An der Ecke stand ein Taxi. Ich stieg ein und fuhr in die Redaktion. McArdle war wie immer auf dem Posten.
»Na?« fragte er erwartungsvoll. »Was ist dabei herausgekommen? Offensichtlich ein blaues Auge. Sagen Sie bloß, das haben Sie von Challenger.«
»Wir hatten anfangs eine kleine Meinungsverschiedenheit.«
»Das sieht ihm ähnlich. Und dann?«
»Dann ist er zugänglicher geworden, und wir haben uns recht angeregt unterhalten. Aber ich habe nichts aus ihm herausgebracht. Zumindest nichts, was man veröffentlichen könnte.«
»Da bin ich mir nicht so sicher. Allein das blaue Auge läßt sich schon in die Zeitung bringen. Diese Art Terrormethoden gegen Journalisten müssen unterbunden werden, Mr. Malone. Der Mann wird in seine Schranken verwiesen, darauf bestehe ich. Morgen erscheint ein Leitartikel über ihn, der sich gewaschen hat. Sie brauchen mir nur das Material zu liefern, und ich mache den Kerl ein für allemal unmöglich. Professor Münchhausen - wie macht sich das als Untertitel? Sir John Mandeville - wieder zum Leben erweckt, oder Cagliostro, das Lügenmaul, schlägt wieder mal zu. Ich werde unseren Lesern beweisen, was dieser Challenger für ein Betrüger ist.«
»Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun, Sir.«
»Ja - warum denn nicht?«
»Weil er absolut kein Betrüger ist.«
»Was?« brüllte McArdle. »Sagen Sie bloß, Sie nehmen ihm seine Mammutkreaturen, seine Warzenmonster und Seeungeheuer ab?«
»Von den genannten Tieren war nicht die Rede, aber von einem anderen, völlig neuen Phänomen, das er entdeckt hat.«
»Mann, dann schreiben Sie darüber!«
»Nichts lieber als das«, sagte ich, »aber alles, was ich erfahren habe, habe ich unter der Bedingung erfahren, daß ich nicht darüber schreibe. Ich habe ihm mein Ehrenwort gegeben.«
Ich faßte den Bericht des Professors in ein paar knappen Worten zusammen.
»Und so stehen die Dinge«, sagte ich abschließend.
McArdle machte ein sehr ungläubiges Gesicht.
»Gut, Mr. Malone«, sagte er schließlich. »Aber diese Vorlesung heute abend, die wird ja wohl nicht auch der Geheimhaltung unterliegen. Ich vermute, daß sich keine Zeitung dafür interessiert, weil über diesen Waldon schon Dutzende von Artikeln erschienen sind und niemand weiß, daß Challenger hinter das Rednerpult treten wird. Wenn wir Glück haben, kann das für uns ein Knüller werden. Sie sind ja sowieso dort, also schreiben Sie einen schönen, runden Bericht für die Gazette. Ich halte Ihnen bis Mitternacht ein paar Spalten frei.«
Ich kam den ganzen Tag kaum zum Verschnaufen. Am frühen Abend traf ich mich mit Tarp Henry im Savage Club zum Essen und erzählte ihm in groben Zügen von meinen Erlebnissen. Mit einem skeptischen Lächeln auf dem Gesicht hörte er mir zu. Als ich gestand, daß mich der Professor überzeugt hatte, brüllte er vor Lachen. »Mein lieber Malone«, sagte er, als er sich wieder einigermaßen gefangen hatte, »derlei Dinge passieren nicht im Leben. Man macht nicht zufällig eine umwälzende Entdeckung und verliert dann nicht - zufällig - das nötige Beweismaterial. Dieser Bursche hat die tollsten Tricks auf Lager. Geschwätz ist das, weiter nichts.«
»Und der Amerikaner?«
»Hat nie existiert.«
»Ich habe aber sein Zeichenheft gesehen.«
»Challengers Zeichenheft hast du gesehen.«
»Glaubst du, daß er das Monster gezeichnet hat?«
»Klar. Wer denn sonst?«
»Meinetwegen. Und die Fotos?«
»Auf denen ist doch nichts drauf. Du hast selbst zugegeben, daß du bloß einen Vogel gesehen hast.«
»Einen Pterodactylus.«
»Das behauptet er. Er hat dir diesen Pterodactylus in den Kopf gesetzt.«
»Bitte schön. Und wie steht es dann mit dem Knochen?«
»Der erste stammt aus einem Irish Stew, der zweite ist selbst gebastelt. Wenn du schlau bist und dich in deinem Metier auskennst, dann kannst du Knochen genauso fälschen wie Fotos.«
Mir wurde langsam unbehaglich. Sollte ich mich doch haben bluffen lassen? Doch dann kam mir der rettende Gedanke.
»Komm mit in die Vorlesung«, schlug ich Tarp Henry vor.
Er machte ein nachdenkliches Gesicht.
»Dein genialer Professor Challenger ist kein sonderlich beliebter Mensch«, entgegnete er schließlich. »So mancher würde gern ein Hühnchen mit ihm rupfen. Ich würde sagen, er ist der meistgehaßte Mann in London. Wenn die Studenten Rabatz machen - und man könnte es ihnen nicht verdenken -, dann ist die Saalschlacht im Gange, und ich muß dir ehrlich sagen, ich habe keine Lust, in ein Handgemenge um einen Quatsch verwickelt zu werden, mit dem ich nichts zu tun habe.«
»Trotzdem könntest du dir wenigstens anhören, was er zu seiner Sache zu sagen hat.«
»Das ist richtig. Zumindest wäre es fair. Gut, ich komme mit.«
Ich hatte es nicht geglaubt, aber der Hörsaal war tatsächlich brechend voll. Vor dem Zoologischen Institut eine Droschke nach der anderen. Weißbärtige Professoren stiegen gewichtig aus und schoben sich durch die Massen, die zum Eingang drängten. Die Zuhörerschaft, das stand draußen schon fest, war ein Gemisch aus Neugierigen, Sensationslustigen, jungen Leuten und Männern vom Fach. In den hinteren Reihen des Hörsaals brodelte es. Alles Studenten, die im Moment noch gut gelaunt und fröhlich waren, was sich jedoch schnell ändern konnte. Immer wieder stimmte eine Gruppe einen Schlager an, der im Moment Mode war, und andere stimmten in den Singsang ein. Ich fand diesen Auftakt zu einem wissenschaftlichen Vortrag eher merkwürdig.
Als der ehrwürdige alte Mr. Meldrum mit seinem stadtbekannten, zerbeulten Zylinder auf dem Podium auftauchte, fragte jemand lauthals, wo er denn den Deckel herhabe. Der alte Herr nahm ihn hastig vom Kopf und versteckte ihn unter seinem Stuhl, was natürlich eine Lachsalve auslöste.
Als nächster humpelte der dicke Professor Wadley zu seinem Platz. Sofort wurden leutselige Fragen nach dem Befinden seines großen Zehs laut, der ihm allem Anschein nach Kummer bereitete.
Beim Auftauchen meines neuen Freundes, Professor Challenger, waren die Hörer nicht mehr zu halten. Als sein schwarzer Bart im Türrahmen erschien, brach ein unbeschreibliches Freudengeheul aus, und ich hatte schon Angst, daß Tarp Henry recht behalten sollte, um so mehr, als das Publikum, oder wenigstens ein Großteil davon, nicht wegen der Vorlesung gekommen zu sein schien, sondern weil es sich herumgesprochen haben mußte, daß der berühmte Professor anwesend sein würde.
Unter den gutgekleideten Herrschaften der ersten Reihen wurde pathetisches Gelächter laut. Das Gegröle der Studenten schien ihm gerade recht zu sein. Wenn auch ein aggressiver Unterton mitschwang, so war es doch hauptsächlich Freudengeheul. Jemand, der gehaßt und verabscheut wurde, wäre jedenfalls nie so empfangen worden.
Challenger, der langsam den Gang entlang geschritten war und am äußersten Ende der Stuhlreihe auf dem Podium Platz genommen hatte, lächelte nachsichtig, blähte den Brustkorb, strich sich liebevoll über den Bart und betrachtete mit hochmütigem Blick unter halb gesenkten Lidern hervor den überfüllten Saal.
Der Lärm hatte sich noch nicht gelegt, als Professor Ronald Murray, der Dekan der Fakultät, und Mr. Waldron, der Vortragende, nach vorn kamen und die Veranstaltung begann.
Professor Murray wird mir, hoffe ich, nicht gram sein, wenn ich sage, daß er die weit verbreitete, typisch englische Angewohnheit hat, so zu sprechen, daß man nur mit Mühe etwas versteht. Für mich wird es immer unverständlich bleiben, warum Leute, die etwas zu sagen haben, es nicht so sagen, daß man es auch versteht. Sie verhalten sich wie jemand, der eine kostbare Flüssigkeit durch ein verstopftes Rohr leiten will, das mit einem Handgriff freigemacht werden könnte.