 hält. Er reckt sich unter einer feuchtkalten, nicht angeschlossenen Heizdecke in einem Zimmer, das nicht viel größer ist als das Feldbett, auf dem er ausgestreckt liegt. Mit einem vorsichtigen Finger betastet er seinen Kopf. Wo Fligler ihn ursprünglich bewusstlos schlug, ist die Haut geschwollen und feucht. Seine linke Schulter tut ebenfalls höllisch weh.
Durch das schmale Fenster über dem Feldbett lässt ein Rollo aus Metallrippen das enttäuschte Grau eines Novembernachmittags in Südostalaska sickern. Es ist weniger ein hereinsickerndes Licht als vielmehr ein Lichtrückstand, ein Tag, der von der Erinnerung an die Sonne gequält wird.
Landsman versucht, sich aufzusetzen, und stellt fest, dass seine Schulter derart stark schmerzt, weil jemand so freundlich war, sein linkes Handgelenk an ein Metallbein des Bettrahmens zu ketten. Im Schlaf hat Landsman den Arm über den Kopf gerissen und seine Schulter durch Herumwerfen und -wälzen mit einer brutalen Methode chiropraktisch bearbeitet. Dieselbe freundliche Seele, die ihn ankettete, war zuvorkommend genug, seine Hose, sein Hemd und seine Jacke zu entfernen, sodass er, wieder einmal, nicht mehr als ein Mann in Unterhose ist.
Am Kopfende kommt er auf die Füße. Dann schiebt er sich rückwärts von der Matratze, damit er so kauern kann, dass sich der linke Arm in einem natürlicheren Winkel befindet. Die gefesselte Hand ruht auf dem Boden. Der Boden ist aus gelbem Linoleum, es hat die Farbe eines gebrauchten Zigarettenfilters und ist so kalt wie das Stethoskop eines Arztes. Es wartet mit einer umfangreichen Sammlung von Wollmäusen, perückenähnlichen Staubflocken und einer schwarzen Sichel toter Kriebelmücken auf. Die Wände bestehen aus Hohlziegeln, die in einem schweren, hochglänzenden Zahnpastablau gestrichen wurden. An der Wand direkt neben Landsmans Kopf hat eine vertraute Hand in dem Mörtel zwischen zwei Hohlziegeln eine kleine Botschaft für ihn hinterlassen: HAFTZELLE GESTIFTET VON NEAL UND RISA NUDELMAN, SHORT HILLS, NEW JERSEY. Er möchte lachen, aber beim Anblick der drolligen Buchstaben seiner Schwester an diesem Ort richten sich seine Nackenhaare auf.
Abgesehen vom Bett ist der einzige weitere Gegenstand ein Mülleimer aus Metall in der Ecke hinter der Tür. Er ist für Kinder, blau und gelb, darauf tollt ein Comichund über eine Gänseblümchenwiese. Lange starrt Landsman den Mülleimer an, denkt an nichts, denkt an Kindermüll und Comichunde. Zum Beispiel an das mulmige Gefühl, das Pluto immer in ihm auslöste, ein Hund in Besitz einer Maus, tagtäglich konfrontiert mit dem grausam mutierten Goofy. Ein unsichtbares Gas umwölkt Landsmans Gedanken, Abgase von einem Bus, der mit laufendem Motor mitten in seinem Hirn parkt.
Er kauert noch eine weitere Minute oder länger neben dem Bett, sammelt sich wie ein Bettler, der auf dem Bürgersteig verstreute Münzen aufklaubt. Dann schleppt er das Feldbett zur Tür und setzt sich darauf. Mit nackten Fersen tritt er gegen die Tür, systematisch und unkontrolliert zugleich. Es ist eine hohle Stahltür, die beim Dagegentreten ein donnerndes Geräusch erzeugt. Anfangs ist es erfreulich, aber die Freude verblasst schnell. Als Nächstes versucht es Landsman mit dem wiederholten lauten Ruf: »Hilfe, ich habe mich geschnitten und verblute!« Er schreit, bis er heiser ist, und tritt, bis seine Füße pochen.
Irgendwann ist er des Tretens und Schreiens müde. Er muss urinieren. Dringend. Er betrachtet den Mülleimer, dann die Tür. Vielleicht ist es der Rest des Medikaments in seinem Blut oder der Hass, den er auf dieses winzige Zimmer verspürt, in dem seine Schwester ihre letzte Nacht auf Erden verbrachte, der Hass auf diese Männer, die ihn nackt darin anketteten. Vielleicht hat sein wütendes Geschrei ihn tatsächlich wütend gemacht. Aber die Vorstellung, in einen Mülleimer von Shnapish dem Hund pinkeln zu müssen, macht Landsman sauer.