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Es gab natürlich noch andere Piloten, die Shpilman nach Peril Strait hätten fliegen können, aber es waren Außenstehende oder junge Gläubige. Einem Außenstehenden konnte man nicht vertrauen, und Litvak sorgte sich, Shpilman könne für einen jungen Gläubigen eine Enttäuschung sein. Dann würden die bösen Zungen loslegen. Shpilman sei in einem sehr schlechten Zustand, wie Dr. Buchbinder sagte. Er sei aufgekratzt und mürrisch oder schläfrig und teilnahmslos und wiege nur noch fünfundfünfzig Kilo. Wirklich, als Tzaddik mache er nicht mehr viel her.

Innerhalb einer so kurzen Frist fiel Litvak nur ein anderer Pilot ein, eine Person, die ebenfalls gänzlich ohne Glauben war, aber diskret und zuverlässig. Außerdem hatte sie eine alte Verbindung zu Litvak, auf die er seine Hoffnungen zu setzen wagte. Zuerst versuchte er, den Namen aus seinem Kopf zu verbannen, aber er kehrte immer wieder. Er hatte Angst, Shpilman wieder zu verlieren, wenn er zu lange zögerte; schon zweimal hatte der Jid das Versprechen gebrochen, sich von Dr. Roboy in Peril Strait behandeln zu lassen. Deshalb ließ Litvak diesen ungläubigen, zuverlässigen Piloten auftreiben und bot ihm einen Auftrag an. Der Pilot, eine Frau, war einverstanden, forderte aber tausend Dollar mehr, als Litvak eigentlich hatte zahlen wollen.

»Eine Frau«, sagte der Arzt und setzte seinen Königsturm, ein Zug, der ihm keinen für Litvak erkennbaren Vorteil brachte. Nach Litvaks wohlüberlegter Meinung hatte Dr. Roboy ein Laster, das vielen Gläubigen eigen war: Er war ganz Strategie und null Taktik. Er neigte dazu, sich nur um der Bewegung willen zu bewegen, war zu sehr auf das Ziel konzentriert, um sich mit dem Weg dorthin zu beschäftigen. »Hier. An diesem Ort.«

Sie saßen im Büro im ersten Stock des Hauptgebäudes mit Blick auf die Meerenge, auf das indianische Dorfgesindel mit seinen Netzen und dem gesprungenen Plankenweg, auf den ins Meer ragenden Finger des brandneuen Anlegers für das Wasserflugzeug. Es war Roboys Büro, in der Ecke stand ein Schreibtisch für Moish Fligler, falls er einmal da war und länger an einem Tisch gehalten werden konnte. Alter Litvak verzichtete lieber auf den Luxus von Schreibtisch, Büro und Heim. Er schlief in Gästezimmern, Garagen, auf der Couch fremder Menschen. Sein Schreibtisch war ein Küchentisch, sein Büro das Übungsgelände, der Schachclub Einstein oder das Hinterzimmer des Instituts Moriah.

Wir haben hier Männer, die nicht so männlich sind wie sie, schrieb Litvak in seinen Block, Ich hätte die Frau längst engagieren sollen

Er schnappte sich Roboys letzten Läufer und schlug damit eine plötzliche Bresche in die Mitte der weißen Figuren. Er sah, dass er Roboy auf zwei verschiedenen Wegen in vier Zügen mattsetzen konnte. Der greifbare Sieg machte ihn überdrüssig. Er fragte sich, ob er sich jemals wirklich etwas aus Schach gemacht hatte. Litvak griff zu seinem Stift und verfasste eine Beleidigung, obwohl es sich in den letzten fünf Jahren als unmöglich erwiesen hatte, Roboy zu provozieren.

Wenn wir hundert solcher Frauen hätten würde ich Ihnen jetzt auf einer Terrasse über dem Ölberg die Fresse polieren

»Hm«, sagte Dr. Roboy, befingerte einen Bauern und beobachtete Litvaks Gesicht, während Litvak in den Himmel blickte.

Dr. Roboy saß mit dem Rücken zum Fenster, eine dunkle, das Schachbrett umklammernde Parenthese, das lange, vorspringende Gesicht erschöpft vom Bemühen, die Trostlosigkeit seiner unmittelbaren Schachzukunft zu erraten. Der Westhimmel hinter ihm war ein Gemisch aus Marmelade und Rauch. Die zerdrückten Berge, die grünen Falten, die schwarz wirkten, und das Purpur, das schwarz wirkte, dazu die leuchtend blauen Spalten weißen Schnees. Im Südwesten ging der Vollmond früh auf, scharf geschnitten und grau, er sah aus wie ein in den Himmel geklebtes, hochaufgelöstes Schwarzweißfoto seiner selbst.

»Jedes Mal, wenn Sie aus dem Fenster gucken«, sagte Roboy, »denke ich, jetzt ist er da. Hören Sie doch bitte auf damit. Sie machen mich ganz nervös.« Er legte seinen König hin, schob sich vom Schachbrett fort und entfaltete Gelenk um Gelenk seines langen Heuschreckenkörpers. »Ich kann nicht spielen, tut mir leid. Sie haben gewonnen. Ich bin zu aufgedreht.«

Er begann, im Büro auf und ab zu laufen.

Ich verstehe nicht warum Sie sich solche Sorgen machen Sie haben die einfache Aufgabe

»Ach ja?«

Sie müssen nur ihn erlösen, er ganz Israel

Roboy blieb stehen und drehte sich zu Litvak um, der seinen Stift beiseiteschob und sich anschickte, die Schachfiguren in das Ahornkästchen zurückzulegen.

»Dreihundert junge Männer sind bereit, für ihn zu sterben«, sagte Roboy verdrießlich. »Dreißigtausend Verbover werden ihr Leben und ihr Glück auf diesen Mann setzen. Heimatlos werden, ihre Familien gefährden. Wenn noch mehr folgen, reden wir über Millionen. Ich bin froh, dass Sie darüber Witze reißen können. Ich bin froh, dass es Sie nicht nervös macht, aus dem Fenster zu schauen, den Himmel zu beobachten und zu wissen, dass er nun endlich unterwegs ist.«

Litvak unterbrach sich beim Einräumen der Figuren und schaute wieder aus dem Fenster: Kormorane, Möwen und ein Dutzend phantasievoller Varianten der gemeinen Ente, die keinen Namen auf Jiddisch haben. Jeden Moment mochte man eine von ihnen mit ausgebreiteten Flügeln vor der untergehenden Sonne für die herannahende Piper Super Cub halten, die tief von Südwesten kam. In den Himmel zu schauen, machte auch Litvak nervös. Doch das Projekt war per definitionem keines, das Männer mit einer Vorliebe fürs Warten anzog.

Ich hoffe wirklich, er ist der T h-D

»Nein, das hoffen Sie nicht«, sagte Roboy. »Das ist gelogen. Sie machen einfach nur mit. Weil es eine Herausforderung ist.«

Nach dem Autounfall, der Litvak Frau und Stimme raubte, war es Dr. Rudolf Buchbinder gewesen, der verrückte Zahnarzt von der Ibn-Ezra Street, der Litvaks Kiefer wieder aufgebaut und das Mauerwerk mit Acryl und Titan restauriert hatte. Und als Litvak feststellte, dass er abhängig von Schmerzmitteln war, war es ebenfalls der Zahnarzt gewesen, der ihn zur Behandlung an seinen alten Freund Dr. Max Roboy verwies. Als Cashdollar seinen Mann in Sitka Jahre später um Hilfe bat, die göttlich inspirierte Mission des amerikanischen Präsidenten zu erfüllen, dachte Litvak sofort an Buchbinder und Roboy.

Deutlich länger hatte es gedauert, hatte Litvak buchstäblich seine letzte Unze Chuzpe gekostet, Heskel Shpilman ins Boot zu bekommen. Endloses Pilpul und Geschacher über Baronshteyn. Erbitterter Widerstand der Karrieristen im Justizministerium, die in Shpilman und Litvak — zu Recht — einen Warlord und seinen Henker sahen. Nach Monaten voller Absagen und falschem Alarm dann schließlich das Treffen mit dem gewaltigen Mann in der Badeanstalt auf der Ringelblum Avenue.

Ein Dienstagmorgen, Schneeflocken fielen in matschigen Spiralen vom Himmel, zehn Zentimeter frischer Schnee auf dem Boden. Zu neu, zu früh für den Pflug. An der Ecke von Ringelblum und Glatshteyn Avenue stand ein Maronenverkäufer mit einem verschneiten roten Schirm, seine Röstkiste glühte und zischte, die parallelen Furchen seiner Räder rahmten seine verwischten Fußspuren ein. Es war so still, dass man die Uhrwerke in den Ampelanlagen ticken und den Pager an der Hüfte des Bewaffneten neben der Tür vibrieren hören konnte. Zwei Bewaffnete. Diese großen roten Bären, die sich die Verbover halten, um den massigen Körper ihres Rebbe zu bewachen.

Während die Rudashevsky-Biks an der Tür Litvak die Betontreppe mit den Vinylstufen hinauf, und dann den schachtgleichen Korridor zur Eingangstür des Bades entlangführen, wölbten sich ihre zur Faust geballten Gesichter um ein kleines Licht. Übermut, Mitleid und das Frohlocken eines Witzbolds, eines Folterers, eines Priesters, der sich bereit macht, den Kannibalengott zu enthüllen. Was den uralten russischen Kassierer in seinem Metallverschlag oder den untersetzten Wärter in seinem Bunker voll weißer Handtücher betraf — diese Jids hatten keine Augen, soweit Litvak bekannt war. Sie hielten die Köpfe gesenkt, geblendet von Angst und Vorsicht. Sie waren irgendwo anders, tranken Kaffee im Polar-Shtern, waren noch zu Hause im Bett bei ihrer Frau. Zu dieser Stunde war die Badeanstalt noch gar nicht geöffnet. Es war niemand da, überhaupt keiner, und der Wärter, der Litvak über den Tresen zwei verschlissene Handtücher zuschob, war ein Geist, der einem Toten ein gewundenes Laken reichte.