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Unter der Tür war niemand anders als Paul erschienen. Hinter ihm stürmte ein Mann in einer blauen Uniform herein, der offenbar vergeblich versucht hatte, ihn zurückzuhalten. Auf Pauls Gesicht lag ein schelmisches Lächeln. »Hallo Vater!« sagte er fröhlich. »Na, ist mir die Überraschung ... gelungen?«

Seine Augen wurden groß. Er erstarrte mitten in der Bewegung, und Mike konnte sehen, wie jeder Tropfen Blut aus seinem Gesicht wich. Das letzte Wort hatte er nur noch geflüstert. Er hatte Mike gesehen.

Kapitän Winterfeld hatte seine Überraschung endlich überwunden. Mit einem so heftigen Ruck, daß sein Stuhl umfiel, sprang er auf und beugte sich über den Tisch. »Paul!« donnerte er. »Was tust du hier? Ich hatte dir doch befohlen, an Land auf mich zu warten!«

Paul schien die Worte seines Vaters gar nicht zu hören. Fassungslos starrte er Mike an, und Mike seinerseits blickte Paul mit kaum weniger großer Verwirrung an. Paul hier? Was hatte das jetzt wieder zu bedeuten? Gehörte er am Ende vielleicht doch dazu, auch wenn sein Vater das Gegenteil behauptet hatte?

»Mike?« murmelte Paul in einem Tonfall, als könnte er einfach nicht glauben, was seine Augen sahen. »Mike? Aber wie ... was ... was machst du denn hier?«

Es fiel Mike schwer, überhaupt zu antworten. »Das fragst du am besten deinen Vater«, sagte er leise.

Paul riß sich mit sichtbarer Mühe von seinem Anblick los und wandte sich an seinen Vater, aber der ließ ihm gar keine Gelegenheit, irgendeine Frage zu stellen, sondern fuhr ihn an: »Was tust du hier?! Wieso zum Teufel -« Er brach ab, atmete hörbar ein und wandte sich dann an den Mann, der hinter Paul stehengeblieben war.

»Sind Sie wahnsinnig geworden? Ich hatte Ihnen befohlen, ihn auf keinen Fall aus den Augen zu lassen!«

Der Mann schrumpfte unter den Worten in sich zusammen. »Ich ... es tut mir leid, Herr Kapitän«, stotterte er. »Ich ... ich dachte -«

»Sie sollen nicht denken, sondern gehorchen, Sie Idiot!« brüllte Winterfeld. Er ballte die Hände zu Fäusten. Für eine Sekunde sah es wirklich so aus, als wollte er sich einfach auf seinen unglückseligen Untergebenen stürzen. Aber er beherrschte sich.

»Verschwinden Sie!« zischte er.

»Herr Kapitän, ich ... ich kann wirklich nichts -«

»Gehen Sie mir aus den Augen, Sie Trottel!« fauchte Winterfeld. »Ich erwarte Sie in zwei Stunden in meiner Kabine.«

Der Mann starrte ihn noch eine Sekunde lang mit schierem Entsetzen an, dann drehte er sich um und schlich wie ein geprügelter Hund davon.

»Was hat das zu bedeuten?« fragte Paul scharf. Er deutete auf Mike. »Was tut Mike hier? Was ... was geht hier vor?«

Winterfeld begann nervös seinen Schnurrbart zu zwirbeln. Seine Finger zitterten. »Das ist eine komplizierte Geschichte«, antwortete er, »die ich dir nicht so rasch erklären kann. Es sollte ... eine Überraschung sein.«

»Die ist Ihnen gelungen«, sagte Mike, noch ehe Paul Gelegenheit bekam, zu antworten. »Warum sagen Sie ihm nicht die Wahrheit? Oder soll ich es tun?« Er drehte sich in seinem Stuhl herum und sah wieder zu Paul hoch. »Dein Vater hat mich und die anderen -«

»Das reicht!« unterbrach ihn Winterfeld scharf. Er machte eine befehlende Geste zu Mike, aufzustehen. »Vielleicht ist es besser, wenn du jetzt gehst«, sagte er. »Ich werde Paul alles erklären.«

»Ich möchte, daß er bleibt!« mischte sich Paul ein. Mike hatte ihn niemals so aufgebracht und wütend erlebt wie in diesem Moment. »Ich will die Wahrheit wissen!«

Kapitän Winterfeld schwieg, während Paul ihn durchdringend anstarrte, und - es kam Mike fast absurd vor, nach allem, was er mit diesem Mann erlebt hatte - fast schien es, als wäre es diesmal er, der das stumme Blickduell zu verlieren drohte. Aber dann gab er sich einen Ruck, straffte sich und brüllte, daß Mike die Ohren klangen: »Leutnant Strecker!«

Die Tür wurde aufgerissen, und der Soldat, der Mike hergeführt hatte, kam herein. Er wirkte sehr unruhig. »Herr Kapitän?«

Winterfeld deutete auf Mike. »Bringen Sie Michael zurück zu seinen Freunden!« sagte er. »Mein Sohn bleibt noch einen Moment hier. Ich habe mit ihm zu reden.«

Mike hatte nach seiner Rückkehr nicht nur Chris und die drei anderen, sondern auch Miß McCrooder in seiner Kabine angetroffen und hatte sie von der neuesten Entwicklung unterrichtet. Danach schmiedeten sie Fluchtpläne - wie sie es schon so oft getan hatten, seit ihre Reise ins Ungewisse begonnen hatte, aber doch mit dem Wissen, daß sie allesamt zum Scheitern verurteilt waren. Diesmal aber war es anders: Wenn der geheimnisvolle Fremde, den Mike wiedererkannt zu haben glaubte, tatsächlich auf ihrer Seite stand, dann hatten sie möglicherweise zum ersten Mal eine wirkliche Chance, Winterfelds Gefangenschaft zu entkommen.

Es war Miß McCrooder, die einen Wermutstropfen in ihre zuversichtliche Stimmung fallen ließ; und zwar einen gehörigen. »Wer sagt euch eigentlich, daß dieser Fremde tatsächlich hier ist, um uns zu befreien?« fragte sie, nachdem sie ihren immer abenteuerlicher werdenden Wenn-wir-erst-einmal-hier-raus-sind-Geschichten wortlos zugehört hatte.

Für eine Sekunde wurde es still. Alle blickten Miß McCrooder verwirrt an. »Aber ... aber was soll er denn sonst wollen?« fragte Chris schließlich.

»Das weiß ich nicht«, antwortete Miß McCrooder. »Aber ich würde nicht zu optimistisch sein. Er hat nur gesagt: eine Stunde nach Mitternacht. Nicht mehr. Woher wollt ihr so genau wissen, was dann passiert?«

Schweigen breitete sich nach diesen Worten zwischen ihnen aus. Auf allen Gesichtern stand die gleiche Enttäuschung geschrieben.

Miß McCrooder fuhr hastig fort: »Versteht mich nicht falsch - ich selbst glaube auch, daß uns dieser Mann helfen will; schon, weil ich es einfach glauben möchte. Aber selbst wenn ein Wunder geschieht und wir irgendwie von diesem Schiff entkommen, ist damit noch lange nicht alles vorbei. Wir wissen nicht einmal genau, wo wir sind. Auf jeden Fall in einem fremden Land, in dem wir ganz auf uns allein gestellt sein werden.«

»Das ist kein Problem«, sagte Juan großspurig. »Wir müssen irgendwo in Südamerika sein. Da wird Spanisch gesprochen. Und sobald wir eine spanische Botschaft finden, reicht ein einziges Telegramm an meinen Vater, und dieser Winterfeld wird sich wünschen, niemals geboren zu sein.«

Ehe jemand etwas darauf erwidern konnte, wurde die Tür aufgerissen, und Leutnant Strecker und der zweite Soldat führten den sich heftig sträubenden Paul herein, der die beiden Männer aus Leibeskräften in seiner Muttersprache beschimpfte. Sie mußten ihn an beiden Handgelenken festhalten, sonst hätte er sich wahrscheinlich auf der Stelle losgerissen und wäre wieder auf den Gang hinausgestürmt. Unsanft bugsierten sie ihn bis zur Mitte des Raumes, dann wandten sie sich um, verließen die Kabine und schlossen rasch die Tür. Paul eilte ihnen, noch immer schimpfend, nach, rüttelte ein paarmal vergeblich an der Klinke und versetzte der Tür schließlich einen zornigen Tritt.

Als er sich herumdrehte, starrten ihn alle an, und für ein paar Augenblicke breitete sich eine eigenartige Stimmung in der kleinen Kabine aus. Paul wirkte zornig und verlegen zugleich, während die Jungen - Mike und Miß McCrooder ausgenommen - keinen Hehl daraus machten, daß sein Erscheinen nicht unbedingt eine angenehme Überraschung bedeutete.

»Was tust du denn hier?« fragte Ben schließlich. »Hat dich dein Vater zum Spionieren hergeschickt?«

Pauls Augen blitzten, aber er behielt die Ruhe. »Ich habe es ja nicht geglaubt«, sagte er, während er seinen Blick von einem zum anderen wandern ließ. »Ihr ... ihr wart tatsächlich die ganze Zeit über hier? Hier an Bord? Was ist nun wirklich geschehen?« Er fuhr zusammen, als er jetzt auch Miß McCrooder sah. »Sie sind auch hier? Wo ist McIntire? Ist er auch an Bord?«