Mr. Summerlee (saures Lächeln): »Der Unterschied zwischen dem Amazonas und der ^emse ist mir sehr wohl klar. Um so mehr, als letzterer Fluß von der Quelle bis zur Mündung überprüfoar ist, was beim ersteren nicht der Fall ist. Ich wäre Ihnen zu großem Dank verpflichtet, werter Kollege, wenn Sie mir die genaue Lage nennen könnten, wo Sie die prähistorischen Tiere angetroffen haben wollen.«
Professor Challenger: »Ich habe meine guten Gründe, diese Information für mich zu behalten, bin aber bereit, sie an ein Komitee weiterzugeben, das hier von den Anwesenden aufgestellt wird. Würden Sie sich, Professor Summerlee, bereit erklären, selbst diesem Komitee anzugehören und persönlich meine Angaben zu überprüfen?«
Mr. Summerlee: »Ich erkläre mich bereit dazu.«
Stürmischer Beifall.
Professor Challenger: »Dann verspreche ich Ihnen, dem Komitee alles erforderliche Material zu übergeben. Sie werden das Gebiet aufsuchen, in dem die Tiere leben, und sie mit eigenen Augen sehen. Wenn Sie jedoch meine Angaben überprüfen, dann finde ich es nicht mehr als recht und billig, wenn Sie von einer oder zwei Personen begleitet werden, die wiederum in meinem Interesse Ihre Angaben überprüfen. Ich will Ihnen nicht verhehlen, daß es eine schwierige und gefährliche Angelegenheit werden wird. Professor Summerlee sollte daher von jüngeren Männern begleitet werden. Möchte sich jemand freiwillig melden?«
Und so kann es geschehen, daß ein Mensch plötzlich vor dem entscheidenden Wendepunkt seines Lebens steht. Hatte ich bei Betreten des Saals ahnen können, daß ich mich hier zu einem Abenteuer verpflichten würde, das mir nicht einmal im Traum eingefallen wäre? Aber Gladys - war das nicht die Chance, die sie gemeint hatte? Gladys würde mir geraten haben, mich zu melden. Und so stand ich auch schon und redete, ohne mir die Worte vorher überlegt zu haben.
Tarp Henry, mein Begleiter, zupfte und zog pausenlos an meinem Ärmel.
»Mensch, Malone«, zischte er. »Hast du den Verstand verloren? Mach dich doch nicht in aller Öffentlichkeit zur Tulpe.«
Ich hörte nicht auf ihn, stellte aber fest, daß ein paar Plätze von mir entfernt ein großer, schlanker Mann mit flachsblonden Haaren ebenfalls aufgestanden war und mich mit ablehnendem und wütendem Blick musterte. Aber das war mir egal.
»Ich möchte mitkommen, verehrte Herren«, sagte ich mindestens zehnmal.
»Name!« schrie jemand aus dem Publikum. »Namen nennen!«
»Ich heiße Edward Dünn Malone und bin Reporter von der Daily Gazette. Ich behaupte, ein absolut unvoreingenommener Zeuge zu sein.«
»Und Sie, Sir?« fragte der Dekan der Fakultät den großen, schlanken Mann, der offensichtlich mein Rivale war.
»Ich bin Lord John Roxton«, antwortete er. »Ich bin schon den Amazonas hinaufgefahren, kenne das Gebiet und halte mich daher für diese Expedition für besonders geeignet.«
»Lord John Roxtons Ruf als Sportler und Weltreisender ist weltweit und unumstritten«, sagte der Dekan. »Auf der anderen Seite wäre es zu begrüßen, wenn ein Mitglied der Presse an der Forschungsreise teilnehmen würde.«
»Dann würde ich doch vorschlagen«, schaltete sich Professor Challenger ein, »daß beide gewählt werden, als Vertreter der hier Anwesenden Professor Summerlee nach Südamerika zu begleiten und mit ihm zusammen die Richtigkeit meiner Angaben an Ort und Stelle zu überprüfen.«
Und so war unter Beifallsrufen und Applaus unser Schicksal besiegelt, und ich wurde von einem Menschenstrom zum Ausgang gedrängt. Ich war völlig benommen und begriff nur halb, welches ungeheure Geschehen sich da plötzlich für mich entwickelt hatte.
Als ich auf der Straße stand, stob eine Gruppe lärmender Studenten an mir vorbei. Einer der jungen Männer hatte einen Schirm aufgespannt und fuchtelte wie ein Wilder damit in der Luft herum. Ich sah, wie Professor Challenger von Schmäh- und Hochrufen verfolgt in eine Droschke stieg, und war plötzlich allein unter den silbrig schim-mernden Lichtern der Regent Street und dachte an Gladys und meine ungewisse Zukunft.
Plötzlich berührte mich jemand am Ellbogen. Ich drehte den Kopf und sah in die lustigen, etwas hochmütigen Augen des großen, schlanken Mannes, der mein Reisebegleiter sein sollte.
»Mr. Malone«, sagte er. »Wir sitzen bald im selben Boot. Ich wohne gleich da drüben, im Albany. Hätten Sie vielleicht eine halbe Stunde für mich Zeit? Ich möchte nämlich ein paar Dinge mit Ihnen besprechen.«
6
Damals war ich die strafende Hand Gottes
Lord John Roxton und ich gingen die Vigo Street hinunter und dann durch das düstere Portal des berühmten aristokratischen Wohnblocks Albany. Am Ende eines langen, schlecht beleuchteten Korridors stieß meine neue Bekanntschaft eine Tür auf und drehte einen Lichtschalter um. Eine Reihe von Lampen mit farbigen Schirmen verlieh dem Raum vor uns rötliches Licht. Eine Atmosphäre außergewöhnlicher Eleganz und betonter Männlichkeit schlug mir entgegen. Eine Mischung aus Luxus, Wohlstand, Geschmack und der für einen Junggesellen typischen Unordnung. Dicke Teppiche und Brücken aus arabischen Ländern, Gemälde und Stiche, deren Wert sicher unschätzbar war, Trophäen, die von Lord Roxtons Siegen als Sportsmann und Athlet zeugten, und eine ganze Reihe ausgestopfter Tierköpfe aus allen Teilen der Welt, darunter der Kopf eines weißen Nashorns aus der Lado Enklave mit hochmütig herunterhängender Unterlippe.
In der Mitte des Raumes ein schwarzgoldenes Louis-Quinze-Tischchen, eine prachtvolle Antiquität, die durch Glasränder und Brandflecken durch abgelegte Zigarren böse zerschunden war. Darauf ein silbernes Tablett mit Rauchwaren und Spirituosen. Mein Gastgeber goß in zwei hohe Gläser eine ordentliche Ladung Whisky, die er jeweils mit einem Spritzer Sodawasser aus einem Syphon verdünnte. Er bot mir in einem Sessel Platz an, stellte ein Glas neben mich und setzte sich schließlich, um mich mit unverhohlenem Blick zu mustern. Seine Augen hatten etwas Rücksichtsloses, fast Unverschämtes an sich und waren von der Farbe eines Gletschersees.
Ich zündete die Zigarre an, die er mir angeboten hatte, und betrachtete durch den blauen Dunst das Gesicht, das ich schon oft auf Fotos gesehen hatte. Eine stark gebogene Nase, ausgemergelte Backen, flachsblonde Haare, ein etwas stacheliger Schnurrbart, ein Grübchen an dem energisch vorgereckten Kinn. Lord Roxton war eine Mischung aus Napoleon, Don Quichotte und Landedelmann, der mit Pferden und Hunden umzugehen weiß. Sonne und Wind hatten seine Haut gegerbt, seine Brauen waren buschig und etwas überhängend, was seinen an sich schon kalten Augen etwas Wildes verlieh. Von der Statur her war er übermäßig schlank, aber kräftig gebaut. Kaum einer, das war bekannt, konnte sich mit ihm an Ausdauer und Zähigkeit messen. Er war gut einsachtzig groß, wirkte jedoch wegen der runden Schultern kleiner. Das war also der berühmte Lord Roxton, der mir nun gegenübersaß, auf seiner Zigarre herumkaute und mich schweigend musterte.
»So«, sagte er schließlich. »Darauf haben wir uns jetzt eingelassen, Sie und ich. Ich nehme an, daß Sie nicht damit gerechnet haben, ich meine, als Sie da hingegangen sind.«
»Allerdings nicht.«
»Dasselbe gilt für mich. An so etwas hätte ich im Leben nicht gedacht. Und siehe da - plötzlich steckt man mitten drin. Ich bin erst vor drei Wochen aus Uganda zurückgekommen, habe mir in Schottland etwas angeschaffi und alle Formalitäten erledigt. Schöne Geschichte, was? Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, sich dafür zu melden?«
»Bei mir ist das reines Berufsinteresse«, sagte ich. »Ich bin Journalist bei der Gazette.«