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Singh steuerte die Jacht so nahe an den Strand heran, wie er konnte - was ihrer Größe wegen nicht nahe genug war, um trockenen Fußes an Land zu gehen. Aber da sie ohnehin alle bis auf die Haut durchnäßt waren, machte es niemandem etwas aus, die letzten Meter an Land zu waten. Mike selbst trat als erster an die Reling heran und wartete ungeduldig, daß das Schiff zur Ruhe kam. Doch Singh winkte ihn zurück.

»Wartet«, sagte er. »Es ist besser, wenn wir zusammenbleiben.«

»Wieso?« fragte Mike. »Hier lebt doch niemand mehr, oder?«

»Die Ruinen sind nicht ungefährlich«, erwiderte Singh. »Und viel größer, als es den Anschein hat. Es ist besser, wenn wir vorsichtig sind.«

Mike sah den Inder scharf an. Ihm war keineswegs entgangen, daß Singh seiner Frage geschickt ausgewichen war, statt sie wirklich zu beantworten.

»Jemand sollte beim Schiff zurückbleiben«, sagte Miß McCrooder. »Was ist, wenn es abgetrieben wird?« Sie klang ziemlich nervös, und Mike mußte nicht einmal in ihr Gesicht sehen, um die mühsam unterdrückte Furcht zu erkennen.

»Das ist nicht nötig«, antwortete Singh. »Wir brauchen es nicht mehr. Außerdem bleibt uns vielleicht nicht mehr genug Zeit, um zurückzugehen und den zu holen, der hiergeblieben ist.«

»Wieso?« fragte Miß McCrooder erschrocken.

»Weil wir die Insel auf einem anderen Wege verlassen«, antwortete Singh geduldig. »Wenn wir Erfolg haben, in Freiheit. Und wenn nicht - als Gefangene auf dem Kriegsschiff.«

»Als Gefangene? Aber ... aber sie können doch auf keinen Fall hierherkommen, oder?« stammelte Miß McCrooder. »Ich meine, sie kennen die Passage nicht, und das Schiff ist viel zu groß, um hier hereinzukommen.«

»Die LEOPOLD sicher«, sagte Paul. »Aber sie hat Beiboote. Und sie haben gesehen, wohin wir gefahren sind.«

»Ich fürchte, Paul hat recht«, sagte Singh. »Sie werden bestimmt eine Weile brauchen, um die Passage durch die Riffe zu finden. Vielleicht verlieren sie sogar ein Boot dabei oder auch mehr. Trotzdem glaube ich nicht, daß wir mehr als zwei oder drei Stunden haben.«

»Eher weniger«, sagte Paul düster. »Unterschätzt meinen Vater nicht. Ich kenne ihn. Und die Männer, die er bei sich hat, sind verdammt gut.«

»Sicher«, höhnte Ben. »Deshalb sind wir ihnen ja bisher auch entkommen, nicht wahr?«

»Sei lieber froh, daß es so ist«, sagte Mike rasch und ehe Paul antworten konnte. Die Zeit, die ihnen noch blieb, war einfach zu kostbar, um sie mit einem weiteren sinnlosen Streit zu vergeuden. Mit einer beinahe befehlenden Geste wandte er sich an den Sikh. »Also los! Geh voraus, Singh.«

Der Sikh war der erste, der über Bord sprang. Sofort versank er bis an die Hüften im glasklaren Wasser, drehte sich noch einmal um und hob die Arme, um den anderen zu helfen. Mike, Paul, Juan, Ben und André ignorierten seine angebotene Hilfe, während Miß McCrooder und auch Chris sich von seinen starken Armen über die Reling heben und so weit zum Ufer hin absetzen ließen, wie es ging. Mike spürte, wie sich ein sonderbares Gefühl in ihm breitzumachen begann, während sie den flachen Strand hinaufwateten. Es war eine Mischung aus Neugier, mühsam beherrschter Angst vor dem, was sie vielleicht entdecken mochten, und Faszination.

In den ersten Minuten jedenfalls gewahrten sie nichts als Ruinen und moosbedeckte Steine. Ein paar kleine Tiere huschten davon, als sie sich vorsichtig dem ersten der großen Quaderbauten näherten, die den Strand säumten, und einmal glaubte er einen Schatten hinter einem Fenster zu sehen, der hastig zurückzuckte, als er genauer hinsah, war sich aber nicht sicher. Aus dem Dschungel drang ihnen eine verwirrende Vielfalt von Gerüchen und Geräuschen entgegen, doch nichts davon war menschlichen Ursprungs. Und trotzdem... Er konnte es nicht begründen, aber Mike hatte mit jedem Schritt, der sie den Ruinen näher brachte, mehr das Gefühl, aus unsichtbaren Augen beobachtet zu werden.

Schließlich wurde es so stark, daß er stehenblieb und sich an Singh wandte. »Bist du sicher, daß hier niemand mehr ist?« fragte er.

»Es ist lange her, daß ich hier war«, antwortete Singh. »Du warst schon einmal hier?« fragte Mike überrascht.

Singh nickte. »Vor langer Zeit«, sagte er.

»Aber du ... hast doch gesagt, du wüßtest nicht, wo die Insel liegt!« sagte Mike.

»Das war auch die Wahrheit«, erwiderte Singh mit einem um Verzeihung bittenden Lächeln. »Ich war Passagier auf dem Schiff Eures Vaters, damals. Müßtet Ihr jetzt aus England lossegeln - ohne die Karte und Euer Amulett -, würdet Ihr diese Insel wiederfinden?« Mike mußte zugeben, daß an diesem Argument etwas dran war. Vermutlich würde er die Vergessene Insel nicht einmal mit der Karte seines Vaters wiederfinden. Singhs Worte erklärten auch, wieso er von der verborgenen Passage durch die Riffe gewußt hatte. Und doch ... völlig stellte Mike diese Antwort nicht zufrieden. Singh verschwieg ihm etwas, selbst jetzt noch. Das Gefühl, beobachtet zu werden, wurde stärker, als sie in das erste Gebäude eindrangen.

Aber was sie im Inneren des leerstehenden Hauses sahen, das war so erstaunlich, daß es Mike so sehr in seinen Bann schlug und er seine Furcht beinahe vergaß. Von außen hatte das Gebäude zwar groß und irgendwie sonderbar gewirkt, ein gigantischer, aber eindeutig primitiver Bau, wie er ihn aus seinen Schulbüchern und Zeitschriften kannte, am ehesten noch vergleichbar mit den zyklopischen Ruinen, wie sie in Ägypten oder auch Mexiko gefunden worden waren; Zeugnisse einer untergegangenen Kultur, die riesenhafte Bauwerke zu erschaffen imstande gewesen, aber über einen gewissen niedrigen Stand der Technik nicht hinausgekommen war.

Hier stimmte das nicht. Nicht einmal im entferntesten.

Was sich vor Mike und den anderen ausbreitete, als sie durch die halb eingestürzte Tür traten, das war einmal eine Maschinenhalle gewesen. Von ihrer ehemaligen Einrichtung war nicht viel geblieben - was nicht fortgeschafft worden war, das hatten Erosion und Zeit zernagt, so daß sie im Grunde nur Staub und Rost fanden - aber man konnte noch deutlich sehen, wo einst gigantische Maschinen gestanden haben mußten. Riesige Fundamente erhoben sich aus dem grünen Teppich, der den Boden wieder überwuchert hatte. Hier und da ragte ein zerfressenes Rohr aus dem Boden, hingen die zerborstenen Reste einer Rohrleitung von den Wänden oder ringelten sich mächtige Kabel wie die zerrissenen Adern eines riesigen metallenen Tieres von der Decke. Es gab eine Anzahl runder, wie geschmolzenes Silber schimmernder Pfützen, in deren unmittelbarer Nähe nichts gedieh und denen Singh in respektvollem Bogen auswich, und wenn man erst einmal wußte, wonach man zu suchen hatte, entdeckte man bald die Stellen, an denen Schalttafeln gehangen haben mußten, Löcher in den steinernen Wänden, wo einst technische Apparaturen gewesen waren, und grün überwucherte Konturen, die trotz allem zu regelmäßig waren, um von der Hand der Natur erschaffen worden zu sein. Es gehörte tatsächlich nur noch ein wenig Phantasie dazu, und man glaubte noch das machtvolle Geräusch der riesigen Maschinen zu hören, das diesen Raum einst erfüllt hatte wie das Schlagen eines metallenen Herzens.

»Was ist das hier, Singh?« fragte Mike. Unwillkürlich hatte er die Stimme zu einem Flüstern gesenkt, aber die Akustik dieser Halle war ebenso fremdartig und bizarr wie alles andere - seine Stimme wurde gebrochen und mehrfach verstärkt, so daß die Worte als verzerrtes Echo zurückkamen. Singh antwortete nicht, sondern gab ihm mit einer Geste zu verstehen, daß er still sein sollte, und Mike gehorchte. Plötzlich hatte er das verrückte Gefühl, an einem Ort zu sein, an dem der Klang menschlicher Stimmen nichts zu suchen hatte.