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Unbarmherzig wurde er weiter nach unten gezerrt. Mike schlug und trat wie von Sinnen um sich. Sein freier Fuß traf den Kopf des riesenhaften Ungeheuers, das sein rechtes Bein umklammert hielt, mehrmals hintereinander, aber ohne das allergeringste Ergebnis. Im Gegenteil - es war, als hätte er gegen Stahl getreten. Ein scharfer Schmerz zuckte durch seinen Fuß.

Alles begann sich um Mike zu drehen. In seinen Ohren rauschte das Blut, und sein Herz pochte so hart, als wollte es aus seiner Brust herausspringen. Sein Blick begann sich zu verschleiern. Wie durch einen immer dichter werdenden Nebel sah er, daß plötzlich ein zweites, zyklopenäugiges Ungeheuer neben ihm auftauchte und die Hände ausstreckte. Etwas Dunkles, Unförmiges näherte sich seinem Gesicht.

Mike erkannte nicht mehr, was es war. Er verlor das Bewußtsein. Seine Arme und Beine hörten auf, wild durch das Wasser zu peitschen, während sein Körper reglos auf den schlammbedeckten Grund des Hafenbeckens hinabsank.

Wenn er gestorben war, dann war der Tod vollkommen anders, als man ihn sich im allgemeinen vorstellte. Mike erwachte nicht auf Wolken gebettet und zu den Klängen einer himmlischen Laute, sondern auf einer unbequemen Pritsche aus Metall liegend, und in seinen Ohren war das Dröhnen eines schweren Motors. Der Geruch von heißem Öl und frischer Farbe lag in der Luft, und er hatte erbärmliche Kopfschmerzen. Nein - im Himmel war er nicht.

Mike öffnete stöhnend die Augen und blickte gegen eine Decke aus weißgestrichenem Metall, von der hier und da schon die Farbe abblätterte. Das nächste, was er sah, war Miß McCrooders Gesicht, aus dem ein Paar dunkler, sehr besorgter Augen auf ihn herabblickte. Ihr Haar war naß, und sie trug nicht mehr das wollene Winterkleid und die modische, allerdings viel zu dünne Jacke, sondern war in eine grobe graue Decke eingehüllt. Sie zitterte am ganzen Leib.

Mike richtete sich mit einem so plötzlichen Ruck auf, daß ihm prompt schwindelig wurde und er mit einem Stöhnen wieder zurücksank. Seine Kopfschmerzen wurden schlimmer. Ertrinken war offensichtlich kein sehr angenehmer Tod, dachte er. Wenigstens nicht, wenn man ihn überlebte.

»Beweg dich nicht«, sagte Miß McCrooder. »Du wärst fast ertrunken, weißt du das?«

Die Warnung kommt ein wenig spät, dachte Mike, während er mit zusammengebissenen Zähnen darauf wartete, daß seine Kopfschmerzen wieder auf ein erträgliches Maß sanken. Dann setzte er sich ein zweites Mal auf; diesmal aber entsprechend vorsichtiger. Er sah, daß sie sich in einem winzigen Raum befanden, der keine Fenster hatte und kaum Platz für sein Bett und den niedrigen Hocker bot, auf dem Miß McCrooder saß. Wände, Decken und Fußboden bestanden aus Metall. Offensichtlich waren sie an Bord eines Schiffes.

»Wo sind wir?« murmelte er verwirrt. »Wie sind wir hierhergekommen, und wie -«

Plötzlich funktionierten seine Erinnerungen wieder, und Mike fuhr erschrocken zusammen. »Haben die Ungeheuer Sie auch erwischt?« stieß er hervor. »Und was ist mit den anderen?«

»Ungeheuer? Was für Unge -« Miß McCrooder verstummte mitten im Wort, dann lächelte sie kurz. »Ja, vermutlich könnte man sie so nennen«, fuhr sie fort. Sie seufzte. »Wo wir sind, kann ich dir auch nicht genau sagen. Aber deine Freunde sind ganz in der Nähe.«

Nun verstand Mike überhaupt nichts mehr. Doch bevor er eine entsprechende Frage stellen konnte, wurde die Tür ihres Gefängnisses geöffnet, und eine hochgewachsene Gestalt in dunkelblauer Kapitänsuniform betrat den Raum. Hinter ihm erschienen zwei Matrosen in gestreiften Hemden, die aber nicht hereinkamen.

Mike riß erstaunt die Augen auf, als er den Mann erkannte. »Kapitän Winterfeld!« rief er. »Gott sei Dank, daß Sie -«

Er sprach nicht weiter, als er den Ausdruck auf Winterfelds Gesicht gewahrte. Allmählich dämmerte ein schrecklicher Verdacht in ihm.

Dafür fuhr Miß McCrooder wütend auf ihn los. »Sie Wahnsinniger! Wissen Sie, daß er um ein Haar ums Leben gekommen wäre? Es ist ein reines Wunder, daß wir nicht alle umgekommen sind!«

»Ich weiß«, antwortete Winterfeld. »Ich bedauere die Umstände. Glauben Sie mir, daß ich andere Befehle erteilt hatte. Niemand sollte in Gefahr gebracht werden.«

»Das haben wir gemerkt«, sagte Miß McCrooder spitz. »Die Verantwortlichen werden bestraft werden«, sagte Winterfeld ruhig. »Darüber hinaus kann ich Ihnen versichern, daß niemand ernstlichen Schaden genommen hat.« Er wandte sich zu Mike.

»Nun zu dir, mein junger Freund. Fühlst du dich in der Lage, ein paar Fragen zu beantworten?«

»Ist das ... wahr?« flüsterte Mike fassungslos. »Stimmt das, daß Sie hinter allem stecken?« Er konnte es nicht glauben. Nicht Kapitän Winterfeld! Warum um alles in der Welt sollte ausgerechnet Kapitän Winterfeld versuchen, sie umzubringen?

»Ich sehe, du bist in der Lage dazu«, sagte Winterfeld kalt, ohne auf seine Frage einzugehen. »Dann komm mit!«

Mike schwang die Beine von der Liege. Sich zu widersetzen hatte nach alledem wohl kaum einen Sinn. Auch Miß McCrooder wollte sich erheben, doch Winterfeld winkte ab. »Ich denke, Michael und ich kommen für einen Moment allein klar«, sagte er. »Danke.« Sie verließen die Kabine und traten auf einen schmalen Gang hinaus. Das Pochen schwerer Maschinen wurde lauter, und Mike, der wie Miß McCrooder statt seiner nassen Sachen nur eine grobe Wolldecke trug, spürte ihr mächtiges Vibrieren durch die nackten Fußsohlen hindurch wie das Schlagen eines großen, eisernen Herzens. Auch hier gab es keine Fenster. Das Licht kam von einer Anzahl elektrischer Glühbirnen unter der Decke.

Mike fragte sich, wo sie waren, Winterfelds Anblick hatte ihn im ersten Moment glauben lassen, er wäre an Bord der LEOPOLD aufgewacht - aber dafür war hier alles viel zu klein und beengt und die Luft zu stickig.

Der Korridor war nicht sehr lang. Mehrmals mußten sie sich durch niedrige, aus schweren Eisenplatten bestehende Türen ducken, doch Mike begriff erst, wo sie sich befanden, als sie an einer offenstehenden Tür vorbeikamen - und er sich unversehens den beiden Ungeheuern gegenübersah, auf die er im Hafen gestoßen war!

Sie waren noch größer, als er geglaubt hatte, gute zwei Meter, und mit einer unglaublichen Schulterbreite. Ihre Haut war rauh wie gegerbtes Leder, die Köpfe selbst für die riesigen Gestalten viel zu groß und kugelrund, und sie hatten tatsächlich nur ein einziges, wenn auch gute zwanzig Zentimeter durchmessendes Auge. Und natürlich waren es keine Riesen oder irgendwelche Ungeheuer. In der kleinen Kammer, in die Mike blickte, hingen zwei Taucheranzüge; schwere, Rüstungen mit wuchtigen Kupferhelmen, in die eine runde Glasscheibe eingelassen war. Und im selben Augenblick, in dem Mike dies begriff, wußte er auch, wo er war.

»Das ... das ist ein Unterseeboot!« sagte er erstaunt. »Wir sind auf einem Tauchboot, nicht wahr?«

Kapitän Winterfeld lächelte anerkennend. »Ich habe immer gewußt, daß du ein kluger Bursche bist«, sagte er.

Sie gingen weiter, durchquerten einen runden, mit allerlei technischen Apparaturen vollgestopften Raum, der wohl die Brücke des Tauchbootes darstellte, und betraten schließlich eine winzige Kabine, die gerade Platz für ein Bett, einen Stuhl und einen Schreibtisch bot. Winterfeld setzte sich und schickte die beiden Matrosen fort. Mike mußte stehen bleiben, allerdings nicht aus Unhöflichkeit: die Kabine war einfach nicht groß genug für einen zweiten Stuhl.

»Schließ die Tür, Michael«, sagte Winterfeld.

»Mein Name ist Mike«, sagte Michael ärgerlich, »nicht Michael.« Trotzdem tat er, was Winterfeld von ihm verlangte.

»Nein«, antwortete Winterfeld mit einem sonderbaren Lächeln, »das ist er nicht. Aber dazu später.« Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und maß Mike mit einem nachdenklichen Blick.