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Mike schüttelte den Kopf: »Das kann nicht sein«, sagte er. »Mein Vater war ein friedlicher Mann, der bestimmt nichts mit Krieg oder Waffen im Sinn gehabt hat.«

»Woher willst du das wissen?« fragte Ben. »Du hast ihn doch überhaupt nicht gekannt.«

»Ich weiß es eben«, antwortete Mike scharf. »Außerdem habe ich genug über ihn gehört. Was soll er schon besessen oder erfunden haben? Irgendeine Geheimwaffe vielleicht?«

»Möglich«, sagte Ben gelassen. »Auf jeden Fall ist da eine ganz große Sache im Gange, das könnt ihr mir glauben. Winterfeld hat bestimmt nicht umsonst so viel riskiert.«

Mike blickte ihn niedergeschlagen an. Bens Worte trafen den Kern der Sache. Seine Gedanken drehten sich immer schneller im Kreis. Er verstand einfach nicht, warum Winterfeld ihn hatte entführen lassen.

Und dabei blieb es für die nächsten beinahe fünf Wochen.

Es war einer jener Tage gewesen, an denen sie unter Deck zu bleiben hatten. Winterfeld hatte Mike durch einen der Matrosen ausrichten lassen, daß er ihn am Abend zu sehen wünsche, um - wie er es ausdrückte - die neueste Entwicklung der ganzen Angelegenheit mit ihm zu erörtern, was bedeutete, daß er ihn wieder nach dem Code fragen und Mike ihm neuerlich versichern würde, daß er nach wie vor keine Ahnung habe, was die Papiere seines Vaters bedeuteten, und Winterfeld damit konterte, den Moment ihrer Freilassung erneut in unbekannte Fernen zu verschieben. Zweimal hatte in den vergangenen Wochen so ein Gespräch stattgefunden.

Von diesen unerfreulichen Episoden einmal abgesehen, hatte sich ihre »Gefangenschaft« jedoch völlig anders entwickelt, als Mike oder die anderen erwartet hatten. Im Grunde wurden sie überhaupt nicht als Gefangene behandelt. Ganz im Gegenteil. Nachdem das Schiff die britischen Hoheitsgewässer verlassen und seine unfreiwilligen Passagiere den Schock des Entführtwerdens überwunden hatten, begannen sie ihren Aufenthalt an Bord beinahe zu genießen. Mit Ausnahme weniger Gelegenheiten, bei denen sie den Kurs eines anderen Schiffes gekreuzt oder einen Hafen angelaufen hatten, um frische Vorräte oder Kohle zu bunkern, durften sie sich an Bord nahezu frei bewegen. Sie verbrachten viel Zeit an Deck, und je weiter sie nach Süden kamen, desto mehr holten sie den Sommer wieder ein. Auch die Mannschaft, von der die meisten vermutlich Elitesoldaten waren, die Winterfeld vermutlich höchstpersönlich für dieses Unternehmen ausgesucht hatte, erwies sich als unerwartet freundlich. Ganz eindeutig hatte Winterfeld Anweisung gegeben, sie so zuvorkommend wie möglich zu behandeln.

Von diesen wenigen Einschränkungen einmal abgesehen, waren Mike die letzten fünf Wochen beinahe wie Ferien vorgekommen, und er wußte, daß es auch den anderen so erging. Selbst Miß McCrooder, die während der ersten Tage sehr schweigsam und besorgt gewesen war, hatte sich zunehmend entspannt. In den letzten Tagen hatte Mike sie immer öfter an Deck gesehen und ein paarmal sogar lachen gehört. Auch wenn Mike sich dieses Gedankens beinahe selbst schämte - sie hätten es weit schlimmer treffen können.

Mike schrak für eine Sekunde aus seinen mehr oder weniger düsteren Gedanken hoch, als er das Geräusch der Tür hörte, warf einen Blick über die Schulter zurück und wandte sich dann wieder dem Bild vor dem Bullauge zu, als er sah, daß es nur einer der Matrosen war, der das Essen gebracht hatte.

Sein Blick glitt über die weißen Fassaden der Hafengebäude, die draußen im Licht der Mittagssonne schimmerten. Er fragte sich, welche Stadt es wohl sein mochte: Rio de Janeiro, Caracas, Panama... Aus aufgeschnappten Bemerkungen der Mannschaft und eigenen Beobachtungen - vor allem hatte das immer wärmer werdende Wetter dazu beigetragen - hatten sie sich zwar zusammengereimt, daß das Schiff in irgendeinem südamerikanischen Hafen vor Anker lag, aber natürlich hatten die Männer auf ihre diesbezüglichen Fragen beharrlich geschwiegen. Und seit zwei Tagen standen wieder Wachen vor der Tür ihrer Quartiere, die sie nicht verlassen durften, ehe das Schiff nicht wieder ausgelaufen war und eine gehörige Distanz zwischen sich und die Küste gebracht hatte.

Der Matrose klapperte hinter ihm immer heftiger mit dem Geschirr, und Mike wandte abermals den Blick - und stutzte. Der Mann war gerade zum dritten Mal dabei, unter heftigem Klirren und Lärmen Tassen und Teller vom Tablett auf den Tisch und zurück zu stellen. Er hatte den Kopf gesenkt, versuchte aber trotzdem, Mike einen beschwörenden Blick zuzuwerfen.

Mike wurde schlagartig klar, daß der Mann versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erregen, aber es nicht wagte, ihn einfach anzusprechen, denn vor der Tür der Kabine, die offen stand wie immer, wenn jemand hereinkam, um ihnen Essen zu servieren, das gebrauchte Geschirr abzuholen oder eine Nachricht zu überbringen, standen zwei Soldaten Wache. Sie unterhielten sich lautstark und lachten, aber trotzdem mußten sie jedes Wort hören, das hier drinnen gesprochen wurde. Mike warf einen raschen Blick zu Chris hinüber, mit dem er sich die Kabine teilte, stellte fest, daß er zusammengerollt auf seiner Liege lag und fest schlief, und drehte sich dann herum, um mit langsamen Schritten zum Tisch zu gehen. Dabei behielt er unauffällig die Tür im Auge. Die beiden Männer dort draußen redeten noch immer, aber einem von ihnen war aufgefallen, daß das Servieren des Mittagessens etwas lange dauerte, denn er sah genau in diesem Moment mißtrauisch zu ihm herein.

»Was gibt es denn heute?« fragte Mike, während er sich dem Tisch näherte. »Schon wieder Gemüsesuppe?« fragte er übertrieben laut und mißmutig. Er hob den Deckel von der Suppenterrine und schnupperte hörbar. »Fällt dem Koch eigentlich gar nichts Neues mehr ein?«

Der Mann an der Tür grinste und wandte sich wieder seinem Kameraden zu, und Mike wagte es, dem Steward vor sich direkt ins Gesicht zu blicken. Seltsam - er war sicher, den Mann noch nie zuvor hier an Bord gesehen zu haben; und trotzdem kam er ihm irgendwie bekannt vor. Mike runzelte fragend die Stirn.

»Heute abend«, flüsterte der Matrose, während er vom Tisch zurücktrat und sich das leere Tablett unter den Arm klemmte. »Eine Stunde nach Mitternacht. Seid bereit.«

Mike riß verwirrt die Augen auf, aber er bekam keine Gelegenheit zu einer Frage, denn der Matrose drehte sich schnell herum und verließ mit gesenktem Blick die Kabine. Mike fiel auf, daß seine Haut merklich dunkler war als die der beiden Posten vor der Tür.

Eine Stunde nach Mitternacht, wiederholte Mike in Gedanken. Das konnte doch nur heißen...

Kaum hatten die beiden Soldaten die Tür hinter dem vermeintlichen Steward geschlossen, da fuhr Mike herum, lief zu Chris' Koje und schüttelte seinen Mitgefangenen wach.

Chris schlug seine Hand zur Seite, versuchte sich herumzudrehen, um weiterzuschlafen. Mike hatte nie zuvor einen Menschen getroffen, der so viel schlafen konnte wie Chris und trotzdem ununterbrochen müde war. Aber Mike ließ nicht locker, sondern packte Chris kurzerhand bei den Schultern und zerrte ihn mit sanfter Gewalt in die Höhe.

»Verdammt!« flüsterte er hastig. »Mach endlich die Augen auf! Wir müssen zu den anderen! Es ist etwas passiert!«

»Hm?« machte Chris. Mike versuchte nicht Chris irgend etwas zu erklären, sondern zerrte ihn vollends in die Höhe und schubste ihn vor sich her zur Tür. »Komm mit!«

Irgendwo auf halbem Weg schien Chris dann wohl doch aufzuwachen, denn er streifte Mikes Hand ab und blieb vor dem Tisch stehen. »Das Essen ist ja schon da!« sagte er überrascht. »Ist es schon so spät?«

»Ja«, antwortete Mike ungeduldig und zerrte ihn weiter. »Aber dafür ist jetzt keine Zeit. Wir müssen zu den anderen. Und kein Wort!«

Chris blinzelte verwirrt, aber Mike hatte schon die Tür erreicht und riß sie auf. Die beiden Wachen draußen unterbrachen überrascht ihr Gespräch und drehten sich zu ihm herum, aber Mike ignorierte sie einfach.

»Das lasse ich mir nicht länger gefallen!« sagte er laut und in so zornigem Tonfall, wie er nur konnte. »Den Fraß kriegt ja keiner herunter! Ich spreche mit den anderen, und danach knöpfen wir uns diesen Küchenknaben vor! Auch ein Gefangener hat ein Recht auf vernünftiges Essen!«