Er rattert am Zumzum vorbei, hält quietschend an und lässt den ältlichen britischen Motor ersterben. Dann steigt er ab und stolziert auf Landsman zu.
»Was soll der Scheiß?«, sagt er und zieht dabei die Handschuhe aus, schwarze Lederhandschuhe von der Art, wie sie Max von Sydow tragen könnte, wenn er Erwin Rommel spielt. Im Gegensatz zu Dicks jungenhafter Gestalt ist seine Stimme erstaunlich volltönend und tief. Er beschreibt einen langsamen, abschätzenden Kreis um die Blume des jüdischen Gesetzesvollzugs. »Detective Meyer Landsman!« Dann wendet er sich den harten Kerlen zu, inspiziert demonstrativ ihre Härte. »Meine Herren.«
»Inspector Dick«, sagt derjenige, der Landsman befahl, den Mund zu halten. Er hat eine verstohlene, gefeilte Knastattitüde, eine zu einem Ausbruchswerkzeug geschliffene Zahnbürste. »Was führt Sie in unsere abgelegene Ecke?«
»Bei allem Respekt, Mr. Gold — so heißen Sie doch, oder? Ja —, das hier ist verdammt nochmal meine abgelegene Ecke.« Dick tritt aus der Gruppe um Landsman. Er schaut ins Auto, um einen Blick auf die dunkle Gestalt zu werfen, die im Caudillo sitzt und alles beobachtet. Landsman ist sich nicht sicher, aber derjenige, der da sitzt, scheint nicht groß genug für Roboy oder den goldenen Mann im Pinguin-Pulli zu sein. Ein zusammengekauerter kleiner Schatten, heimlichtuerisch und wachsam. »Ich war vor euch hier, und ich bin noch hier, wenn ihr Jids längst wieder weg seid.«
Detective Inspector Wilfred Dick ist ein Vollblut-Tlingit, ein Nachfahre von Chief Dick, der für das letzte Todesopfer in der Geschichte der Beziehungen zwischen Russen und Tlingit verantwortlich war. Er gab einen tödlichen Schuss auf einen übriggebliebenen, halb verhungerten russischen U-Boot-Matrosen ab, den er 1948 dabei erwischte, wie er in der Stag Bay seine Krabbenkörbe plünderte. Willie Dick ist verheiratet und hat neun Kinder mit seiner ersten und einzigen Frau, die Landsman noch nie gesehen hat. Natürlich ist sie angeblich eine Riesin. 1993 oder ’94 schloss Dick das Schlittenhunderennen von Iditarod erfolgreich ab, kam als neunter von siebenundvierzig Teilnehmern ins Ziel. Er hat einen Doktor in Kriminologie von der Gonzaga University in Spokane, Washington. Dicks erste Amtshandlung als erwachsener Mann seines Stammes war, mit einem alten Bostoner Walfänger von seinem Dorf in Stag Bay zum Präsidium der Stammespolizei in Angoon zu fahren, um den Superintendenten dort zu überzeugen, in seinem Fall die minimal erforderliche Größe für Polizeibeamte abzusenken. Die Geschichten, wie er das erreichte, sind verleumderisch, obszön, unglaubhaft oder eine Kombination dieser drei Adjektive. Willie Dick besitzt alle bekannten schlechten Eigenschaften von sehr kleinen, sehr intelligenten Männern: Er ist eitel, überheblich, krankhaft ehrgeizig und hat ein gutes Gedächtnis für Unrecht und Kränkung. Gleichzeitig ist er ehrlich, hartnäckig und furchtlos, und er schuldet Landsman einen Gefallen; Dick hat auch ein gutes Gedächtnis für Gefallen.
»Ich versuche mir vorzustellen, was ihr verrückten Hebräer im Schilde führt, aber jede meiner kleinen Theorien ist beschissener als die nächste«, sagt er.
»Der Mann ist Patient bei uns«, sagt Gold. »Er wollte nur ein bisschen früher gehen, mehr nicht.«
»Deshalb wollten Sie ihn erschießen«, sagt Dick. »Das sind ja vielleicht heftige Therapiemethoden, Jungs. Verdammt! Strikt nach Freud, was?«
Er dreht sich wieder zu Landsman um und mustert ihn von oben bis unten. Dicks dunkles Gesicht ist auf gewisse Weise schön, er hat leidenschaftliche Augen, die aus der Deckung einer klugen Stirn operieren, dazu ein Grübchen am Kinn und eine gerade, gleichmäßige Nase. Als Landsman Dick zum letzten Mal sah, musste der Tlingit mehrmals eine Lesebrille aus der Hemdtasche holen und aufsetzen. Jetzt hat er dem Alter nachgegeben und Gefallen gefunden an einem schicken italienischen Modell aus gebürstetem schwarzem Metall, eine Brille, wie sie alternde britische Rockgitarristen gerne in nachdenklichen Interviews zur Schau stellen. Er trägt eine steife schwarze Jeans, schwarze Cowboystiefel und ein rot-schwarz kariertes Hemd mit offenem Kragen. Über seinen Schultern trägt er, wie immer, eine Art Kurzmantel, festgezurrt mit einem geflochtenen Rohledergürtel, der aus dem Fell eines von ihm selbst gejagten und erlegten Bären gefertigt wurde. Er ist ein affektierter Mensch, dieser Willie Dick — er raucht schwarze Zigaretten —, aber er ist ein guter Kriminalbeamter.
»Herrgott nochmal, Landsman. Du siehst aus wie der Schweinefötus, den ich mal eingelegt in einem Glas gesehen hab.«
Mit den Fingern einer Hand löst er den Flechtgürtel und streift den Mantel ab. Dann wirft er ihn Landsman zu. Im ersten Moment ist er kalt wie Stahl auf Landsmans Haut, dann herrlich warm. Dick behält das höhnische Grinsen bei, löscht aber in Landsmans Interesse — nur er kann es sehen — jede Spur von Humor aus seinem Blick.
»Ich hab mit deiner Exfrau gesprochen«, sagt er, fast im Flüsterton. Es ist die Stimme, mit der er Verdächtige bedroht und Zeugen einschüchtert. »Nachdem ich deine Nachricht bekommen habe. Du hast weniger Recht, hier zu sein, als eine blinde afrikanische Strandratte, Landsman.« Dick hebt fast theatralisch die Stimme. »Detective Landsman, was, habe ich gesagt, würde ich mit Ihrem jüdischen Arsch tun, wenn ich Sie noch einmal dabei erwische, wie Sie unbekleidet im Indianerland herumlaufen?«
»W-weiß ich nicht mehr«, sagt Landsman, ergriffen von einem heftigen Zittern der Dankbarkeit und der Hilflosigkeit. »Sie h-haben so viel gesagt.«
Nun geht Dick zum Caudillo hinüber und klopft an die Tür, als wolle er eintreten. Die Tür öffnet sich, und Dick unterhält sich mit gesenkter Stimme mit demjenigen, der im Wagen sitzt und es warm hat. Nach einer Weile kommt Dick zurück und sagt zu Gold: »Der Verantwortliche will Sie sprechen.«
Gold geht um die offene Tür herum, um mit dem Verantwortlichen zu sprechen. Als er zurückkommt, sieht er aus, als seien seine Nebenhöhlen durch die Ohren herausgezogen worden und als sei Landsman schuld daran. Er nickt Dick zu, einmal.
»Detective Landsman«, sagt Dick. »Es tut mir verdammt leid, aber ich muss Sie verhaften.«
32.
In der Notaufnahme des indianischen Krankenhauses von St. Cyril mustert der Arzt Landsman und erklärt ihn für hafttauglich. Der Arzt heißt Rau und kommt aus Madras, und er hat schon alle Witze über Kolumbus’ Fehler gehört. Er sieht gut aus, ein wenig wie Sal Mineo — große Augen wie Obsidiane und ein Mund wie ein Zuckergussröschen. Leichte Erfrierungen, sagt er zu Landsman, nichts Ernstes, obwohl Landsman eine Stunde und siebenundvierzig Minuten nach seiner Befreiung scheinbar immer noch nicht den Tremor unterdrücken kann, der aus seinem Innersten aufsteigt und seinen Körper erschüttert. Er friert bis in die letzten Zellen seiner Knochen.
»Wo ist der große Hund mit dem kleinen Weinbrandfässchen um den Hals?«, fragt Landsman, nachdem der Arzt ihm sagt, er könne die Decke ablegen und die Gefängniskleidung überziehen, die säuberlich gefaltet neben dem Waschbecken liegt. »Wann kommt der?«
»Mögen Sie Weinbrand?«, fragt Dr. Rau, als lese er aus einem Buch ab, als hätte er nicht das geringste Interesse weder an den Fragen noch an den Antworten, die Landsman hervorbringen mag. Landsman erkennt in der Frage augenblicklich den klassischen Vernehmungston, so kalt, dass es brennt. Dr. Raus Blick bleibt entschlossen auf eine leere Ecke des Raumes gerichtet. »Haben Sie das Gefühl, dass Sie welchen brauchen?«
»Wer hat hier von brauchen geredet?«, sagt Landsman und nestelt am Knopfschlitz seiner abgetragenen Köperhose. Arbeitshemd aus Baumwolle, Leinenschuhe ohne Schnürsenkel. Man will ihn wie einen Säufer kleiden, wie einen Penner oder einen anderen Loser, der nackt an der Anmeldung auftaucht, obdachlos, ohne nachweisbare Einkommensquelle. Die Schuhe sind zu groß, aber sonst passt alles perfekt.