Mit einem Knistern fing die Zigarre Feuer und loderte auf. Als Litvak vom glühenden Tabak hochschaute, blickte Shpilman ihn mit seinen sonderbar mosaikartigen, gold- und grüngefleckten Augen an. Gut, sagte Litvak zu sich. Eine sehr gute Zigarre.
»Bitte«, sagte Shpilman. Er drückte Litvak das Zippo in die Hand. »Bitte, Reb Litvak. Zünden Sie die Kerze an. Man muss dabei nicht beten. Man muss nichts tun oder empfinden. Zünden Sie sie einfach an. Bitte.«
Als die Logik aus der Welt floss und nie wieder ganz zurückkehrte, griff Shpilman in Litvaks Jackentasche und holte das Glas mit dem Wachs und dem Docht hervor. Für diesen Trick konnte Litvak einfach keine Erklärung finden. Er nahm Shpilman die Kerze ab und stellte sie auf den Tisch. Mit einem Kratzen des Daumens entzündete er den Feuerstein. Er spürte die intensive Wärme von Shpilmans Hand auf seiner Schulter. Die Faust um sein Herz begann ihren Griff zu lockern, so wie sie es an dem Tag tun könnte, wenn er endlich das Haus beträte, in dem zu leben ihm bestimmt war. Es war ein bestürzendes Gefühl. Er öffnete den Mund.
»Nein«, sagte er mit einer Stimme, die zu seiner Verwunderung eine Spur Menschlichkeit enthielt.
Er ließ das Feuerzeug zuschnappen und fegte Shpilmans Hand mit solcher Brutalität zur Seite, dass Shpilman das Gleichgewicht verlor, stolperte und sich den Kopf am Metallregal schlug. Die Wucht des Aufpralls riss die Kerze aus dem Glas und schleuderte sie auf den Kachelboden. Das Glas zersprang in drei große Scherben. Der Wachszylinder wurde gespalten.
»Ich will es nicht«, krächzte Litvak. »Ich bin nicht bereit.«
Aber als er auf Shpilman hinabsah, der ausgestreckt und benommen am Boden lag und aus einer Wunde an der rechten Schläfe blutete, da wusste er, dass es bereits zu spät war.
40.
In dem Moment, als Litvak seinen Stift ablegt, hört man draußen einen Tumult: ein halber Fluch, zerbrechendes Glas, schnaubender Atem. Dann kommt Berko Shemets in das Schlafzimmer spaziert. Den Kopf des kleinen Gold hat er unter den Arm geklemmt wie einen schönen Braten, den Rest von Gold schleift er hinter sich her. Die Absätze des Gannefs pflügen tiefe Furchen in den Teppich. Berko schlägt die Tür hinter sich zu. Er hat seine Scholem hervorgeholt, die wie eine Kompassnadel auf den magnetischen Norden von Alter Litvak zeigt. Auf Berkos Jagdhemd und seiner Jeans ist das Blut von Hertz. Berkos Hut ist so weit nach hinten geschoben, dass sein Gesicht aussieht, als würde es nur aus Brauen und dem Weiß der Pupillen bestehen. Der Kopf von Gold funkelt mehrdeutig in Berkos Armbeuge.
»Du sollst Blut und Eiter scheißen«, psalmodiert Gold. »Du sollst die Krätze kriegen wie Hiob.«
Berkos Pistole schwingt herum, um einen Blick auf das Hirn des jungen Jid in seinem zerbrechlichen Behältnis zu werfen. Gold hört auf zu zappeln, und die Waffe führt ihre einäugige Inspektion von Alter Litvaks Brust fort.
»Berko«, sagt Landsman. »Was soll der Wahnsinn?«
Berko hebt seinen Blick wie eine schwere Last und schaut Landsman an. Er öffnet die Lippen, schließt sie, zieht Luft ein. Er scheint etwas Wichtiges von sich geben zu wollen, einen Namen, einen Zauberspruch, eine Gleichung, die die Zeit dehnen oder die Fäden der Welt entwirren kann. Oder vielleicht versucht er einfach zu verhindern, dass er selbst entwirrt wird.
»Dieser Jid«, sagt er, und dann mit weicher, etwas rauer Stimme: »Meine Mutter.«
Vielleicht hat Landsman einmal ein Foto von Laurie Jo Bear gesehen. Es gelingt ihm, eine undeutliche Erinnerung an einen gekämmten schwarzen Pony, eine rosafarbene Brille und ein durchtriebenes Grinsen heraufzubeschwören. Aber eigentlich ist die Frau für ihn weniger als ein Geist. Früher erzählte Berko Geschichten über das Leben im Indianerland. Über Basketball, Robbenjagd, Betrunkene und Verwandte, Willie-Dick-Geschichten, die Geschichte von einem Menschenohr auf dem Tisch. Landsman kann sich an keine Geschichten über Berkos Mutter erinnern. Wahrscheinlich hat er schon immer geahnt, dass Berko einen hohen Preis dafür gezahlt hat, sich derart von innen nach außen zu kehren, für diese heroische Vergessensleistung. Landsman hat sich bloß nie die Mühe gemacht, sich das als Verlust vorzustellen. Ein blinder Fleck der Phantasie, bei einem Schammes eine größere Sünde, als ohne Deckung in eine Drogenhöhle zu gehen. Vielleicht ist es auch dieselbe Sünde, nur in einer anderen Form.
»Auf jeden Fall«, sagt Landsman und macht einen Schritt auf seinen Kollegen zu. »Ein schlimmer Typ. Eine Kugel wert.«
»Du hast zwei kleine Söhne, Berko«, sagt Bina mit unglaublich flacher Stimme. »Du hast Ester-Malke. Du hast eine Zukunft, die du nicht wegwerfen solltest.«
»Hat er nicht«, sagt Gold oder versucht es zumindest. Berko drückt noch etwas fester zu, und Gold würgt, versucht sich zu drehen, um mit den Füßen Halt zu finden.
Litvak kritzelt etwas hinten in seinen Block, ohne den Blick von Berko abzuwenden.
»Was ist?«, sagt Berko. »Was hat er gesagt?«
Kein Jude hat hier Zukunft
»Ja, ja«, sagt Landsman. »Das wissen wir schon.«
Er nimmt Litvak Stift und Block ab. Er schlägt die letzte Seite um und schreibt auf Englisch SEI KEIN IDIOT! DU FÜHRST DICH AUF WIE ICH! hinein. Dann reißt er das Blatt heraus und wirft Litvak wieder Block und Stift zu. Den Zettel hält er Berko vors Gesicht, damit der ihn lesen kann. Das Argument ist ziemlich überzeugend. Berko lässt Gold los, als der Jid gerade anfängt, blau anzulaufen. Gold fällt zu Boden, ringt nach Luft. Die Pistole in Berkos Faust schwankt.
»Er hat deine Schwester getötet, Meyer.«
»Das weiß ich noch nicht«, sagt Landsman. Er dreht sich zu Litvak um. »Stimmt das?«
Litvak schüttelt den Kopf und beginnt, etwas in seinen Block zu schreiben, doch bevor er es beenden kann, brandet im Vorzimmer lauter Jubel auf. Das aufrichtige, aber aufgesetzte Geheul junger Männer, die etwas Tolles im Fernsehen sehen. Vielleicht ist ein Tor gefallen. Das Bikinioberteil einer Beachvolleyballerin verrutscht. Einen Augenblick später hört Landsman das Echo der Hochrufe, die Geräusche werden durch das offene Fenster wie mit dem Wind aus der Ferne herangetragen, von Harkavy, dem Nachtasyl. Litvak lächelt nur und legt Block und Stift mit einer sonderbaren Endgültigkeit zur Seite, als habe er nichts mehr zu sagen. Als ob seine Beichte lediglich zu diesem Moment führen sollte, ja, nur durch ihn ermöglicht wurde. Gold kriecht zur Tür, zieht sie auf, kommt schwankend auf die Füße und taumelt ins Vorzimmer. Bina geht zu Berko und streckt die Hand aus. Nach einer Weile legt Berko die Waffe in ihre Hand.
Im vorderen Zimmer des Penthouse hüpfen die jungen Gläubigen in ihren Anzügen auf und ab und fallen sich in die Arme. Die Jarmulkes rutschen ihnen vom Kopf. Ihre Gesichter glänzen vor Tränen.
Auf dem großen Fernsehbildschirm kann Landsman den ersten Blick auf ein Bild werfen, das bald auf jeder Titelseite jedweder Zeitung der Welt Furore machen wird.
In der ganzen Stadt wird es von frommen Händen ausgeschnitten und an Haustüren und Fenster geklebt werden. Die Menschen werden es einrahmen und hinter ihre Ladentheke hängen. Unweigerlich wird irgendein kleiner Gauner daraus ein großes Poster machen, 60 x 90: Der Hügel in Jerusalem, voller Häuser und Gassen. Das breite leere Tafelland aus Pflastersteinen. Der zerklüftete Kiefer verkohlter Zähne. Die herrliche Fahne schwarzen Rauchs. Und darunter in blauen Lettern die Legende: ENDLICH! Diese Poster werden beim Schreibwarenhändler für einen Preis zwischen zehn und 12,95 Dollar verkauft werden.