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Dann legt sie den Hörer wieder auf die Gabel und betrachtet ihn.

»Gut«, sagt Landsman. »Gehen wir.«

Aber Bina bewegt sich nicht. Sie sitzt einfach da und starrt auf das Telefon.

»Weißt du, es war schön, ohne deinen ganzen Schwachsinn zu leben, Meyer. Mir nicht vierundzwanzig Stunden am Tag deine Landsmania anhören zu müssen.«

»Ich beneide dich darum«, sagt Landsman.

»Hertz, Berko, deine Mutter, dein Vater. Ihr alle.« Auf Englisch fügt sie hinzu: »Verfluchter Haufen von kranken Spinnern.«

»Ich weiß.«

»Naomi war die einzig Normale in deiner Familie.«

»Das hat sie auch immer über dich gesagt«, sagt Landsman. »Nur meinte sie immer: ›in der Welt‹.«

Zwei kurze Klopfer an der Tür. Landsman steht auf, weil er denkt, es sei Berko.

»Hi«, sagt der Mann an der Tür. »Ich glaube, wir hatten noch nicht das Vergnügen.«

»Wer sind Sie?«, fragt Landsman.

»Ich bin Ihre Beerdigungsgesellschaft«, sagt der Mann in kläglichem, aber kraftvollem Jiddisch.

»Mr. Spade ist hier, um die Übergangsphase zu beaufsichtigen«, sagt Bina. »Ich glaube, ich habe Ihnen gesagt, dass er eventuell vorbeikommt, Detective Landsman.«

»Glaube ich auch.«

»Detective Landsman«, sagt Spade und fällt gnädig ins Englische zurück. »Der berüchtigte.«

Er ist nicht der schmerbäuchige Golfspieler, den Landsman erwartet hat. Er ist zu jung dafür, hat ein schlichtes Gesicht, breite Brust und Schultern. Spade trägt einen grauen Kammgarnanzug, darunter ein weißes Hemd mit einer Krawatte in getüpfeltem Videoblau. Sein Hals ist eine Ansammlung von Rasiernarben und vergessenen Barthaaren. Der sich vorwölbende Adamsapfel deutet auf unergründliche Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit hin. Im Revers trägt Spade eine Anstecknadel in Form eines stilisierten Fisches.

»Wie wäre es, wenn wir uns einmal kurz mit Ihrer Chefin zusammensetzen?«

»Gut«, sagt Landsman. »Aber ich bleibe lieber stehen.«

»Wie Sie wünschen, Detective. Aber wir müssen ja nicht in der Tür stehen bleiben.«

Landsman tritt zur Seite und winkt Spade hinein. Spade schließt die Tür.

»Detective Landsman, ich habe Grund zur Annahme«, beginnt Spade, »dass Sie eine ungenehmigte und — angesichts der Tatsache, dass Sie momentan suspendiert sind —«

»Bei voller Bezahlung«, sagt Landsman.

»— illegale Ermittlung in einem Fall durchführen, der offiziell zu den Akten gelegt wurde. Mit Hilfe von Detective Berko Shemets, ebenfalls ungenehmigt. Und wenn ich raten sollte, würde es mich nicht wundern, wenn sich herausstellte, dass auch Sie ihm geholfen haben, Inspector Gelbfish.«

»Sie ist mir eigentlich nur gehörig auf den Sack gegangen«, sagt Landsman. »Ehrlich gesagt. War überhaupt keine Hilfe.«

»Ich habe gerade die Staatsanwältin angerufen«, sagt Bina.

»Wirklich?«

»Vielleicht übernimmt sie den Fall.«

»Ach ja?«

»Er fällt nicht mehr in meinen Zuständigkeitsbereich. Es hat eine Drohung gegeben. Möglicherweise. Ein Ziel im Ausland wurde bedroht. Von Bewohnern dieses Distrikts.«

»Hm-m!« Spade schaut empört und zufrieden zugleich. »Eine Drohung? Nichts wie weg!«

Eine schwere, kalte Flüssigkeit sickert in Binas Blick, irgendetwas zwischen Quecksilber und Schlamm.

»Ich suche einen Mann namens Alter Litvak«, sagt sie, und eine große Müdigkeit zerrt an den Rändern ihrer Stimme. »Er hat möglicherweise mit dieser Drohung zu tun. Auf jeden Fall möchte ich gerne wissen, was er über den Mord an Mendel Shpilman weiß.«

»Aha«, sagt Spade liebenswürdig und vielleicht ein wenig zu geistesabwesend für jemanden, der vorgibt, sich für das Leben seines Gegenübers in allen Einzelheiten zu interessieren, während er im Internet seines Hirns surft. »Gut, aber, hm, die Sache ist so, Ma’am. In meiner Eigenschaft als — wie heißt das bei Ihnen noch mal? Der Mann von der … ähm … Beerdigungsgesellschaft, der bei dem Toten sitzen bleibt, wenn es ein Jude ist?«

»Den nennt man Schomer«, sagt Bina.

»Gut. In meiner Eigenschaft als Schomer hier vor Ort muss ich sagen: nein. Sie werden diese ganze Angelegenheit und auch Mr. Litvak in Ruhe lassen.«

Bina wartet lange, ehe sie etwas sagt. Die Müdigkeit in ihrer Stimme scheint nun in ihre Schultern, ihren Kiefer, in die Konturen ihres Gesichts zu fließen.

»Sind Sie darin verwickelt, Spade?«, fragt sie.

»Ich persönlich? Nein, Ma’am. Das Übergangsteam? Hm. Der Reversionsausschuss Alaskas? Ganz bestimmt nicht. Es ist so: Ich weiß nicht viel über diese Sache. Und das wenige, was ich weiß, darf ich nicht sagen. Ich bin im Personalmanagement, Inspector Gelbfish. Das ist meine Aufgabe. Und ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass, bei allem Respekt, schon zu viele Mittel auf diese Angelegenheit verschwendet wurden.«

»Das sind meine Mittel, Mr. Spade«, sagt Bina. »Zwei Monate kann ich noch mit jedem Zeugen reden, mit dem ich sprechen will. Ich kann verhaften, wen ich verhaften will.«

»Nicht, wenn die Staatsanwaltschaft Sie zurückpfeift.«

Das Telefon klingelt.

»Das ist bestimmt die Staatsanwaltschaft«, sagt Landsman.

Bina nimmt ab.

»Hallo, Kathy«, sagt sie. Eine Minute hört sie schweigend zu. Dann sagt sie: »Ich verstehe«, und legt auf. Ihre Stimme ist ruhig und ausdruckslos. Sie setzt ein angespanntes Lächeln auf und zieht demütig den Kopf ein, als sei sie vernichtend geschlagen worden. Landsman spürt, dass sie ihn absichtlich nicht anschaut, weil sie sonst ein klein wenig aufreißen könnte. Und er weiß, wie erzürnt Bina Gelbfish werden muss, bevor die ersten Tränen rollen.

»Und ich hatte alles so schön in die Wege geleitet«, sagt sie.

»Und ich kann dir sagen, das hier, das war ein Trümmerfeld, als du herkamst«, sagt Landsman.

»Ich wollte Ihnen alles so hübsch überreichen«, sagt Bina zu Spade. »Sauber verpackt. Ohne Krümel. Ohne lose Fäden.«

Sie hatte es so sorgfältig vorbereitet, hatte die Lorbeeren gesammelt, war denjenigen in den Arsch gekrochen, denen man hineinkriechen musste. Hatte die Ställe ausgefegt. Hatte Sitka Central in Geschenkpapier verpackt und sich selbst als dekorative Schleife obendrauf gesetzt.

»Ich hab sogar das scheußliche Sofa rausgeworfen«, sagt sie. »Was zum Teufel ist hier los, Spade?«

»Ich weiß es wirklich nicht, Ma’am. Und selbst wenn ich es wüsste, würde ich das Gegenteil behaupten.«

»Sie haben nur die Aufgabe sicherzustellen, dass an diesem Ende alles glattläuft.«

»Ja, Ma’am.«

»Und das andere Ende ist Palästina.«

»Ich weiß nicht viel über Palästina«, sagt Spade. »Ich komme aus Lubbock. Aber meine Frau ist aus Nacogdoches, das ist rund vierzig Meilen von der Stadt Palestine entfernt.«

Einen Augenblick schaut Bina ihn ausdruckslos an, dann erröten ihre Wangen, als sie versteht.

»Stehen Sie hier nicht herum und reißen Witze«, sagt sie. »Wagen Sie es nicht!«

»Nein, Ma’am«, sagt Spade, und jetzt ist es an ihm, ein wenig rot zu werden.

»Ich nehme meine Arbeit sehr ernst, Mister Spade. Und es wäre besser, das sage ich Ihnen, wenn Sie mich verdammt nochmal auch ernst nehmen würden.«

»Ja, Ma’am.«

Bina erhebt sich hinter dem Schreibtisch und nimmt ihren orangefarbenen Parka vom Haken.

»Ich werde Alter Litvak holen. Ihn vernehmen. Ihn möglicherweise verhaften. Wenn Sie mich aufhalten wollen, dann versuchen Sie es doch.« Mit schnaubendem Parka rauscht sie an dem völlig überrumpelten Spade vorbei. »Aber wenn Sie versuchen mich aufzuhalten, wird bei Ihnen nichts mehr glattlaufen. Das verspreche ich Ihnen.«

Und damit ist sie weg, eine Sekunde lang. Dann steckt sie den Kopf durch die Tür, zieht ihre grelle Jacke über.