»Versteht sich von selbst«, sagt Berko.
»Uns geht es genauso in Bezug auf dich«, sagt Landsman.
»Ich meine damit: mit Juden zu tun zu haben, heißt Verarschung. Tausend auf Hochglanz polierte Schichten aus Politik und Lügen. Deshalb glaube ich genau verwichste null Komma null Prozent von dem, was mir dieser angebliche Dr. Roboy erzählt hat, dessen Papiere sich übrigens als einwandfrei erwiesen haben. Etwas trübe war nur seine Erklärung, wie es kam, dass du in der Unterbuxe die Straße runtergeflitzt bist, Landsman, und ein jüdischer Cowboy aus einem Wagenfenster Nahaufnahmen von dir machen wollte.«
Landsman will es erklären, aber Dick hebt seine mädchenhafte Hand mit den sauberen, blitzenden Nägeln.
»Lass mich ausreden. Diese Herren, nein, Johnny, die zahlen nicht mein Gehalt, geschissenen Dank auch. Aber über Kanäle, die sich meiner Kenntnis entziehen und über die ich nicht spekulieren will, haben diese Herren Freunde, Tlingit-Freunde, die mein Gehalt bezahlen, oder um genauer zu sein, die in dem Rat sitzen, der mich bezahlt. Und sollten mir diese weisen Stammesältesten zu verstehen geben, dass sie es mir nicht übelnehmen, wenn ich deinen Kollegen hier anzeige und wegen widerrechtlichen Betretens und Einbruch verknacke, nicht zu vergessen wegen Durchführung einer illegalen, unautorisierten Ermittlung, dann würde ich das tun müssen. Diese jüdischen Wiesel da draußen in Peril Strait — und ich weiß, dass ihr wisst, wie sehr mich das zu sagen schmerzt —, die sind, was auch geschieht, meine verfluchten jüdischen Wiesel. Und ihre Einrichtung steht, solange sie sie in Anspruch nehmen, unter der Flagge und dem vollständigen Schutz der Sicherheitskräfte meines Stammes. Da mache ich mir da draußen die Mühe, deinen verpickelten Arsch zu retten, Landsman, dich herzuschleppen und dich für teures Geld unterzubringen, und dann haben diese verschissenen Juden auf einmal kein Interesse mehr an dir.«
»Das nenne ich mal eine Litanei«, sagt Landsman zu Berko. Dann sagt er zu Dick: »Ihr habt hier einen Arzt, den solltest du wirklich mal aufsuchen.«
»Aber so gerne ich dich auch zurückschicken würde, damit dir deine Exfrau mal so richtig die Eier langzieht, Landsman«, poltert Dick weiter, »und wenn ich mich noch so anstrenge, ich kann euch einfach nicht ziehen lassen, ohne eine bestimmte Frage gestellt zu haben, selbst wenn ich von vornherein weiß, dass ihr beide Juden seid, in gewisser Hinsicht, und dass jede Antwort von euch nur noch mehr Verarsche ist und mich die ganze Scheiße jetzt schon mit ihrem edlen jüdischen Glanz blendet.«
Sie warten auf die Frage, und sie kommt, und dann wird Dicks Verhalten härter. Alles Salbadern und alle Ironie verschwindet. »Reden wir hier von Mord?«, fragt er.
»Ja«, sagt Landsman, und im selben Moment sagt Berko: »Offiziell nicht.«
»Zwei«, beharrt Landsman. »Zwei Morde, Berko. Naomi geht auch auf ihre Rechnung.«
»Naomi?«, sagt Berko. »Meyer, was soll der Scheiß?«
Landsman rekapituliert alles, von Anfang an, lässt nichts Wichtiges aus, beginnt mit dem Klopfen an seiner Zimmertür im Zamenhof bis zu seinem Gespräch mit Mrs. Shpilman, berichtet von der Tochter des Kuchenmanns, die ihn ins Archiv der Flugsicherung schickte, bis zu der Anwesenheit von Aryeh Baronshteyn in Peril Strait.
»Hebräisch?«, sagt Berko. »Mexikaner, die Hebräisch sprechen?«
»So hörte es sich an«, sagt Landsman. »Aber kein Synagogenhebräisch.« Landsman erkennt Hebräisch, wenn er es hört. Aber das Hebräisch, das er kennt, ist die traditionelle Form, die Sprache, die seine Vorfahren durch die Millenien ihres europäischen Exils trugen, ölig und salzig wie ein zum Konservieren geräuchertes Stück Fisch, stark gewürzt vom Jiddischen. Diese Form von Hebräisch wird nie in der menschlichen Unterhaltung verwendet. Sie ist dem Gespräch mit Gott vorbehalten. Wenn es Hebräisch war, das Landsman in Peril Strait hörte, so war es nicht die alte Salzheringsprache, sondern ein stacheliger Dialekt, ein Klang wie Alkali und Steine. Für Landsman hörte es sich an wie das Hebräisch, das die Zionisten nach 1948 herüberbrachten. Jene harten Wüstenjuden klammerten sich im Exil verzweifelt an ihre Sprache, aber wie es vor ihnen schon den deutschen Juden ergangen war, wurden sie vom tönenden Getöse des Jiddischen und von der ewigen schmerzlichen Assoziation ihrer Sprache mit Versagen und Unheil jüngeren Datums überwältigt. Soweit Landsman weiß, existiert diese Art von Hebräisch nicht mehr, nur noch bei den wenigen letzten Aufrechten, die sich jährlich in leeren Sälen treffen. »Ich hab nur ein, zwei Wörter verstanden. Sie redeten so schnell, ich kam nicht mit. War wohl Sinn der Sache.«
Er erzählt ihnen, dass er in dem Zimmer aufwachte, in dem Naomi ihre Inschrift in der Wand hinterließ, erzählt von den Wohnheimen und dem Übungsgelände und von den bewaffneten jungen Männern in Wartestellung.
Ungewollt wird Dicks Interesse immer größer, er stellt Fragen, vertieft sich mit einer instinktiven, hartnäckigen Liebe zum Stunk in die Angelegenheit.
»Ich hab deine Schwester gekannt«, sagt er, als Landsman seine Rede mit der Rettung im Wald von Peril Strait abschließt. »Tut mir leid, dass sie gestorben ist. Und diese heilige Schwuchtel hört sich wie genau die Sorte streunender Köter an, für den sie ihren Arsch aufs Spiel gesetzt hätte.«
»Aber was wollten sie von Mendel Shpilman, diese Juden mit dem Besucher, der keine Schweinerei will?«, fragt Berko. »Das verstehe ich einfach nicht. Was machen die da draußen?«
Diese Fragen erscheinen Landsman unvermeidlich, folgerichtig und entscheidend, bei Dick jedoch kühlen sie die Begeisterung für den Fall merklich ab.
»Ihr habt nichts«, sagt er, und sein Mund ist ein blutleerer Bindestrich. »Und ich will dir was sagen, Landsman, das mit den Juden in Peril Strait, das hat doch nichts mit dem Fall zu tun. Die haben so viel Einfluss im Rücken, meine Herren, ich sage euch, die könnten euch aus einem versteinerten Scheißhaufen einen Diamanten schleifen.«
»Was weißt du über sie, Willie?«, fragt Berko.
»Einen Scheiß weiß ich.«
»Der Mann im Caudillo«, sagt Landsman. »Mit dem du geredet hast. War das auch ein Amerikaner?«
»Nein, eine vertrocknete kleine Rosine von Jude. Hat seinen Namen nicht genannt. Und ich darf nicht danach fragen. Denn die offizielle politische Linie der Stammespolizei an dem Ort lautet, wie ich, glaube ich, bereits erwähnt habe: Einen Scheiß weiß ich.«
»Komm, Wilfred«, sagt Berko. »Wir reden hier von Naomi.«
»Das ist mir klar. Aber ich weiß genug über Landsman, Scheiße, ich weiß genug über die Kollegen von der Mordkommission, um sicher zu sein, dass es hier, Schwester hin oder her, nicht darum geht, die Wahrheit herauszufinden. Es geht nicht darum, die Story zu verstehen. Denn ihr und ich, meine Herren, wir wissen, dass die Story halt so ist, wie wir sie uns zurechtlegen, und wie hübsch und nett das auch sein mag, am Ende macht die Geschichte für die Toten nicht den geringsten Unterschied. Du, Landsman, du willst dich an diesen Schweinen rächen. Aber dazu wird es nie kommen. Du wirst sie nie bekommen. Nie im Leben.«
»Willie-Boy«, sagt Berko. »Los, komm! Dann tu’s nicht für ihn. Tu’s nicht, weil seine Schwester Naomi so ein supertolles Mädel war.«
In dem nun folgenden Schweigen gibt er Dick einen dritten Grund, sie aufzuklären.
»Du willst sagen«, sagt Dick, »dass ich es für dich tun soll.«
»Genau.«
»Weil wir uns im Frühling unseres Lebens so viel bedeutet haben.«
»So weit würde ich vielleicht nicht gehen.«
»Das ist verdammt rührend«, sagt Dick. Er beugt sich vor und drückt auf seine Gegensprechanlage. »Minty, hol mein Bärenfell aus dem Müll und bring es rein, damit ich drauf kotzen kann.« Er lässt die Taste los, ehe Minty antworten kann. »Ich tue einen Scheißdreck für dich, Detective Berko Shemets. Aber weil ich deine Schwester mochte, Landsman, binde ich in euren Kopf denselben Knoten, den diese Wiesel in meinen geknotet haben, und dann lass ich euch herausfinden, was das zum Teufel bedeutet.«