Sie gehen die Stufen hinunter, durch den Raum mit den Fundstücken. Der ausgestopfte Marder grinst sie an. Die Seilschlinge an der Tür zum Kriechkeller hängt herab. Landsman versucht sich zu erinnern, ob er sie vor seinem unrühmlichen Rückzug am vergangenen Donnerstagabend wieder über den Haken legte. Er steht da und zerbricht sich den Kopf, dann gibt er auf.
»Ich gehe vor«, sagt Bina.
Sie sinkt auf ihre nackten Knie und arbeitet sich in den Kriechkeller vor. Landsman lässt sich zurückfallen. Sein hämmernder Puls, seine trockene Zunge, seine autonomen Systeme sind in die lästige Geschichte seiner Phobie verstrickt, doch der jedem Juden eigene Detektor, der auf den Empfang von Übertragungen des Messias eingestellt ist, reagiert auf den Anblick von Binas Hintern, reagiert auf die lange, geschwungene Kurve so, als sei ihr Po ein magischer Buchstabe des Alphabets, eine Rune, die die Macht besitzt, den Stein fortzurollen, unter dem Landsman sein Begehren lebendig begraben hat. Ihn durchsticht die Erkenntnis, dass ihm, wie mächtig der Zauber auch ist, den ihr Hintern auf ihn ausübt, dass ihm nie wieder erlaubt sein wird — Wunder über Wunder — hineinzubeißen. Dann verschwindet der Hintern in der Dunkelheit, zusammen mit dem Rest von Bina, und Landsman ist aufgeschmissen. Er murmelt vor sich hin, disputiert mit sich, fordert sich heraus, ihr nachzugehen, und dann sagt Bina: »Los, komm!«, und Landsman gehorcht.
Mit den Fingerspitzen bildet sie einen Bogen um die Sperrholzscheibe, hebt sie an und reicht sie Landsman. Ihr Gesicht flackert im Schein seiner Taschenlampe mit einer juxenden Feierlichkeit, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Als sie jung waren, kletterte er nachts immer in ihr Zimmer, schlich sich durchs Fenster hinein, um mit ihr zu schlafen, und diese Miene hatte sie immer aufgesetzt, wenn sie das Fenster öffnete.
»Da ist eine Leiter!«, sagt sie. »Meyer, die bist du doch nicht runtergestiegen, oder? Als du letztens abends hier warst?«
»Ähm, nein, ich war irgendwie, ich war nicht richtig —«
»Schon gut«, sagt sie sanft. »Ich weiß.«
Sie klettert eine Stahlklampe nach der anderen hinunter, und wieder folgt Landsman ihr. Er hört Binas prustenden Atem, als sie sich fallen lässt, das metallische Kratzen ihrer Schuhe. Dann fällt er selbst in die Dunkelheit. Sie fängt ihn auf, und es gelingt ihr halb, ihn auf den Beinen zu halten. Die Lampe auf Binas Stirn verstreut ihr Licht hierhin, dorthin, dahin, skizziert flüchtig den Tunnel.
Da ist ein weiteres Aluminiumrohr, das rechtwinklig zu dem verläuft, durch das sie gerade gekommen sind. Als Landsman sich aufrichtet, streift sein Hut die gewölbte Rundung. Das Rohr endet direkt hinter ihnen in einem Vorhang aus dumpfer schwarzer Erde und läuft in die andere Richtung geradeaus unter der Max Nordau Street hindurch in Richtung Blackpool. Die Luft ist kühl und planetarisch und enthält eine Spur Eisen. Auf dem Boden liegen Sperrholzplatten, die beiden trampeln darüber, und ihre Lampen offenbaren die dreckigen Stiefelabdrücke hindurchlaufender Männer.
Als sie meinen, die Max Nordau Street ungefähr zur Hälfte unterquert zu haben, treffen sie auf eine zweite Rohrleitung, die nach Osten und Westen führt und diesen Tunnel mit dem Netz verbindet, das die Grünlinge zum Schutz vor einer möglichen zukünftigen Vernichtung anlegten. Tunnel, die zu Tunneln, Lagern, Bunkern führen.
Landsman denkt an die Scharen von Juden, die mit seinem Vater hierherkamen, jene, die nicht vom Leid und Schrecken gebrochen waren, sondern dadurch nur noch entschlossener wurden. Die ehemaligen Partisanen, die Widerstandskämpfer, die kommunistischen Gangster, die linkszionistischen Saboteure — der Pöbel, wie man sie in den Zeitungen im Süden betitelte —, die nach dem Krieg mit ihren vulkanisierten Seelen in Sitka auftauchten und mit Eisbären wie Hertz Shemets ihren kurzen, zum Scheitern verurteilten Kampf um die Vorherrschaft im Distrikt austrugen. Diese kühnen, vernichteten Männer — sie wussten so sicher, wie sie den Geschmack ihrer eigenen Zunge im Mund kannten, dass ihre Retter sie eines Tages verraten würden. Sie marschierten in dieses wilde Land, das noch nie einen Juden gesehen hatte, und bereiteten sich auf den Tag vor, da sie zusammengetrieben, fortgeschickt und gezwungen werden würden, Stellung zu beziehen. Dann waren diese abgefeimten, zornigen Männer und Frauen nacheinander von Onkel Hertz und seinen endlosen Operationen eingespannt, einkassiert, gemästet, aufeinander angesetzt oder unschädlich gemacht worden.
»Nicht alle«, sagt Bina, und ihre Stimme prallt wie die von Landsman an den Aluminiumwänden des Tunnels ab. »Einige haben es sich hier einfach gemütlich gemacht. Sie begannen zu vergessen. Sie fühlten sich zu Hause.«
»Ich schätze, so läuft das immer«, sagt Landsman. »In Ägypten, Spanien, Polen.«
»Sie sind schwach geworden. Das ist menschlich. Sie hatten ihr Leben. Komm.«
Sie folgen den Brettern und gelangen zum nächsten Rohr, das sich über ihnen öffnet, ebenfalls mit Steigeisen versehen.
»Jetzt gehst du vor«, sagt Bina. »Kann ich zur Abwechslung mal dir auf den Hintern gucken.«
Landsman schwingt sich auf das unterste Eisen und steigt nach oben. Ein Muster schwachen Lichts dringt durch einen Riss oder ein Loch im Deckel am Ende des Rohrs. Landsman drückt gegen die Luke und schiebt sie hoch, ein schweres Stück Sperrholz, das sich nicht rühren oder biegen will. Er stemmt sich mit den Schultern dagegen.
»Was ist?«, fragt Bina unter ihm. Ihre Lampe scheint ihm wackelnd in die Augen.
»Bewegt sich nicht«, sagt Landsman. »Da muss was drauf stehen. Oder …«
Er tastet nach dem Loch, und seine Hand streift etwas Kaltes, Starres. Er fährt zurück, dann ertasten seine Finger einen Eisenstab, ein Seil, straff gespannt. Landsman scheint mit seiner kleinen Lampe darauf. Ein gummiertes Seil, geknotet und von oben durch das Griffloch geführt, dann festgezogen und am obersten Steigeisen im Rohr festgezurrt.
»Was ist, Meyer? Was haben die gemacht?«
»Sie haben es hinter sich zugebunden, damit ihnen niemand folgen konnte«, sagt Landsman. »Und zwar mit einem hübschen langen Seil.«
44.
Ein Gannef-Wind hat das Wetter umschlagen lassen, er weht vom Festland herüber und beraubt die Schatzkammer Sitka ihres Nebels und Regens, hinterlässt nichts als Spinnweben und einen glänzenden Penny im strahlend blauen Gewölbe. Um 12:03 Uhr hat die Sonne bereits auf die Stechuhr gedrückt. Im Sinken taucht sie das Kopfsteinpflaster und den Stuck des Platzes in ein so wundervolles violinfarbenes Licht, dass nur ein Stein nicht gerührt sein könnte. Landsman, einen Fluch auf ihn, mag zwar ein Schammes sein, aber aus Stein ist er nicht.
Auf dem Weg von Westen hinaus nach Verbov Island erschnuppern Bina und er auf der Avenue 225 allenthalben kräftige Duftwolken des brodelnden Zimmes, der in der ganzen Stadt köchelt. Auf dieser Insel ist der Geruch vor Freude und Panik noch intensiver und stärker als irgendwo sonst. Schilder und Banner preisen die bevorstehende Verkündigung des Königreichs David und mahnen die Frommen, sich für die Rückkehr nach Eretz Jisroel zu rüsten. Viele Schilder wirken spontan gefertigt, sind mit tropfenden Buchstaben auf Bettlaken und Fleischerpapier gesprüht. In den Seitenstraßen feilschen Hausfrauen und Händler, versuchen, die Preise für Koffer, konzentrierte Waschlauge, Sonnenschutz, Batterien, Proteinriegel und Ballen tropenleichter Wolle zu drücken oder zu inflationieren. Tiefer in den Gassen, stellt Landsman sich vor, in den Kellern und Torwegen, glüht ein stillerer Markt wie ein mit Asche bedecktes Feuer: Medikamente, Gold, Automatikwaffen. Landsman und Bina fahren an gedrängten Grüppchen von Straßenpredigern vorbei, die kommentieren, welche Familien im Heiligen Land welche Verträge bekommen sollen, welche Mobster das Policengeschäft, den Zigarettenschmuggel, das Waffen-Franchise leiten werden. Zum ersten Mal seit der Weltausstellung und seit Gaystik Weltmeister wurde, vielleicht zum ersten Mal seit sechzig Jahren — wenigstens kommt es Landsman so vor — passiert wirklich etwas im Distrikt Sitka. Als was es sich irgendwann entpuppen wird, davon hat nicht einmal der Weiseste der Straßenrabbis die geringste Ahnung.