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»Das Gesetz«, sagt sie. »Ich weiß nicht mal mehr, über was für ein Gesetz ich rede. Ich denke mir den ganzen Scheiß bloß aus.«

Schweigend sitzen sie da, und Landsman ringt mit dem immerwährenden Polizistendilemma, verpflichtet zu sein, das Naheliegende festzustellen.

»Irgendwie mag ich diese verrückte neue Bina und so«, sagt er. »Aber ich muss wohl darauf hinweisen, dass wir keine richtigen Anhaltspunkte im Fall Shpilman haben. Keine Zeugen. Keine Verdächtigen.«

»Nun, dann besorgen du und dein Kollege mir besser mal schleunigst einen Verdächtigen«, sagt sie. »Oder?«

»Ja, Ma’am.«

»Fahren wir.«

Er startet den Motor und legt den Gang ein.

»Warte mal«, sagt sie. »Was ist das denn?«

Auf der anderen Seite des Platzes hält ein großer schwarzer Geländewagen an der Ostseite des Shpilman-Hauses. Zwei Rudashevskys steigen aus. Einer geht nach hinten, um den Kofferraum zu öffnen. Der andere wartet neben dem Wagen, die Hände locker auf dem Rücken verschränkt. Kurz darauf kommen zwei weitere Rudashevskys aus dem Haus, schleppen mehrere Hundert Kubikmeter offenbar handbemalter französischer Koffer heraus. Schnell und ohne große Rücksicht auf die Gesetze der Geometrie gelingt es den vier Rudashevskys, alle Koffer und Taschen hinten in den Geländewagen zu quetschen.

Nachdem sie diese Großtat vollbracht haben, bricht ein erheblicher Teil des Hauses ab und fällt ihnen in einem wunderschönen rehbraunen Alpakamantel in die Arme. Der Verbover Rebbe schaut nicht hoch oder zurück oder auf die Welt, die er aufgebaut hat und nun verlässt. Er gestattet den Rudashevskys, ihren Origami mit ihm zu veranstalten, sie klappen ihn und seine Gehstöcke auf den Rücksitz des Fahrzeugs. Der Jid gesellt sich zu seinem Gepäck und rollt davon.

Fünfundfünfzig Sekunden später fährt ein zweiter Geländewagen vor, und man hilft zwei verschleierten Frauen in langen Kleidern zusammen mit ihrem Gepäckturm und ihren zahlreichen Kindern auf den Rücksitz. Diese Prozedur mit Frauen und Kindern und schwarzen Limousinen wiederholt sich in den folgenden elf Minuten.

»Hoffentlich gibt es so riesengroße Flugzeuge«, sagt Landsman.

»Ich habe sie nicht gesehen«, sagt Bina. »Du?«

»Ich glaube nicht. Und Big Shprintzl auch nicht.«

Eine halbe Sekunde später klingelt Binas Shoyfer.

»Gelbfish. Ja. Haben wir uns schon gedacht. Ja. Verstanden.«

Sie klappt das Handy zu.

»Fahr um das Haus herum nach hinten«, sagt sie. »Sie hat deinen Wagen gesehen.«

Landsman fährt den Super Sport durch eine schmale Gasse auf einen Hof hinter dem Haus des Rebbes. Abgesehen von seinem Auto ist dort nichts, das vor hundert Jahren fehl am Platz gewesen wäre. Steinplatten, Stuckmauern, Bleiglas, eine lange, holzverkleidete Galerie. Die Steinfliesen sind glatt, Wasser tropft aus Farnen in Blumentöpfen in der Galerie.

»Kommt sie raus?«

Bina antwortet nicht, und kurz darauf öffnet sich eine blaue Tür in einem flachen Flügel des großen, hohen Hauses. Der Gebäudetrakt steht in schiefem Winkel zum Rest des Baus und sackt mit malerischer Präzision durch. Batsheva Shpilman ist immer noch mehr oder weniger für eine Beerdigung gekleidet, ihr Kopf und ihr Gesicht sind hinter einem langen, hauchdünnen Schleier verborgen. Sie überschreitet nicht die Lücke von vielleicht zweieinhalb Metern, die sie vom Auto trennt; sie steht einfach auf der Schwelle, und im Dunkeln hinter ihr erhebt sich die treue Gestalt von Shprintzl Rudashevsky. Bina lässt das Fenster herunter.

»Fahren Sie nicht?«, fragt Bina.

»Haben Sie ihn gefasst?«

Bina spielt keine Spielchen und stellt sich nicht dumm. Sie schüttelt einfach den Kopf.

»Dann fahre ich auch nicht.«

»Es kann ein bisschen dauern. Es kann länger dauern, als wir Zeit haben.«

»Das hoffe ich auf gar keinen Fall«, sagt Mendel Shpilmans Mutter. »Dieser Zimbalist schickt seine Idioten in den gelben Schlafanzügen zu uns rüber, um jeden Stein in diesem Haus zu nummerieren, damit es zerlegt und in Jerusalem wieder zusammengesetzt werden kann. Wenn ich in zwei Wochen noch da bin, muss ich in Shprintzls Garage schlafen.«

»Das wäre mir eine große Ehre«, sagt entweder ein sehr feierlich sprechender Esel oder Shprintzl Rudashevsky hinter der Frau des Rebbe.

»Wir werden ihn fassen«, sagt Bina. »Detective Landsman hat es mir gerade geschworen.«

»Ich weiß, was seine Versprechen wert sind«, sagt Mrs. Shpilman. »Sie auch.«

»Hey!«, sagt Landsman, aber sie hat sich schon wieder umgedreht und ist in das schiefe Haus zurückgegangen, aus dem sie herauskam.

»Gut«, sagt Bina und klatscht in die Hände. »Fangen wir an. Was machen wir jetzt?«

Landsman klopft auf das Lenkrad, denkt an seine Versprechen und ihren Wert. Er war Bina nie untreu. Doch es besteht kein Zweifel, dass es Landsmans mangelnde Treue war, die ihre Ehe zerstörte. Ein treuer Glaube nicht an Gott oder an Bina selbst und ihren Charakter, sondern an die grundlegende Überzeugung, dass alles, was ihnen seit ihrem ersten Kennenlernen widerfuhr, Gutes wie Schlechtes, vorherbestimmt war. Der dumme Kojotenglaube, der einen in der Luft hält, solange man sich selbst einredet, fliegen zu können.

»Den ganzen Tag habe ich schon Appetit auf Krautwickel«, sagt er.

45.

Vom Sommer 1986 bis zum Frühjahr 1988, als sie den Wünschen von Binas Eltern trotzten und zusammenzogen, schlich sich Landsman in das Haus der Gelbfishs, um mit Bina zu schlafen. Jede Nacht, außer wenn sie Streit hatten, und manchmal auch im dicksten Streit, kletterte Landsman die Regenrinne hinauf und purzelte durch Binas Zimmerfenster, um sich das schmale Bett mit ihr zu teilen.

An diesem Abend brauchte er länger, und es kostete ihn mehr Anstrengung, als seine Eitelkeit bereit ist zuzugeben. Auf halbem Weg, direkt über Mr. Oyshers Esszimmerfenster, rutschte Landsmans linker Slipper ab, sodass er gefährlich über der schwarzen Leere des Gelbfish’schen Hinterhofs baumelte. Die Sterne über ihm, der Große Bär und die Schlange, tauschten ihre Plätze mit dem Rhododendron und dem Wrack des nachbarlichen Sukkoh. Im Ringen riss sich Landsman das Hosenbein am Aluminiumhalter auf, sein ewiger Feind im Kampf um die Vorherrschaft über die Regenrinne. Das Vorspiel zwischen den Liebenden begann damit, dass Bina ein Taschentuch zusammenballte, um die blutende Wunde auf Landsmans Schienbein zu stillen. Dieses Schienbein mit den Flecken und Sprossen, mit dem sonderbaren Midlife-Flaum schwarzer Haare.

Da liegen sie nun, auf der Seite, ein Paar alternder Jids, zusammengeklebt wie die Blätter eines Albums. Binas Schulterblätter drücken gegen Landsmans Brust. Die Knubbel seiner Kniescheiben sind in ihre weichen, feuchten Kniekehlen eingepasst. Seine Lippen blasen sanft über die Teetasse ihres Ohres. Und ein Teil von Landsman, der sehr lange Symbol und Schauplatz seiner Einsamkeit war, hat Obdach gefunden in der ihm vorgesetzten Beamtin, mit der Landsman einmal zwölf Jahre verheiratet war. Obwohl, es muss gesagt werden, dass das Unterkommen in ihr heikel geworden ist. Ein ordentliches Niesen, und er könnte draußen sein.

»Die ganze Zeit«, sagt Bina. »Zwei Jahre.«

»Die ganze Zeit.«

»Nicht einmal.«

»Nichts.«

»Warst du nicht einsam?«

»Ziemlich.«

»Schwermütig?«

»Schwerstmütig. Aber nie traurig oder einsam genug, um mir einzureden, dass wahlloser Sex mit irgendeiner Jüdin meine Laune irgendwie heben würde.«

»Ehrlich gesagt, macht wahlloser Sex das Ganze nur noch schlimmer«, sagt sie.

»Du sprichst aus Erfahrung.«

»Ich habe mit ein, zwei Männern in Yakovy geschlafen. Falls du das wissen wolltest.«

»Komisch«, sagt Landsman nachdenklich. »Ich glaube, das wollte ich gar nicht wissen.«

»Zwei oder drei.«

»Ich brauche kein Protokoll.«