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Abrupt endet der Wald, und Landsman steht vor einem Maschinenschuppen, graues Stahlblech, keine Fenster, gewelltes Plastikdach. Ein skrotales Paar Propangastanks drückt sich an die Außenwand des Gebäudes. Der Wind ist hier noch schneidender, Landsman spürt ihn wie kochend heißes Wasser auf der Haut. Er läuft auf die andere Seite des Schuppens, der am Rand einer kahlen, mit Stroh bedeckten Fläche steht. Weit in der Ferne löst sich ein Streifen grünen Grases im wabernden Nebel auf. Ein Kiesweg führt entlang dem nackten Strohfeld vom Schuppen weg. Fünfzig Meter weiter gabelt sich der Weg. Ein Zinken führt nach Osten, auf den Grünstreifen zu. Der andere verläuft geradeaus und verschwindet zwischen dunklen Bäumen. Landsman dreht sich wieder zum Schuppen um. An der Seite ist ein großes Rolltor. Donnernd schiebt Landsman es auf. In Einzelteile zerlegte Kühler, kryptische Maschinenteile, eine mit arabischen Schriftzeichen aus schwarzen Gummischläuchen bedeckte Wand. Und direkt neben dem Tor dieser kleine dreirädrige elektrische Wagen namens Zumzum (nach Mobiltelefonen der Marke Shoyfer der zweitgrößte Exportartikel des Distrikts). Dieses Gefährt verfügt über eine Ladefläche, die wiederum von einem Ring schlammbeschmierten schwarzen Gummis umgeben ist. Landsman klettert hinters Lenkrad. So kalt sein Hintern und der vom Yukon herüberwehende Wind auch sind — der Vinylsitz des Zumzums ist noch kälter. Landsman drückt auf den Startknopf. Er tritt auf das Pedal, und mit einem Bumm und einem Surren des Differenzialgetriebes geht es los. Er rumpelt hoch bis zu der Weggabelung und kann sich nicht entscheiden zwischen dem Wald und dem heiteren grünen Band, das wie ein Versprechen von Friedlichkeit im Nebel verschwindet. Dann drückt er das Pedal durch.

Kurz bevor er die Tannen erreicht, schaut er sich um und sieht, dass die Jids von Peril Strait ihm auf den Fersen sind. Ein großer schwarzer Ford Caudillo rast um den Lagerschuppen, dass der Kies nur so spritzt. Landsman hat keine Ahnung, woher das Auto gekommen ist oder wie es überhaupt hierhergelangte; aus der Luft hat er keine Wagen gesehen. Es ist fünfhundert Meter hinter Landsmans Zumzum und holt schnell auf.

Im Wald weicht der Schotter einem schlichten Pfad, der vorbeihuscht an hübschen Sitka-Fichten, erhaben und verschwiegen. Während Landsman dahinsurrt, erblickt er einen hohen Maschendrahtzaun zwischen den Tannen, gekrönt von bunt blitzenden Stacheldrahtlocken. Der Maschendraht ist mit grünen Plastikstäben durchwoben. An einigen Stellen sind Lücken im grünen Gewebe des Zauns.

Durch diese Schlitze erhascht Landsman einen Blick auf eine weitere Metallblechhütte, eine Lichtung, Pfähle, Querbalken, verflochtene Kabel. Ein großer Rahmen, in den ein Gepäcknetzgespinst gespannt ist, geschwollene Stacheldrahtspulen, Schaukeln. Es könnte eine sportliche Einrichtung sein, ein therapeutischer Spielplatz für genesende Menschen. Na klar, und die Leute in dem Caudillo wollen Landsman nur seine Hose bringen.

Der schwarze Wagen ist jetzt keine zweihundert Meter mehr entfernt. Der Passagier auf dem Beifahrersitz lässt die Fensterscheibe hinunter und klettert heraus, setzt sich in die Tür. Mit einer Hand hält er sich an der Dachreling fest. Die andere Hand, beobachtet Landsman, ist damit beschäftigt, eine Feuerwaffe zu betätigen. Sie gehört einem lieblichen, jungen, bärtigen Mann mit kurzem Haar, der einen schwarzen Anzug und eine nüchterne Krawatte trägt wie Roboy. Er nimmt sich Zeit mit dem Schuss, rechnet die schwindende Entfernung ein. Um seine Hand herum erblüht ein Blitz, und dann explodiert das kleine Zumzum mit einem Knall in einem Regen aus Fiberglassplittern. Landsman stößt einen Schrei aus und nimmt den Fuß vom Gaspedal. So viel zum Thema »keine Schweinerei«.

Drei oder fünf Meter trägt ihn der Schwung noch rumpelnd weiter, dann ist Schluss. Der junge Mann im Fenster des Caudillo hebt den Schussarm und nimmt sich kurz Zeit, um die Wirkung seines Schusses zu prüfen. Das gezackte Loch in der Fiberglaskarosserie des Zumzums enttäuscht den armen Kerl wahrscheinlich ein wenig. Aber er wird sich freuen, dass sein bewegliches Ziel jetzt stehen geblieben ist. Der nächste Schuss wird deutlich einfacher sein. Der Junge lässt seinen Arm fast ostentativ, fast grausam geduldig und langsam wieder sinken. In seiner Sorgfalt und seinem sparsamen Umgang mit Patronen erkennt Landsman das Gütesiegel harter Ausbildung und das sportliche Verständnis von Ewigkeit.

Kapitulation entrollt sich um Landsmans Herz wie der Schatten einer Flagge. Er kann dem Caudillo nicht entkommen, nicht in einem zerschossenen Zumzum, das an einem guten Tag maximal fünfundzwanzig Stundenkilometer gemacht hat. Eine warme Decke, vielleicht eine heiße Tasse Tee — das erscheint Landsman jetzt die angemessene Entschädigung für sein Versagen. Der Caudillo schießt auf ihn zu und kommt in einer Gischt von Tannennadeln zum Stehen. Drei Türen schwingen auf, drei Männer steigen aus, schwerfällige junge Jids in schlecht sitzenden Anzügen und meteoritenschwarzen Schuhen. Sie richten ihre Automatikwaffen auf Landsman. Die Pistolen scheinen in ihren Händen zu summen, als seien sie wilde Tiere oder als sei ein Kreisel in ihnen verborgen. Die Schützen können sie kaum noch bändigen. Harte Kerle mit fliegenden Schlipsen und sauber getrimmten Bärten und kleinen Jarmulkes, gehäkelten Untertassen.

Die hintere Tür auf Landsmans Seite bleibt fest verschlossen, aber dahinter macht er den Umriss einer vierten Person aus. Die harten Kerle mit den ernsten Frisuren und den einheitlichen Anzügen nähern sich Landsman. Er steht auf und dreht sich mit erhobenen Händen um.

»Ihr seid Klone, stimmt’s?«, sagte er zu den dreien, die ihn umringen. »Am Schluss sind es immer Klone.«

»Shut up«, sagt der harte Kerl, der ihm am Nächsten ist, und Landsman will ihm gerade beipflichten, als er ein Geräusch hört. Es klingt, als würde etwas Faseriges und gleichzeitig Glitschiges langsam entzweigerissen. In der Zeit, die er braucht, um in den Augen der harten Kerle zu erkennen, dass auch sie es hören, wird das Geräusch eindringlicher und schwillt zu einem steten Klatschen an, wie ein Blatt Papier in einem Ventilator. Das Geräusch wird lauter und differenzierter. Wird zum trockenen Husten eines alten Mannes. Zu einem schweren Schraubenschlüssel, der auf einen kalten Betonboden scheppert. Zu den Blähungen eines im Wohnzimmer aufgeblasenen und dann losgelassenen Luftballons, der eine Lampe umwirft. Durch die Tannen hindurch erscheint ein kleines Licht, taumelnd und torkelnd wie eine Hummel, und plötzlich weiß Landsman, was das ist.

»Dick«, sagt er nur, nicht ohne Verwunderung, und erschaudert bis auf die Knochen. Das Licht stammt von einer alten Sechsvoltleuchte, nicht stärker als eine große Taschenlampe, schwach flackernd in der Düsternis des Tannenwalds. Der das Licht zu der Gruppe von Juden treibende Motor ist ein Zweizylinder, eine Spezialanfertigung. Man hört die Federn in der Vordergabel, die jeden Stoß im Boden abfangen.

»Das Arschloch«, murmelt einer der harten Kerle. »Mit seinem verfluchten Spielzeugmotorrad.«

Landsman hat verschiedene Geschichten über Inspector Willie Dick und sein Motorrad gehört. Manche sagen, es sei eine Spezialanfertigung für einen ausgewachsenen Millionär aus Bombay mit einem besonders kleinen Körperbau gewesen, andere behaupten, es sei ursprünglich dem Prinzen von Wales zum dreizehnten Geburtstag geschenkt worden, und wieder andere verbreiten, es habe einst einem waghalsigen Draufgänger in einem Zirkusdorf unten in Texas oder Alabama oder an einem ähnlich exotischen Ort gehört. Auf den ersten Blick ist es eine übliche Royal Enfield Crusader aus dem Jahr 1961, Metallgrau im Sonnenlicht, die herrlichen Chromteile aufwendig restauriert. Man muss sich auf die Maschine setzen oder sie neben einem normal großen Motorrad sehen, um zu erkennen, dass sie in Zweidrittelmaßstab gebaut ist. Willie Dick ist zwar ausgewachsen und siebenunddreißig Jahre alt, aber nur ein Meter achtunddreißig groß.