Aber als sie das Herz der Insel erreichen, getreu dem verlorenen Herzen des alten Verbov nachgebildet, finden sie nichts, was auf das Ende des Exils, auf wuchernde Preise oder messianische Umwälzung schließen ließe. Unten am breiten Ende des Platzes steht das Haus des Verbover Rebbe und sieht so robust und ewig aus wie in einem Traum. Rauch eilt wie ein Geldbote aus dem üppigen Schornstein, nur um vom Wind überfallen zu werden. Die morgendlichen Rudashevskys lungern düster auf ihrem Posten, und auf dem First des Hauses thront der schwarze Hahn mit flatternden Rockschößen und halb automatischer Mandoline. Auf dem Platz drehen Frauen ihre üblichen Runden, schieben Kinderwagen oder ziehen Mädchen und Jungen hinter sich her, die noch zu klein für die Schule sind. Hier und dort bleiben sie stehen, um ihren Atem miteinander zu ver- und zu entflechten. In den Bogengängen der Häuser tun sich Zeitungsfetzen, Blätter und Staub zu spontanen Drejdl-Spielen zusammen. Zwei Männer in langen Mänteln stemmen sich gegen den Wind, steuern mit schwingenden Schläfenlocken auf das Haus des Rebbe zu. Zum ersten Mal kommt es Landsman so vor, als sei das traditionelle Klagelied der Juden von Sitka, das einem Glaubensbekenntnis oder zumindest einer Philosophie gleichkommt — Keiner schert sich um uns, wir sind vergessen, hier zwischen Hoonah und Hotzeplotz —, in den letzten sechzig Jahren in Wirklichkeit ein Segen gewesen und nicht das Elend, für das es alle in ihrer geographischen und historischen Rückständigkeit hielten.
»Wer will denn schon in diesem Hühnerstall leben?«, sagt Bina, ein Echo von Landsmans Gedanken. Sie schließt ihren orangefarbenen Parka bis oben hin, schlägt die Tür von Landsmans Wagen zu und tauscht traditionelle böse Blicke mit einer Gruppe von Frauen, die gegenüber der Werkstatt des Grenz-Mejwens auf der anderen Straßenseite stehen. »Dieser Ort ist wie ein Glasauge oder ein Holzbein: Man kann ihn nicht verpfänden.«
Vor dem düsteren Schuppen quält der Jungmann einen Lumpen mit einem Besenstiel. Der Lumpen ist mit einem psychotrop riechenden Lösungsmittel getränkt, der junge Kerl wurde zu drei hoffnungslosen Inseln Motoröl auf dem Boden abgeordnet. Mit dem Besenende piesackt und liebkost er den Lumpen. Als er Bina bemerkt, reagiert er mit einer befriedigenden Mischung aus Schrecken und Ehrfurcht. Wenn Bina Messias wäre, der ihn in einem orangefarbenen Parka erlösen wollte, wäre der Gesichtsausdruck des Pischers mehr oder weniger derselbe gewesen. Sein Blick klebt an ihr, mit brutaler Sorgfalt muss er ihn abwenden, als würde er die Zunge von einer gefrorenen Wasserpumpe lösen.
»Reb Zimbalist?«, fragt Landsman.
»Ist da«, sagt der Jungmann und weist mit dem Kinn zur Werkstatttür. »Aber er hat viel zu tun.«
»So viel wie du?«
Der Jungmann versetzt dem Lumpen noch einen planlosen Stoß. »Ich war im Weg.« Er bringt das Zitat mit selbstmitleidiger Bravour und wendet Bina dann eine Wange zu, ohne einen anderen Gesichtszug in diese Geste einzubeziehen. »Sie kann da nicht rein«, sagt er bestimmt. »Das ist unangemessen.«
»Siehst du das hier, mein Schejner?« Bina hat ihren Ausweis herausgefischt. »Ich bin wie Bargeld, das ist immer angemessen.«
Der Jungmann tritt einen Schritt zurück, und der Wischmoppgriff verschwindet hinter seinem Rücken, als sei er ein inkriminierender Gegenstand.
»Wollen Sie Reb Itzik verhaften?«, fragt er.
»Also«, sagt Landsman und geht einen Schritt auf das Kerlchen zu. »Warum sollten wir?«
Eines muss man einem Jeschiwa-Jungmann zugutehalten: Er weiß, wie man eine Frage umgeht.
»Woher soll ich das wissen?«, sagt er. »Wenn ich ein feiner Anwalt wäre, würde ich dann wohl hier rumstehen und mit einem Lumpen am Stiel den Boden wischen?«
In der Werkstatt stehen alle um den großen Kartentisch herum, Itzik Zimbalist und seine Mannschaft. Ein Dutzend strammer Juden in gelben Overalls, die Kinnladen gepolstert von ihren im Netz aufgerollten Bärten. Die Gegenwart einer Frau in der Werkstatt huscht zwischen ihnen umher wie eine lästige Motte. Zimbalist ist der Letzte, der von dem auf dem Tisch ausgebreiteten Problem aufschaut. Als er sieht, wer mit einer neuen dornenvollen Frage zum Grenz-Mejwen kommt, nickt er und brummt ein wenig verstimmt, als kämen Landsman und Bina zu spät zu einem Termin.
»Guten Morgen, die Herren«, sagt Bina mit sonderbar flötender, unüberzeugender Stimme in dieser großen, männlichen Scheune. »Ich bin Inspector Gelbfish.«
»Guten Morgen«, sagt der Grenz-Mejwen.
Sein scharf geschnittenes, fleischloses Gesicht ist so unleserlich wie eine Klinge oder ein Totenkopf. Er rollt den Plan oder die Karte mit geübter Hand zusammen, verschnürt sie mit einer Kordel und schiebt sie in ein Regal hinter sich, wo sie zwischen Tausenden ihresgleichen verschwindet. Seine Bewegungen sind die eines alten Mannes, für den Eile eine vergessene schlechte Angewohnheit ist.
Sein Schritt ist huckelig-ruckelig, aber seine Hände sind gepflegt und akkurat.
»Mittagspause ist vorbei«, ruft er seiner Mannschaft zu, obwohl nicht eine Spur von Essen zu sehen ist.
Die Mitarbeiter zögern, bilden einen unregelmäßigen Eruw um den Mejwen, bereit, ihn vor jedem weltlichen Ärger zu schützen, der von diesen zwei Dienstmarken in ihrer Mitte ausgehen könnte.
»Vielleicht bleiben Sie besser in der Nähe«, sagt Landsman. »Wir müssen eventuell noch mit Ihnen reden.«
»Wartet in den Autos«, befiehlt Zimbalist. »Ihr seid im Weg.«
Sie gehen durch das Lager zur Garage. Einer dreht sich um, fasst sich zweifelnd an den aufgerollten Bart.
»Da die Mittagspause jetzt vorbei ist, Reb Itzik«, sagt er, »wäre es da in Ordnung, wenn wir zu Abend essen?«
»Hängt das Frühstück gleich mit dran«, sagt Zimbalist. »Ihr werdet die ganze Nacht zu tun haben.«
»So viel Arbeit?«, sagt Bina.
»Soll das ein Witz sein? Die brauchen Jahre, um das alles einzupacken. Ich brauche mit Sicherheit ein Frachtschiff.«
Er geht zu dem elektrischen Wasserkessel und bereitet drei Gläser vor.
»Nu, Landsman, ich habe gehört, Sie hätten eventuell eine Zeit lang Ihren Ausweis verloren«, sagt der Mejwen.
»Sie hören viel, nicht?«, sagt Landsman.
»Ich höre, was ich höre.«
»Haben Sie vielleicht mal gehört, dass überall unter der Untershtot Tunnel gegraben wurden für den Fall, dass die Amerikaner sich gegen uns wenden und auf die Idee kommen, eine Sonderaktion durchzuführen?«
»Ich würde sagen, da klingelt es bei mir«, sagt Zimbalist. »Nun, da Sie davon sprechen.«
»Dann sind Sie nicht vielleicht zufällig im Besitz eines Plans von diesen Tunneln? Dem man entnehmen kann, wie sie verlaufen, was sie miteinander verbinden und so weiter?«
Immer noch hat der alte Mann ihnen den Rücken zugekehrt. Er reißt die Papiertütchen auf, in denen sich die Teebeutel verstecken.
»Wenn nicht«, sagt er, »was wäre ich dann für ein Grenz-Mejwen?«
»Wenn Sie also, aus welchem Grund auch immer, vorhätten, jemanden unbeobachtet in oder aus dem Keller des Hotel Blackpool auf der Max Nordau Street zu schaffen. Wären Sie dazu in der Lage?«
»Warum sollte ich das tun?«, fragt Zimbalist. »In der Absteige würde ich nicht mal den Chihuahua meiner Schwiegermutter unterbringen.«
Er zieht den Stecker des Kessels, bevor das Wasser kocht, und tränkt einen Teebeutel nach dem anderen. Die Gläser stellt er zusammen mit einem Glas Marmelade und drei kleinen Löffeln auf ein Tablett, und sie setzen sich an seinen Schreibtisch in der Ecke. Die Teebeutel geben ihre Farbe nur widerwillig an das lauwarme Wasser ab. Landsman reicht Papirossen herum und zündet sie an. Aus den Wagen dringen die Geräusche schreiender oder lachender Männer, Landsman kann es nicht richtig beurteilen.