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»Das solltest du eigentlich besser wissen als wir«, grollte Ben, bevor Miß McCrooder antworten konnte. »Wahrscheinlich habt ihr doch die ganze Zeit über uns Idioten gelacht, daß euch die Bäuche weh taten, oder?«

Pauls Blick spiegelte vollkommenes Unverständnis, und Miß McCrooder fragte rasch: »Ist McIntire denn nicht bei euch?«

»Bei uns?« Paul schüttelte den Kopf. »Aber wieso denn? Er -«

»Lüg uns nicht auch noch an!« unterbrach ihn Ben aufgebracht. »Er gehört doch zu euch!«

»Jetzt reicht es aber!« antwortete Paul. »Wenn du jetzt nicht aufhörst, dann...«

»Dann?« fragte Ben, als Paul nicht weitersprach. Er stand auf und trat herausfordernd auf Paul zu. »Was dann?«

Paul funkelte ihn an. Er war fast einen Kopf kleiner als Ben und wog sicherlich zwanzig Pfund weniger. Und außerdem kannte er wie alle anderen den Ruf, der dem jungen Engländer vorauseilte - nämlich, keiner Prügelei aus dem Weg zu gehen und die meisten auch zu gewinnen. Und trotzdem sah es für einen Moment so aus, als wollte Paul sich einfach auf ihn stürzen, um die Diskussion mit seinen Fäusten fortzusetzen.

Es war Juan, der den drohenden Streit schlichtete. Hastig sprang er auf, trat zwischen die beiden Kampfhähne und breitete die Arme aus. »Bitte, Leute!« sagte er. »Seid vernünftig! Das hat doch keinen Zweck!«

Ben schob kampflustig die Schultern vor. »Laß mich zehn Minuten mit ihm allein, und ich zeige dir, was Zweck hat«, sagte er drohend. »Vielleicht brauche ich auch nur fünf, und er wird uns alles erzählen, was wir wissen wollen.«

»Das tut er bestimmt auch so«, sagte Juan. Er bedachte Ben mit einem mahnenden Blick, ehe er sich vollends zu Paul herumdrehte. »Oder?«

Paul sah Ben weiterhin herausfordernd an, aber nach ein paar Sekunden nickte er. »Ich weiß wirklich nicht, was das alles bedeutet«, sagte er. »Bis vor einer Stunde wußte ich nicht einmal, daß ihr überhaupt hier seid! Ich dachte, ihr wärt in London, nicht in Rio.«

»Rio de Janeiro?« vergewisserte sich Mike. Paul nickte.

»Na ja, jetzt wissen wir wenigstens, wo wir sind«, stellte Juan fest. Zu Paul gewandt, fuhr er fort. »Aber wie kommst du hierher?«

»Mit der LEOPOLD«, antwortete Paul. »Sie liegt ein paar Meilen von hier vor Anker. Mein Vater hat mich heute morgen abgeholt und ist mit mir an Land gegangen. Er wollte mir die Stadt zeigen. Danach ist er weggegangen, um noch irgendwas Geschäftliches zu erledigen - wenigstens hat er das gesagt. Ich sollte am Hafen warten, bis er zurückkäme. Aber ich hatte keine Lust, den Tag in der Gesellschaft seines Adjutanten zu verbringen. Der Kerl ist ungefähr so gesprächig wie eine Rolle Schlaftabletten. Also bin ich ausgebüchst und habe ein Boot gechartert, das mich hierher brachte. Ich wollte ihn überraschen.«

»Das ist dir gelungen«, sagte Mike. Paul verzog das Gesicht, enthielt sich aber jeden Kommentars. Mike konnte sich lebhaft vorstellen, welches Donnerwetter auf Paul herabgegangen war, nachdem er ihn mit seinem Vater alleingelassen hatte.

»Wieso ist die LEOPOLD hier?« fragte er dann.

Paul zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung«, antwortete er. »Mein Vater spricht nicht mit mir über militärische Dinge. Wahrscheinlich ist es sowieso geheim. Aber mir ist aufgefallen, daß wir ziemlich überhastet aufgebrochen sind. Eigentlich sollten die Reparaturen ja noch sechs Tage dauern, aber die LEOPOLD ist schon am nächsten Morgen ausgelaufen. Mein Vater und ich haben auf euch gewartet. Als ihr zwei Stunden nach dem verabredeten Zeitpunkt immer noch nicht da wart, ist mein Vater mit einem Boot losgefahren, um nach dem Rechten zu sehen. Er kam erst nach einer ganzen Weile zurück und erzählte, daß es einen Unfall im Hafen gegeben hat.«

»Ja«, sagte Ben, »so kann man es auch nennen.«

Paul durchbohrte ihn mit Blicken, fuhr aber in unverändertem Ton fort: »Ich war ziemlich besorgt, aber er beruhigte mich und sagte, daß niemandem etwas passiert sei. Nur wärt ihr alle bis auf die Knochen naß geworden und zu Tode erschrocken, so daß McIntire den Ausflug abgesagt hätte und mit euch nach Andara-House zurückgefahren sei.« Er hob die Hände. »Natürlich habe ich ihm geglaubt. Woher sollte ich denn wissen, was wirklich passiert war?«

»Na, dafür weißt du es jetzt«, sagte Mike.

»Gar nichts weiß ich«, erwiderte Paul. »Du kennst meinen Vater schlecht, wenn du glaubst, er hätte mir auch nur eine einzige Frage beantwortet. Er hat mich angeschrien und mir einen Vortrag über die Bedeutung der Worte Gehorsam und Befehl gehalten, aber das war auch alles. Aber ich weiß immer noch nicht, warum ihr hier seid.«

»Dann sollte es ihm jemand erklären«, sagte Juan. Er wandte sich mit einer auffordernden Geste an Mike. »Und wer wäre besser dazu geeignet als der, dem wir dieses ganze Schlamassel zu verdanken haben?«

Nun war es an Mike, Juan einen wütenden Blick zuzuwerfen. Aber dann begann er ruhig zu erzählen, was an jenem Morgen in London und danach wirklich passiert war. Pauls Gesichtsausdruck wurde immer entsetzter, während er ihm zuhörte.

»... und jetzt sind wir hier«, schloß Mike. »Bis vor zehn Minuten wußten wir nicht einmal, wo dieses Hier überhaupt ist.«

»Das ... klingt unglaublich«, murmelte Paul. Er sah Mike nicht an, sondern hatte den Blick gesenkt. Doch Mike glaubte genau zu spüren, wie es in seinem Freund aussah. Schließlich war der Bösewicht in der Geschichte niemand anders als Pauls Vater.

»Du kannst es ruhig glauben«, sagte Ben giftig. »Genauso wie wir glauben, daß dein liebes Väterchen dich nur zum Spionieren hergeschickt hat!«

Mike warf Ben einen drohenden Blick zu, aber Paul schien den letzten Satz gar nicht gehört zu haben. »Aber das ... das paßt überhaupt nicht zu ihm!« sagte er. »Ich sage das bestimmt nicht nur, weil er mein Vater ist. Er ist ... der pflichtbewußteste Mann, den ich kenne, Er würde so etwas nie tun!«

»Außer vielleicht, jemand befiehlt es ihm«, sagte Juan leise.

Paul starrte ihn erschrocken an, aber dann schüttelte er den Kopf. »Quatsch!« sagte er überzeugt. »Ich weiß, ich weiß - England und das Kaiserreich sind im Moment nicht gut aufeinander zu sprechen. Aber warum sollte die deutsche Kriegsmarine ein halbes Dutzend Kinder entführen und dabei riesige diplomatische Verwicklungen riskieren?«

»Sie haben Mike entführt«, erinnerte Miß McCrooder. »Wir anderen sind nur aus Versehen mit dabei, vergiß das nicht.«

»Es ergibt trotzdem keinen Sinn!« beharrte Paul. »Was soll er schon wissen, was so wichtig ist?«

»Anscheinend hat mein Vater irgend etwas besessen, was für eure Leute von großem Wert ist«, sagte Mike. »Er muß es auf irgendeiner einsamen Insel in der Karibik versteckt haben - und dein Vater ist der Meinung, daß ich weiß, wo diese Insel liegt. Aber ich weiß es nicht.«

»Verrat ihm lieber nicht zu viel«, sagte Ben. »Sonst kannst du es ebensogut gleich seinem Vater erzählen.«

»Jetzt hört aber endlich auf!« mischte sich Miß McCrooder ein. Sie stand auf und wandte sich an Paul. »Wieso hat er dich herbringen lassen?« fragte sie geradeheraus.

»Das weiß ich nicht«, antwortete Paul. »Er hat gesagt, ich wäre selbst schuld, wenn er mich jetzt genau wie die anderen behandeln müsse.«

»Wie die anderen?« Miß McCrooder runzelte die Stirn. »Soll das heißen, daß du hier bleiben sollst? Als Gefangener? Genau wie wir?«

»Bis alles vorbei ist, ja«, antwortete Paul. »Aber er hat gesagt, daß es jetzt nicht mehr lange dauern kann.«

»Was für eine hervorragende Idee!« sagte Ben vom Fenster her. »Warum zieht er nicht gleich selbst hier ein. Dann hört er aus erster Hand, was wir miteinander reden.«

Selbst Mike fiel es für einen Moment schwer, den Worten seines Freundes Glauben zu schenken. Er zweifelte nicht daran, daß Paul bis zum heutigen Tage keine Ahnung vom Schicksal seiner Mitschüler gehabt hatte - aber die Vorstellung, daß Kapitän Winterfeld so weit ging, seinen eigenen Sohn gefangenzusetzen, erschien ihm doch zu verrückt.