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»Das Gebetshaus in St. Cyril«, sagt Berko. »Die Krawalle.«

»Die Krawalle von St. Cyril«, stimmt Hertz Shemets zu.

»Verdammt nochmal.«

»Berko —«

»Verdammt nochmal! Die Indianer haben immer behauptet, die Juden hätten das Haus in die Luft gejagt.«

»Du musst verstehen, unter welchem Druck wir standen«, sagt Hertz. »Damals.«

»Oh, das tue ich«, sagt Berko. »Glaub mir. Das Gleichgewicht halten. Der schmale Grat.«

»Diese Juden, diese Fanatiker, die in die umstrittenen Gegenden ziehen. Sie gefährden den Status des gesamten Distrikts. Sie verstärken die schlimmsten Ängste der Amerikaner über das, was hier los wäre, wenn sie uns den dauerhaften Status gewähren würden.«

»Aha«, sagt Berko. »Gut. Okay. Und was ist mit Mom? Hat die auch den Distrikt gefährdet?«

Da spricht Onkel Hertz, vielmehr entweicht die Luft seiner Lunge durch die Toröffnung seiner Zähne so, dass es der menschlichen Sprache ähnelt. Er schaut auf seinen Schoß und gibt wieder diesen Laut von sich, und Landsman erkennt, dass er sich entschuldigt. Eine Sprache spricht, in der er nie unterrichtet wurde.

»Weißt du was? Ich glaube, ich habe es immer gewusst«, sagt Berko und steht auf. Er nimmt seinen Hut und Mantel vom Haken. »Weil ich dich noch nie leiden konnte. Von der ersten Minute an nicht, du Schwein. Komm!«

Landsman folgt seinem Kollegen nach draußen. Als er die Tür passiert, muss er zur Seite treten, weil Berko nochmals hineinwill. Berko wirft Hut und Mantel beiseite. Dann schlägt er sich auf den Kopf, zweimal, mit beiden Händen gleichzeitig. Er zerdrückt eine unsichtbare Kugel von der ungefähren Größe des väterlichen Schädels zwischen den ausgestreckten Fingern seiner Hand.

»Mein ganzes Leben lang habe ich’s versucht«, sagt er schließlich. »Ich meine, guck mich doch an, Mann!« Er reißt sich die Jarmulke vom Hinterkopf und hält sie hoch, betrachtet sie mit plötzlichem Entsetzen, als sei es sein eigener Skalp. Dann wirft er sie dem alten Mann zu. Sie trifft Hertz an der Nase und fällt zu der Serviette, der zerbrochenen Zigarre, der Elchsoße auf den Teller. »Guck dir diese Scheiße an!« Berko zerrt an seinem Hemd und reißt es auf. Es regnet Knöpfe. Er entblößt die reizlose weiße Stoffbahn seines gefransten Vier-Ecken wie die dürftigste Splitterschutzweste der Welt, sein heiliges weißes Teflon, verziert mit einem seewesenblauen Streifen. »Ich hasse dieses Scheißteil.« Das Vier-Ecken wandert über seinen Kopf, er zuckt und schüttelt es ab, bis er in einem weißen Baumwollshirt dasteht. »Jeden verfluchten Tag meines Lebens bin ich morgens aufgestanden und hab dieses Scheißteil angezogen und so getan, als wäre ich was, das ich gar nicht bin. Und nie sein werde. Für dich.«

»Ich habe dich nie gebeten, diese Religion auszuüben«, sagt der alte Mann, ohne aufzusehen. »Ich glaube nicht, dass ich je irgendwelchen —«

»Das hat nichts mit Religion zu tun«, sagt Berko. »Es hat nur was mit, verdammt nochmal, mit Vätern zu tun.«

Natürlich hängt es von der Mutter ab, ob man Jude ist oder nicht. Auch Berko weiß das. Er weiß es seit dem Tag, da er nach Sitka zog. Er sieht es jedes Mal, wenn er in den Spiegel schaut.

»Das ist alles Quatsch«, fährt der alte Mann murmelnd fort, halb zu sich selbst. »Eine Religion der Sklaven. Sich selbst fesseln. Knechtschaftskleidung. Ich hab den Quatsch mein Lebtag nicht angezogen.«

»Nein?«, sagt Berko.

Wie schnell und imposant Berko Shemets von der Tür zum Esstisch springt, überrascht Landsman. Bevor er kapiert, was vor sich geht, zieht Berko dem alten Mann die rituelle Unterwäsche über den Kopf. Er klemmt sich dessen Kopf unter den Arm und windet mit der anderen Hand die geknoteten Fransen um den Schädel, bildet die Gesichtskonturen des Alten in feinen Wollfäden nach. Es ist, als würde er eine Statue für den Transport verpacken. Der alte Mann tritt um sich, krallt sich mit den Fingernägeln in der Luft fest.

»Du hast nie eins getragen, was?«, sagt Berko. »Du hast nie so ’n Scheißteil angehabt! Versuch’s mal mit dem! Versuche mal mit meinem, du Wichser!«

»Hör auf!« Landsman eilt dem Mann zu Hilfe, dessen Sucht nach Täuschungs- und Angriffsattacken vielleicht nicht absehbarerweise, doch unmittelbar zum Tod von Laurie Joe Bear führte. »Komm, Berko. Hör auf.« Er greift nach Berkos Ellenbogen und zieht ihn weg, und als er zwischen den beiden steht, schiebt er den großen Mann Richtung Tür.

»Gut.« Berko hebt die Hände und lässt sich von Landsman einen knappen Meter in Richtung Tür schubsen. »Gut, ich bin fertig. Lass mich los, Meyer.«

Landsman entspannt sich, lässt den Kollegen los. Berko stopft sein T-Shirt in die Hose und will sein Hemd zuknöpfen, doch alle Knöpfe sind fort. Er lässt es offen, glättet sein schwarzes Haardach mit seiner breiten Hand, bückt sich, um seinen Hut und Mantel vom Boden aufzuheben, und geht nach draußen. Mit dem Nebel rollt die Nacht in das Stelzenhaus über dem Wasser.

Landsman dreht sich zu dem alten Mann um, der einfach dort sitzt, den Kopf in das Vier-Ecken gewickelt, wie eine Geisel, die nicht die Gesichter ihrer Entführer sehen darf.

»Brauchst du Hilfe, Onkel Hertz?«, fragt Landsman.

»Geht schon«, sagt der alte Mann mit schwacher Stimme, gedämpft durch den Stoff. »Danke.«

»Willst du da einfach so sitzen bleiben?«

Der alte Mann antwortet nicht. Landsman setzt sich den Hut auf und geht nach draußen.

Als sie gerade ins Auto steigen wollen, hören sie den Schuss, ein Donnern, das in der Dunkelheit die Berge kartographiert, sie mit dem zurückgeworfenen Echo erhellt. Dann ist es leise.

»Scheiße«, sagt Berko. Er ist wieder im Haus, noch bevor Landsman die Treppe erreicht hat. Als Landsman hineinläuft, hockt Berko neben seinem Vater, der eine sonderbare Pose vor dem Bett eingenommen hat, die Haltung eines Hürdenläufers, ein Bein an die Brust gezogen, das andere weit nach hinten gestreckt. In seiner Rechten hält er locker einen schwarzen stupsnasigen Revolver, in der linken die rituellen Fransen. Berko dreht seinen Vater auf den Rücken und fühlt am Hals nach dessen Puls. Rechts auf der Stirn des alten Mannes, direkt über dem Augenwinkel, ist ein glitschiger roter Fleck. Mit Blut verklebtes, versengtes Haar. Ein schlechter Schuss, wie es aussieht.

»Oh, Scheiße«, sagt Berko. »Oh, Scheiße, alter Mann. Du hast es verbockt.«

»Er hat es verbockt«, stimmt Landsman ihm zu.

»Alter!«, ruft Berko, und dann senkt er seine Stimme zu einem gutturalen Raspeln und singt etwas, ein Wort oder zwei in einer Sprache, die er längst vergessen hat.

Sie stillen die Blutung und verbinden die Wunde. Landsman sieht sich nach dem Projektil um und findet das Wurmloch, das es in die Sperrholzwand gestanzt hat.

»Wo hat er die denn her?«, fragt Landsman und hebt die Waffe auf. Es ist ein einfaches Exemplar, an den Kanten abgenutzt, ein altes Teil. »Die ‚38 Detective Special?«

»Keine Ahnung. Er hat viele Waffen. Er mag Waffen. Das ist so ungefähr das Einzige, was wir gemein haben.«

»Ich glaube, das könnte der Revolver sein, den Melekh Gaystik im Café Einstein benutzte.«

»Würde mich nicht im Geringsten wundern«, sagt Berko. Er schultert die Last seines Vaters, und sie tragen ihn hinunter zum Auto und legen ihn auf einen Berg von Handtüchern auf den Rücksitz. Landsman stellt die unsichtbare Sirene an, die er in fünf Jahren vielleicht zweimal benutzt hat. Dann fahren sie zurück über den Berg.

In Nayeshtot gibt es ein Notfallversorgungszentrum, aber da sind viele gestorben, deshalb beschließen sie, den Alten ins Allgemeine Krankenhaus von Sitka zu bringen. Auf dem Weg ruft Berko seine Frau an. Er erklärt ihr, nicht besonders verständlich, dass sein Vater und ein Mann namens Alter Litvak indirekt verantwortlich seien für den Tod seiner Mutter bei den schlimmsten indianisch-jüdischen Krawallen in den sechzig Jahren Distriktgeschichte und dass sein Vater sich in den Kopf geschossen habe. Er erzählt ihr, dass sie den alten Herrn jetzt schnell in die Notaufnahme bringen würden, weil er verdammt nochmal Polizist sei und zu arbeiten habe, und weil der alte Herr von ihm aus ruhig verrecken könne. Ester-Malke scheint diesen Plan so hinzunehmen, wie er ihr vorgetragen wird. Berko legt auf. Zehn oder fünfzehn Minuten verschwinden sie in einem Bereich ohne Funkabdeckung, und als sie ihn verlassen, ohne etwas gesagt zu haben, sind sie fast an der Stadtgrenze, und Berkos Shoyfer klingelt.