Litvak zog sich aus und hängte seine Kleidung an zwei Stahlhaken. Er konnte die Gezeitenströmung der Badeanstalt riechen, Chlor und Achselschweiß und schweren Salzdampf, der beim zweiten Nachdenken auch von der Einmachfabrik im Erdgeschoss stammen mochte. Für ihn hatte es nichts Peinigendes, sich nackt zu zeigen, falls das die Absicht gewesen sein sollte. Er hatte zahlreiche Narben, einige davon waren furchtbar, sie verfehlten nicht ihre Wirkung. Er hörte ein tiefes Pfeifen von einem der beiden Rudashevskys in der Umkleidekabine. Litvaks Körper war ein von Schmerz und Gewalt beschriebenes Pergament, das sie nur ansatzweise exegetisch behandeln konnten. Er zog seinen Block aus der Tasche seiner Jacke, die am Haken hing.
Gefalle ich euch?
Die Rudashevkys konnten sich nicht auf eine gemeinsame Antwort einigen. Der eine nickte, der andere schüttelte den Kopf. Dann tauschten sie die Reaktionen, ohne dass es einen von ihnen befriedigt hätte. Schließlich gaben sie es auf und schickten Litvak durch die vernebelte Glastür in den Dampfraum zum Treffen mit dem von ihnen gehüteten Körper.
Jener Körper in seinem Schrecken oder seiner Herrlichkeit, nackt wie ein gewaltiger blutunterlaufener Augapfel ohne Augenhöhle. Litvak hatte ihn zuvor nur einmal gesehen, vor Jahren, gekrönt mit einem Filzhut und wie ein Tabakklumpen aus Pinar del Rio in einen steifen schwarzen Mantel gerollt, der über die Spitzen seiner schicken schwarzen Stiefel schwang. Nun ragte er schwer aus dem Dampf hervor, eine mit einer Flechte schwarzen Haares überzogene Platte nassen Kalksteins. Litvak fühlte sich wie ein Flugzeug, das in den Nebel steuert und vom Aufwind überraschend gegen eine Bergflanke gedrückt wird. Der Bauch schwanger mit Elefantendrillingen, die Brüste schwer hängend, jeweils mit der rosa Linse einer Brustwarze versehen. Die Oberschenkel zwei große, handgerollte, marmorierte Halva-Laibe. Im Schatten dazwischen ein dicker Nabel aus gräulich braunem Fleisch.
Litvak senkte die unisolierte Rüstung seines Körpers auf das heiße Fliesengitter gegenüber dem Rabbi. Als er damals Shpilman auf der Straße begegnet war, hatten die Augen des Mannes in dem Schattenreich gelegen, das die Sonnenuhr seiner Hutkrempe warf. Jetzt waren sie auf Litvak und seinen verwüsteten Körper gerichtet. Es waren freundliche Augen, dachte Litvak, oder aber Augen, deren Dienstherr sie in den Vorzügen der Freundlichkeit geschult hatte. Sie studierten Litvaks Narben, den gerunzelten purpurnen Mund auf seiner rechten Schulter, die samtroten Striemen auf seiner Hüfte, die Delle in seinem linken Oberschenkel, in die man eine Unze Gin gießen konnte. Die Augen des Rebbe entboten Mitleid, Beachtung, ja, Dankbarkeit. Der Krieg in Kuba war berüchtigt gewesen für seine Sinnlosigkeit, Brutalität und Verschwendung. Die Veteranen hatte man bei ihrer Rückkehr gemieden. Niemand hatte ihnen Vergebung, Verständnis oder eine mögliche Heilung angedeihen lassen. Heskel Shpilman bot Litvak und seinem kriegszerfressenen Balg all das zusammen.
»Die Art Ihrer Behinderung«, sagte der Rebbe, »wurde mir erklärt, sowie der Inhalt Ihres Angebots.« Seine vom Dampf und den Porzellankacheln gedämpfte, mädchenhafte Stimme schien nicht aus der Kesselpaukenbrust zu kommen. »Ich sehe, dass Sie trotz meiner klaren Anweisung, nichts bei sich zu tragen, Ihren Block und Stift mitgebracht haben.«
Litvak hielt die dampfbeperlten beanstandeten Gegenstände hoch. Er fühlte die Verwerfungen, die Krümmung in den Blättern des Blocks.
»Sie werden ihn nicht gebrauchen.« Die vogelgleichen Hände hockten sich auf den Fels seines Bauches, und der Rebbe schloss die Augen, entzog Litvak seine ehrliche oder vorgetäuschte Sympathie und ließ ihn ein, zwei Minuten lang im Dampf schmoren. Litvak hatte Dampfbäder schon immer gehasst. Aber dieses Schwitz im alten Harkavy, profan und schmuddelig, war der einzige Ort, an dem es der Verbover Rebbe bewerkstelligen konnte, abseits seines Hofstaats, seines Gabbai, seiner eigenen Welt, Privatangelegenheiten zu regeln. »Ich habe nicht vor, weitere Fragen oder Antworten von Ihnen zu fordern.«
Litvak nickte und wollte aufstehen. Sein Kopf sagte ihm, dass Shpilman sich nicht die Mühe gemacht hätte, ihn zu diesem nackten, einseitigen Gespräch zu bestellen, wenn er ihm hätte absagen wollen. Aber im Bauch spürte er, dass dieser Auftrag verdammt war, dass Shpilman ihn in die Ringelblum Avenue gerufen hatte, um die Absage mit der elefantesken Autorität seiner Person zu überbringen.
»Sie sollen wissen, Mr. Litvak, dass ich Ihren Vorschlag sehr gründlich erwogen habe. Ich habe versucht, seine Logik aus jedem Blickwinkel zu betrachten.
Beginnen wir mit unseren Freunden im Süden. Wenn es nur darum ginge, dass sie etwas wollten, eine greifbare Attraktion oder Ressource … Öl, zum Beispiel. Oder wenn sie eher strategisch von ihren Sorgen in Bezug auf Russland oder Persien angetrieben wären. In beiden Fällen würden sie uns offensichtlich nicht brauchen. Wie schwierig eine Eroberung das Heiligen Landes auch wäre — unsere körperliche Anwesenheit, unser Kampfeswille, unsere Waffen können für deren Schlachtplan keinen großen Unterschied machen. Ich habe mich mit deren Behauptung beschäftigt, die jüdische Sache in Palästina unterstützen zu wollen, ich habe deren Theologie studiert, und soweit möglich, habe ich versucht, mir auf Grundlage von Rabbi Baronshteyns Berichten eine Meinung über diese Christen und ihre Ziele zu bilden. Und ich komme zu dem Schluss, dass sie es so meinen, wenn sie sagen, dass sie Jerusalem wieder unter jüdischer Herrschaft sehen wollen. Die Begründung dafür, die sogenannten Prophezeiungen und Apokryphen, deren angebliche Autorität diesem Wunsch zugrunde liegt, die kommt mir mitunter gar lachhaft vor. Sogar abscheulich. Ich bemitleide diese Christen ob ihres kindlichen Vertrauens in die bevorstehende Wiederkehr von einem, der überhaupt nie gegangen ist, geschweige je gekommen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie uns ebenfalls wegen unseres unpünktlichen Messias bemitleiden. Als Grundlage einer Partnerschaft sollte man gegenseitiges Mitleid nicht verachten.
Was Ihre Rolle in dieser Sache angeht, so ist das einfach, nicht? Sie sind ein Söldner. Sie genießen die Herausforderungen und die Verantwortung eines Feldherrn. Das verstehe ich. Wirklich. Sie kämpfen gerne, und Sie töten gerne, solange es nicht Ihre Leute sind, die sterben. Und ich wage zu sagen, dass Sie nach all den Jahren mit Shemets und danach auf eigene Faust längst Routine darin haben, die Amerikaner zufriedenzustellen.
Für die Verbover ist es ein großes Risiko. Wir könnten bei diesem Abenteuer unsere gesamte Glaubensgemeinschaft verlieren. Wir könnten innerhalb weniger Tage ausgelöscht werden, wenn Ihre Trappen schlecht vorbereitet sind oder schlicht und einfach, was nicht unwahrscheinlich ist, in der Unterzahl. Aber wenn wir hierbleiben, nun ja, dann sind wir auch erledigt. In alle Winde verstreut. Unsere Freunde im Süden haben das ganz klar gesagt. Das ist die Zwickmühle. Die Reversion ist das Feuer, das uns unterm Hintern gemacht wird, nicht wahr? Und das neue Jerusalem der Eimer mit Eiswasser. Einige unserer jungen Männer plädieren dafür, hier die Stellung zu halten, unsere Vertreibung zu riskieren. Aber das ist Wahnsinn.
Andererseits: Wenn wir unsere Zustimmung geben und Sie erfolgreich sind, dann erhalten wir einen Schatz von so unermesslichem Wert — ich spreche natürlich von Zion —, dass allein die Vorstellung ein lange verriegeltes Fenster in meiner Seele öffnet. Ich muss meine Augen vor dieser Helligkeit schützen.«