»Die ist ein bisschen anders«, gibt Landsman zu. »Und?«
»Ich weiß nicht«, sagt Berko, und es klingt nicht ganz ehrlich. »Willie, weißt du ganz genau, dass diese Kühe unseren geheimnisvollen Juden gehören?«
»Wir haben die kleinen Cowboyjuden mit eigenen Augen gesehen«, sagt Dick. »Die zu dem Lager oder der Schule gehören oder was auch immer das ist. Haben die Tiere zusammengetrieben. Da runter, zum Campus. So ein herrischer kleiner schottischer Hund hat ihnen dabei geholfen. Meine Jungs und ich sind ihnen eine Zeit lang gefolgt.«
»Sie haben euch nicht bemerkt?«
»Es wurde schon dunkel. Außerdem, was glaubst du eigentlich, natürlich haben die uns nicht bemerkt, wir sind schließlich Indianer, verdammt nochmal. Rund eine halbe Meile weiter ist eine Molkerei, das Neuste vom Neustem. Zwei Silos. Mittelgroßer Betrieb, und er gehört definitiv nur Juden.«
»Was läuft hier eigentlich ab?«, fragt Landsman. »Ist das jetzt eine Entziehungsklinik oder ein Milchhof? Oder eine seltsame Kommandoausbildungseinrichtung, die so tut, als wäre sie beides?«
»Dieses Kommando mag die Milch am liebsten frisch von der Kuh«, sagt Dick.
Sie stehen eine Weile da und betrachten die Kühe. Landsman bekämpft den Drang, sich gegen den elektrischen Zaun zu lehnen. In ihm ist ein närrischer Teufel, der das Rasseln des Stroms spüren will. In ihm ist ein Strom, der den Teufel im Draht spüren will. Etwas stört ihn, nagt an ihm, etwas an dieser Vision, diesem Crocker Land der Kühe. Wie wirklich es auch sein mag, es ist unmöglich. Es sollte nicht hier sein; kein Jid sollte in der Lage sein, einen derartig großen Grundbesitz zu stemmen. Landsman hat viele der großen und bösen Juden seiner Generation gekannt oder mit ihnen zu tun gehabt, mit den Reichen, den verrückten Utopisten, den sogenannten Visionären, den Politikern, die sich die Gesetze auf der Drehbank drechseln. Landsman denkt an die Warlords der russischen Viertel mit ihrem Vorrat an Waffen, Diamanten und Störrogen. Er geht sein geistiges Register von Schmuggelkönigen und Graumarktmogulen durch, von Gurus unbedeutenderer Kulte. Männer mit Einfluss, Beziehungen, unbegrenzten Mitteln. Keiner von ihnen hätte das hier durchziehen können, nicht einmal Heskel Shpilman oder Anatoly Moskowits, das wilde Tier. Egal wie mächtig — jeder Jid im Distrikt ist gefesselt durch die Leine von 1948. Sein Königreich ist an seine Nussschale gebunden. Sein Himmel ist eine gemalte Kuppel, sein Horizont ein Elektrozaun. Er ist nur so frei wie ein Ballon an einer Schnur.
Unterdessen zerrt Berko auf eine Art und Weise am Knoten seiner Krawatte, die Landsman mit dem nahe bevorstehenden Formulieren einer Theorie zu assoziieren gelernt hat.
»Was ist, Berko?«, fragt er.
»Das ist keine weiße Kuh mit roten Flecken«, sagt Berko mit Entschiedenheit. »Das ist eine rote Kuh mit weißen Flecken.«
Er setzt seinen Hut auf den Hinterkopf und schürzt die Lippen. Er macht mehrere Schritte vom Zaun weg und zieht die Hosenbeine hoch. Langsam trottet er auf den Zaun zu. Zu Landsmans Schreck, Schock und leichtem Stolz springt Berko ab. Seine massige Gestalt hebt sich vom Erdboden. Ein Bein streckt er vor, das andere winkelt er nach hinten ab. Seine angehobenen Hosenaufschläge geben den Blick auf grüne Socken und blasse Schienbeine frei. Dann landet er mit kräftigem Prusten auf der anderen Seite des Zauns. Kurz schwankt er unter seinem eigenen Gewicht, dann stürzt er voran in die Welt der Kühe.
»Was soll der Scheiß?«, sagt Landsman.
»Theoretisch muss ich ihn jetzt verhaften«, sagt Dick.
Die Kühe reagieren auf das Eindringen mit Protest und Beschwerde, aber nur sehr geringen Gefühlsausbrüchen. Berko steuert geradewegs auf die zu, die sein Interesse erregt hat, marschiert zu ihr hin. Sie scheut zurück, muht. Er hebt die Arme, die Handteller nach außen gekehrt. Er spricht zu ihr in Jiddisch, Englisch, Tlingit, Alt- und Neubovinisch. Langsam umkreist er sie, mustert sie von oben bis unten. Landsman kann Berko verstehen; diese Kuh ist nicht wie die anderen, weder von der Gestalt noch von der Farbe.
Die Kuh lässt Berkos Inspektion über sich ergehen. Er legt eine Hand auf ihre Ohrmarke, und sie wartet, Hufe gespreizt, x-beinig, den Kopf lauschend geneigt. Berko bückt sich und betrachtet sie von unten. Er fährt mit den Fingern über ihre Rippen, den Nacken hinauf bis zu ihrem hornlosen Schädel, dann zurück über ihre Flanken zur zeltähnlichen Form ihrer Hüften. Dort hält seine Hand inne, mitten in einem weißen Fellflecken. Berko hebt die rechte Hand an den Mund, befeuchtet die Fingerspitzen und reibt dann in kreisförmiger Bewegung über den weißen Fleck am Rumpf der Kuh. Er nimmt die Finger fort, betrachtet sie, grinst, runzelt die Stirn. Dann stapft er über das Feld zurück und bleibt vor Landsman am Zaun stehen.
Er hebt die rechte Hand wie eine feierliche Parodie des indianischen Grußes auf Zigarrenschachteln, und Landsman sieht, dass an seinen Fingern weiße Farbe haftet.
»Aufgemalte Flecke«, sagt er.
Dann nimmt er Anlauf und kommt wieder auf den Zaun zugerannt. Landsman und Dick gehen ihm aus dem Weg, und er ist in der Luft, und dann summt der Boden unter seinem Aufprall.
»Angeber«, sagt Landsman.
»Immer schon«, sagt Dick.
»Und«, sagt Landsman, »was meinst du damit? Ist die Kuh verkleidet?«
»Genau das meine ich.«
»Jemand hat weiße Flecke auf eine rote Kuh gemalt.«
»So sieht es aus.«
»Diese Tatsache ist für dich von Bedeutung.«
»In gewisser Weise«, sagt Berko. »In einem bestimmten Kontext. Ich glaube, die Kuh könnte eine rote Färse sein.«
»Hör mir auf«, sagt Landsman. »Eine rote Färse.«
»Das ist was Jüdisches, nehme ich an«, sagt Dick.
»Wenn der Tempel in Jerusalem wieder errichtet wird«, sagt Berko, »und es Zeit ist, das traditionelle Sühneopfer darzubringen. Die Bibel sagt, dafür braucht man eine besondere Art von Kuh. Eine rote Färse, ohne Makel. Rein. Ich schätze, die sind ziemlich selten, reine rote Färsen. Ich glaube, seit Anbeginn der Zeit gab es nur neun davon. Es wäre wirklich cool, eine zu finden. Das wäre so was wie ein fünf blättriges Kleeblatt.«
»Wenn der Tempel wieder errichtet wird«, sagt Landsman und denkt an den Zahnarzt Buchbinder und sein verrücktes Museum. »Und das ist nach der Ankunft von Messias?«
»Manche meinen«, sagt Berko langsam und beginnt zu verstehen, was Landsman zu verstehen beginnt, »Messias warte so lange, bis der Tempel wieder errichtet sei. Bis der Altardienst wieder eingeführt werde. Blutopfer, Priesterschaft, das ganze Brimborium.«
»Wenn man also, sagen wir mal, eine rote Färse fände. Und die ganzen Werkzeuge zur Verfügung hätte, ja? Die komischen Hüte und all den Kram. Und wenn man, hm, wenn man den Tempel aufbauen würde … dann könnte man Messias praktisch zwingen zu kommen?«
»Ich bin bestimmt kein gläubiger Mensch, weiß Gott nicht«, wirft Dick ein. »Aber ich fühle mich zu dem Hinweis genötigt, dass der Messias schon mal da war und ihr Schweine den Hurensohn abgemurkst habt.«
In der Ferne hören sie eine Menschenstimme, verstärkt durch einen Lautsprecher, sie spricht jenes sonderbare Wüstenhebräisch. Bei dem Klang stolpert Landsmans Herz, und er macht einen Schritt auf den Pick-up zu.
»Lasst uns abhauen«, sagt er. »Ich habe diese Männer schon kennengelernt und den starken Eindruck, dass sie nicht besonders freundlich sind.«
Als sie wieder sicher im Fahrzeughaus sitzen, startet Dick den Motor, lässt ihn aber im Leerlauf und tritt auf die Bremse. Da sitzen sie, erfüllen die Kabine mit Zigarettenrauch. Landsman schnorrt eine von Dicks schwarzen Zigarren und muss zugeben, dass sie ein feines Beispiel für die Kunstfertigkeit des Drehers ist.
»Ich red jetzt einfach mal drauflos, Willie«, sagt Landsman, nachdem er die Nat Sherman halb zu Ende geraucht hat. »Und du versuchst, mich zu widerlegen.«