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Wir sind von Heldentum umgeben
Mr. Hungerton, ihr Vater, war der taktloseste Mensch unter der Sonne - ein aufgeplusterter, schmuddeliger Kakadu von einem Mann, überaus gutmütig, aber voll auf sein einfältiges Ich konzentriert. Wenn mich etwas dazu veranlaßt hätte, Gladys aufzugeben, dann der Gedanke an einen solchen Schwiegervater. Ich bin überzeugt davon, daß er sich im Ernst eingebildet hat, ich käme seinetwegen dreimal pro Woche nach Chestnuts und sei an seinem Geschwätz über Metallegierungen interessiert, ein Gebiet, auf dem er sich für eine Kapazität hielt.
An dem bewußten Abend ließ ich sein monotones Geplapper über schlechtes Geld, das gutes vertreibt, über den symbolischen Wert von Silber, über die Abwertung der Rupie und über die wahren Wechselkurse eine geschlagene Stunde über mich ergehen.
»Nehmen wir einmal an«, rief er mit schwachbrüstiger Vehemenz, »daß alle auf der Welt existierenden Schulden gleichzeitig eingetrieben werden sollten. Jetzt frage ich Sie, was würde bei unseren gegebenen Verhältnissen passieren?«
Ich antwortete natürlich, daß ich dann ein ruinierter Mann sei, worauf er aus seinem Sessel fuhr, mich einen leichtfertigen Stutzer nannte, mit dem man kein ernsthaftes Uema besprechen könne, aus dem Raum stob und sich für seine Freimaurerloge umzog.
Endlich war ich allein mit Gladys, und der schicksalhafte Augenblick war gekommen. Den ganzen Abend war ich mir wie ein Soldat vorgekommen, der darauf wartet, in die Schlacht geschickt zu werden, und nicht weiß, ob er den Sieg erhoffen darf oder die Niederlage fürchten soll.
Sie saß da, und dieses stolze, feine Profil hob sich vor dem roten Samtvorhang ab. Wie schön sie doch war! Und gleichzeitig wie unnahbar. Wir waren Freunde, recht gute Freunde sogar, aber über eine Kameradschaft, wie ich sie mit meinen Kollegen von der Gazette pflegte, ging es einfach nicht hinaus: absolut offen und ehrlich, absolut höflich und nett - und absolut unsexuell. Meine Instinkte wehren sich gegen eine Frau, die sich mir gegenüber kein Blatt vor den Mund nimmt und völlig ungeniert ist. Für einen Mann ist das kein Kompliment. Wo wirklich Gefühl und Sex mitspielen, da kommen automatisch Schüchternheit und Mißtrauen auf, jene Erbgüter aus alten, gottlosen Zeiten, wo Liebe und Leidenschaftlichkeit oft Hand in Hand gingen. Der gebeugte Kopf, der abgewandte Blick, die bebende Stimme, die furchtsam hochgezogenen Schultern - diese und nicht die selbstsichere Miene und die ehrliche Antwort sind die wahren Anzeichen der Leidenschaft. Selbst in meinem kurzen Leben hatte ich das bereits gelernt - oder vielleicht hatte ich es auch durch dieses Rassengedächtnis, das wir Instinkt nennen, ererbt.
Gladys besaß alle weiblichen Vorzüge. Manche hielten sie für kalt und hart, aber das war ungerecht. Diese Haut mit dem bronzefarbenen Schimmer, fast orientalisch anmutend, dieses rabenschwarze Haar, die großen, feuchten Augen, die vollen und doch äußerst feinen Lippen - alle Anzeichen von Leidenschaft waren vorhanden, doch mir war es bisher zu meinem Leidwesen nicht gelungen, sie hervorzulocken. Aber, komme was da wolle, an jenem Abend wollte ich dem Hangen und Bangen ein Ende machen und die Angelegenheit zur Sprache bringen. Mehr als mir einen Korb geben konnte sie schließlich nicht, und lieber ein abgewiesener Liebhaber als ein akzeptierter Bruder.
Soweit waren meine Überlegungen gediehen. Ich wollte gerade das lange, bedrückende Schweigen brechen, als mich zwei kritische dunkle Augen prüfend musterten und ein entzückender Kopf lächelnd, doch mißbilligend geschüttelt wurde.
»Ich habe das ungute Gefühl, Ned«, sagte Gladys, »daß du um meine Hand anhalten willst. Ich wünsche, daß du es nicht tust. So, wie es ist, finde ich es viel netter.«
Ich zog meinen Stuhl etwas näher. »Woher weißt du denn, daß ich um deine Hand anhalten wollte?« fragte ich erstaunt.
»Frauen wissen doch immer Bescheid, oder nicht? Glaubst du etwa, daß je eine Frau dieser Welt über einen Antrag erstaunt gewesen ist? Aber - ach, Ned, unsere Freundschaft ist so schön und angenehm gewesen. Ein Jammer, sie zerstören zu wollen. Spürst du denn nicht, wie toll es ist, wenn ein junger Mann und eine junge Frau so offen miteinander reden können, wie wir immer miteinander geredet haben?«
»Ich weiß nicht so recht, Gladys. Siehst du, offen kann ich auch mit ... mit dem Bahnhofsvorstand reden.«
Wie ich ausgerechnet auf einen Bahnhofsvorstand gekommen bin, weiß ich nicht. Er stand plötzlich im Raum, und wir mußten beide herzlich lachen.
»Mich befriedigt das nicht«, fuhr ich schließlich fort. »Ich will dich in den Armen halten, deinen Kopf an meine Brust drücken und . ach, Gladys, ich will .«
Bei der Aufzählung meiner Wünsche war sie aus dem Sessel aufgesprungen. »Du machst alles kaputt, Ned«, rief sie. »Alles war so natürlich und schön, und jetzt kommst du mir damit! Es ist wirklich schade! Warum kannst du dich nicht ein bißchen beherrschen?«
»Ich habe es doch nicht erfunden«, flehte ich. »Die Natur will es so. Es ist Liebe.«
»Wenn sich beide lieben, ist das vielleicht etwas anderes, aber ich kenne das Gefühl nicht.«
»Aber du mußt es doch kennen - du, mit deiner Schönheit, deiner Seele. Gladys, du bist für die Liebe geschaffen. Du mußt lieben!«
»Man muß warten, bis sie von alleine kommt.«
»Aber warum kannst du mich denn nicht lieben, Gladys? Liegt es an meinem Äußeren oder woran?«
Sie ging eine Spur aus sich heraus, stand auf, streckte die Hand aus - eine so graziöse und herablassende Geste -, legte sie an meine Stirn und schob meinen Kopf zurück.
Mit einem nachdenklichen Lächeln sah sie mich an.
»Nein, an deinem Äußeren liegt es nicht«, sagte sie schließlich. »Du bist kein von Haus aus selbstgefälliger Mensch, also kann ich es ruhig aussprechen. Daran liegt es nicht. Es liegt tiefer.«
»An meinem Charakter?«
Sie nickte ernst.
»Was kann ich dagegen unternehmen? Bitte, setz dich wieder hin und sag es mir.«
Sie sah mich mißtrauisch an, was für mich noch schlimmer war, als das offenherzige Vertrauen, das sie mir bisher entgegengebracht hatte. Wie primitiv und bestialisch es aussieht, wenn man es zu Papier bringt, aber vielleicht ist es ja auch ein Gefühl, das mir allein eigen ist. Wie dem auch sei, sie setzte sich wieder.
»Bitte sag mir, was es ist.«
»Ich bin in einen anderen verliebt.«
Jetzt war es an mir, aufzuspringen.
»Ich spreche nicht von einem bestimmten Mann«, sagte sie und lachte, als sie den Ausdruck auf meinem Gesicht sah. »Ich spreche von einem Ideal. Dem Mann, den ich meine, bin ich noch nicht begegnet.«
»Erzähl mir von ihm. Wie sieht er aus?«
»Er könnte ungefähr so wie du aussehen.«
»Wie lieb von dir, daß du das sagst. Und was hat er an sich, was mir abgeht? Du brauchst es bloß auszusprechen. Ist er Abstinenzler, Vegetarier, Astronaut, Ueosoph, Supermann - ich versuche alles, Gladys, wenn du mir nur sagst, was dir gefällt.«
Sie lachte über die Beweglichkeit meines Charakters.
»Also«, sagte sie, »ich glaube, daß mein Ideal schon einmal nicht so reden würde wie du. Der Mann wäre härter und unbeugsamer und würde sich nicht so schnell den Wünschen einer Frau anpassen wollen. Vor allem muß es ein Mann sein, der tatkräftig sein und handeln kann, der dem Tod furchtlos ins Antlitz blickt, ein Mann großer Taten und herrlicher Abenteuer. Nicht den Mann selbst werde ich lieben, sondern die Siege, die er errungen hat, denn diese werden sich in mir widerspiegeln. Zum Beispiel Richard Burton! Als ich gelesen habe, was seine Frau über ihn schrieb, konnte ich ihre Liebe voll und ganz verstehen. Oder Lady Stanley. Hast du je das letzte Kapitel gelesen, wo sie über ihren Mann schreibt? Solche Männer kann eine Frau aus ganzer Seele anbeten und zu neuen Taten inspirieren, was dann die ganze Welt bewundert.«