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Wie dem auch sei, Professor Murray richtete einige tiefsinnige Worte an seine weißen Manschetten und die Wasserkaraffe auf dem Pult vor sich. Dem Silberleuchter neben der Karaffe widmete er eine spaßige Bemerkung, bevor er sich wieder setzte und Mr. Waldron sich unter Beifall erhob und zum Pult kam.

Der populäre Wissenschaftler war ein steifer, hagerer Mann mit rasselnder Stimme und aggressivem Auftreten, der das Talent besaß, sich die Ideen anderer anzueignen und sie in verständlicher und durchaus interessanter Form an ein Publikum von Laien weiterzugeben. Selbst den unwahrscheinlichsten fernen konnte er eine witzige Seite abgewinnen. Der Verlauf der Äquinoktien oder die Entwicklungsgeschichte der Säugetiere nahmen sich äußerst humorig aus, wenn er darüber referierte.

An jenem Abend eröffnete Mr. Waldron seinen Hörern in klarer, oft bildreicher Sprache eine Vogelperspektive der Schöpfungsgeschichte nach neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft. Er ließ nichts aus: die Erdkugel, ursprünglich eine Masse glühender Gase im All, dann die Abkühlung, die Verfestigung, die Schrumpfung, wodurch Berge und Täler entstanden, die Kondensation von Dampf zu Wasser, das langsame Entstehen einer Bühne, auf der sich das unerklärliche Drama des Lebens abspielen sollte. Über die Entstehung des Lebens hatte er nur ein paar vage, zurückhaltende Sätze zu sagen. Daß eventuelles Leben die Höllenglut der Entstehungsgeschichte überstanden haben könnte, meinte er, sei mit Sicherheit auszuschließen. Also mußte es später entstanden sein. Hatte es sich aus den abgekühlten anorganischen Elementen der Erde entwickelt? Wahrscheinlich. War es aus dem All gekommen? Kaum vorstellbar. Selbst der weiseste Mann tue gut daran, sich in dem Punkt nicht festzulegen. Organisches Leben aus anorganischen Elementen zu erzeugen, sei bisher in den Laboratorien noch nicht gelungen. Die Schlucht zwischen Unbelebtem und Leben könne von der Chemie nicht überbrückt werden. Aber in der Natur gäbe es eine höhere und feinere Chemie, die mit großen Kräften und über lange Epochen hinweg arbeite und durchaus Resultate erzielen könne, die für uns Menschen unerreichbar seien. Dabei müsse man es eben bewenden lassen.

Damit kam der Vortragende zu der nie enden wollenden Leiter tierischen Lebens. Er fing ganz unten bei den Mollusken und den winzigen Seetieren an und arbeitete sich Sprosse für Sprosse nach oben. Primitive Reptilien, Fische und Schalentiere und schließlich eine Känguruhratte, die als erstes Geschöpf lebende Junge zur Welt gebracht hatte und damit der direkte Vorfahre aller Säugetiere und wohl auch aller Anwesenden im Saal sei.

»Aber nicht von mir!« rief ein vorlauter Student aus einer der hinteren Reihen.

»Aha, nicht von Ihnen«, ging Waldron sofort auf den Zwischenruf ein. »Dann sind der junge Herr wohl persönlich aus dem Ei geschlüpft, und ich darf ihn bitten, nach der Vorlesung bei mir vorstellig zu werden, denn ein solches Kuriosum mit eigenen Augen zu sehen, möchte ich mir wahrhaft nicht entgehen lassen.«

Großes Gelächter.

»Der Gedanke«, fuhr Waldron fort, als es sich wieder gelegt hatte, »daß der Höhepunkt des viele Jahrtausende dauernden Prozesses der Entwicklungsgeschichte das Ausschlüpfen des jungen Mannes da hinten gewesen sein soll, wirkt befremdend auf mich. Ist damit der Prozeß beendet? Soll der junge Mann da hinten das Endprodukt sein? Ich möchte dem jungen Mann, der im Privatleben gewiß seine Tugenden haben mag, nicht zu nahe treten, aber wenn die Entwicklungsvorgänge des Universums mit seiner Entstehung abgeschlossen sein sollen, dann wage ich zu behaupten, daß sich weder Zeit- noch Kraftaufwand gelohnt haben. Nein, ich bin überzeugt davon, daß der Prozeß noch nicht abgeschlossen ist und wir größere Ergebnisse erwarten dürfen.«

Nachdem der Redner unter Beifall und Gelächter den Zwischenrufer fertiggemacht hatte, kam er wieder zum eigentlichen ttema. Er sprach von der Austrocknung der Meere, dem Auftauchen von Sandbänken, dem schleimigen Leben, das an ihren Rändern klebte, von Lagunen und dem Trieb der Meeresbewohner, auf Schlammablagerungen Zuflucht zu suchen, von der Überfülle von Nahrung, die vorhanden war und ihr schnelles Wachstum begünstigte.

»Und so, meine Damen und Herren«, fügte er hinzu, »entstand jene furchterregende Gattung von Sauriern, die uns heute noch Schrecken einjagt, wenn wir sie im Wealdener oder Solnhofener Schiefer sehen, die jedoch glücklicherweise vor dem ersten Erscheinen der Menschheit auf diesem Planeten ausgestorben ist.«

»Irrtum!« dröhnte eine Stimme vom Podium.

Mr. Waldron war ein Mann von strenger Disziplin und - wie am Beispiel des jungen Zwischenrufers bewiesen - beißendem Spott. Ihn zu unterbrechen, war gefährlich. Diese Unterbrechung jedoch, dieser Zwischenruf war für ihn so absurd, daß er völlig perplex war. Es hatte ihm buchstäblich die Rede verschlagen. Nach einem Moment jedoch hatte er sich wieder gefangen.

»Welche jedoch vor dem ersten Erscheinen der Menschheit ausgestorben sind«, wiederholte er mit erhobener Stimme.

»Irrtum!« dröhnte die Stimme erneut.

Verwundert sah Waldron an der Reihe von Professoren auf dem Podium entlang, bis sein Blick auf Challenger geheftet war, der mit geschlossenen Augen und einem amüsierten Lächeln auf seinem Stuhl lehnte.

»Ach so«, sagte Waldron und zuckte die Achseln. »Mein besonderer Freund, Professor Challenger.«

Alles lachte.

Als sei damit alles erklärt, fuhr der Referent in seinem Vortrag fort.

Aber damit war die Angelegenheit noch lange nicht erledigt. Welchen Pfad Waldron auch wählte, um sich durch das Labyrinth der Vergangenheit zu schlängeln, er kam unweigerlich immer wieder zu einem Punkt, wo er eine Bemerkung über ausgestorbenes, prähistorisches Leben machte und prompt dröhnenden Protest von Seiten des Professors erntete. Die Hörer warteten schon darauf und brüllten jedesmal vor Lachen. Es kam so weit, daß die Studenten im Chor >Irrtum< schrien, wenn Challenger bloß den Mund aufmachte. Sein Zwischenruf wurde von Hunderten von Kehlen übertönt, was ihn allerdings nicht weiter zu stören schien.

Obwohl Waldron ein erfahrener, hartgesottener Redner war, geriet er mit der Zeit völlig aus dem Konzept. Er wurde unsicher, stotterte, wiederholte sich, verhedderte sich grammatikalisch und ging schließlich auf den Störenfried los.

»Das geht nun wirklich zu weit!« rief er. »Ich muß Sie bitten, Professor Challenger, Ihre unpassenden und ungezogenen Bemerkungen für sich zu behalten.«

Im Saal wurde es mäuschenstill. Die Studenten waren starr vor Begeisterung. Die unnahbaren Götter des Olymp keiften sich gegenseitig an, und das war ein einmaliges Schauspiel.

Challenger quälte sich langsam in die Höhe.

»Und ich muß Sie bitten, Mr. Waldron«, sagte er, »Behauptungen für sich zu behalten, die im krassen Gegensatz zu wissenschaftlichen Tatsachen stehen.«

Jetzt war die Hölle los.

»Unerhört ... rausschmeißen ... Ruhe ... runter vom Podium ... hört, hört!«

Alles schrie und lachte durcheinander.

Der Dekan der Fakultät sprang von seinem Stuhl auf, fuchtelte mit den Armen in der Luft herum und bat um Ruhe und Ordnung. Als er sich endlich Gehör hatte verschaffen können, forderte er Professor Challenger auf, persönliche Ansichten nach der Vorlesung anzubringen, aber nicht jetzt.

Professor Challenger verbeugte sich, lächelte, strich sich über den Bart und nahm wieder Platz.

Waldron fuhr in seinem Vortrag fort. Wenn ihm eine kritische Behauptung entschlüpfte, bedachte er Challenger sofort mit einem ängstlichen Blick, doch dieser saß lächelnd und schweigend auf seinem Stuhl und schien zu schlafen.

Schließlich erreichte der Vortrag seinen, wie ich meine, etwas verfrühten Abschluß. Der letzte Teil seiner Rede war jedenfalls hastig und zusammenhanglos in den Saal geworfen. Jetzt warteten die Hörer darauf, daß etwas passierte. Waldron nahm Platz, der Dekan sprach ein paar Worte, und schließlich erhob sich Professor Challenger und trat hinter das Rednerpult. Im Interesse meiner Zeitung hielt ich seine Rede wörtlich fest.