»Natürlich - das haben Sie ja gesagt. Übrigens, ich wollte Sie um einen kleinen Gefallen bitten. Ich brauche Ihre Hilfe.«
»Gern.«
»Macht es Ihnen auch nichts aus, wenn es mit einem Risiko verbunden ist?«
»Was für ein Risiko?«
»Das Risiko heißt Ballinger. Er ist Ihnen doch ein Begriff, oder?«
»Nein.«
»Aber, aber, junger Mann, wo leben Sie denn? Sir John Ballinger ist der beste Herrenreiter von ganz Nordengland. Auf ebener Straße nehme ich es leicht mit ihm auf, aber im Hindernisrennen ist er mir glatt überlegen. Jeder weiß, daß er säuft wie ein Loch, wenn er nicht im Training ist. Er nennt es Ausgleichssport. Seit Dienstag ist er im Delirium und tobt, daß die Wände wackeln. Er wohnt genau über mir. Die Ärzte sagen, daß er auf der Strecke bleibt, wenn ihm nicht jemand was zu Essen reinzwängt. Das ist nun insofern ein Problem, als er im Bett liegt und einen Revolver unter dem Kop&issen hat. Wenn sich ihm jemand nähert, hat er gedroht, ballert er ihm die volle Ladung in den Wanst. Daß darauftin das Personal in Streik getreten ist, kann man verstehen.
Wenn mein Freund John schießt, dann triffi er, das können Sie mir glauben. Er ist ein sturer Hund, das gebe ich zu, aber man kann ihn doch nicht einfach krepieren lassen. Noch dazu, wo er der langjährige Sieger des Grand National ist.«
»Und was wollen Sie jetzt unternehmen?« fragte ich.
»Ich hatte mir gedacht, daß Sie und ich, daß wir ihn zusammen überrumpeln könnten. Vielleicht döst er gerade, und dann kriegt schlimmstenfalls einer von uns beiden einen auf den Pelz gebrannt, und der andere nimmt ihm dann den Revolver ab. Anschließend binden wir ihm die Arme auf den Rücken, lassen einen Schlauch kommen und verpassen ihm eine richtig dicke, fette Suppe.«
Als ob mein Tag nicht schon vollgepackt genug gewesen wäre! Jetzt auch noch diese verfahrene Angelegenheit. Ich bin kein sonderlich tapferer Mensch. Meine irische Phantasie trägt maßgeblich dazu bei, daß mir unbekannte und unversuchte Dinge meist schlimmer vorkommen, als sie es in Wirklichkeit sind. Andererseits hat man mir Abscheu vor der Feigheit anerzogen, und ich lebe in der ständigen Angst, für feige angesehen zu werden. Würde an meinem Mut gezweifelt, so wäre ich glatt in der Lage, mich wie jener Hunne, von dem in allen Geschichtsbüchern die Rede ist, in einen Abgrund zu stürzen, aber nicht etwa aus Mut, sondern aus Stolz und Angst. Beim Gedanken an das Schnapsfaß einen Stock höher sträubte sich in mir zwar alles, aber ich erklärte mich möglichst gleichgültig zu dem Unternehmen bereit. Als mich Lord Roxton noch einmal auf dessen Gefahr hinweisen wollte, wehrte ich verärgert ab.
»Vom Reden wird es nicht besser«, sagte ich. »Los, bringen wir die Sache hinter uns.«
Ich stand von meinem Sessel auf und er von seinem. Er lachte vertraulich, boxte mich ein paarmal gegen die Brust und stieß mich schließlich in den Sessel zurück. »In Ordnung, junger Mann«, sagte er. »Sie sind aus dem richtigen Holz geschnitzt.«
Jetzt begriff ich überhaupt nichts mehr.
»Ich habe mich heute morgen schon selber um Ballinger gekümmert«, erklärte der Lord. »Zum Glück war seine Hand so zittrig, daß er mir bloß ein Loch in meinen Morgenmantel geschossen hat. Einen Moment später war er gefesselt und zwei Minuten später gefüttert. In einer Woche ist er wieder auf dem Damm. Ich hoffe, Sie nehmen mir den Trick nicht übel, junger Mann. Unter uns gesagt halte ich diese Südamerikareise nämlich für sehr gefährlich und will wissen, ob ich jemanden dabei habe, auf den Verlaß ist. Das ist der Grund, warum ich Ihnen auf den Zahn gefühlt habe. Gratuliere, junger Mann, Sie haben gut dabei abgeschnitten. So wie ich die Dinge sehe, werden wir völlig auf uns selbst angewiesen sein, denn der alte Summerlee braucht unter Garantie von Anfang an ein Kindermädchen. Übrigens, sind Sie zufällig der Malone, der für die Iren als Mittelstürmer spielt?«
»Ja.«
»Dachte ich es mir doch! Ihr Gesicht ist mir nämlich gleich bekannt vorgekommen. Ich habe das Spiel gegen Richmond gesehen - toll, einfach toll! Sie haben Gold in den Waden, Mann! Von den guten Fußballspielen lasse ich keines aus, und das gegen Richmond war das beste seit Jahren. Aber ich habe Sie nicht zu mir gebeten, um über Fußball zu reden. Wir müssen uns über die Vorbereitungen zu unserem Ausflug absprechen. Hier habe ich ein Verzeichnis der Schiffsverbindungen. Macht sich immer bezahlt, so etwas im Haus zu haben. Am übernächsten Mittwoch läuft ein Dampfer nach Para aus. Wenn Sie und der Professor es bis dahin schaffen, sollten wir unsere Passagen buchen.«
»Einverstanden.«
»Gut. Mit dem Professor spreche ich dann noch. Und wie steht es mit Ihrer Ausrüstung?«
»Darum kümmert sich meine Zeitung.«
»Können Sie schießen?«
»Nicht besser und nicht schlechter als jeder, der seinen Militärdienst gemacht hat.«
»Großer Gott - so schlecht? Daß ihr jungen Typen kein Interesse daran habt, das Wichtigste zu lernen! Wie wollt ihr euch denn wehren, wenn es einmal wirklich darauf ankommt? In Südamerika müssen Sie mit einem Gewehr umgehen können, junger Mann. Wenn dieser Professor Challenger nicht spinnt oder ein gemeiner Lügner ist, können wir uns auf etwas gefaßt machen. Was haben Sie denn für ein Gewehr?«
Ohne auf meine Antwort zu warten, ging er zu einem Eichenschrank, machte ihn auf und deutete auf eine Reihe von blanken Gewehrläufen, die wie Orgelpfeifen nebeneinander in Halterungen klemmten.
»Mal sehen, ob in meinem Arsenal etwas Passendes für Sie ist.«
Nacheinander nahm er eine Anzahl prachtvoller Gewehre aus dem Schrank, knickte den Lauf ab, brachte ihn mit einem metallischen Klicken in die ursprüngliche Lage und steckte das Gewehr wieder in seine Halterung.
»Das ist eine Bland 577 mit Speziallauf«, sagte er. »Damit habe ich den Burschen da erlegt.« Er deutete auf den Kopf des weißen Nashorns. »Um Haaresbreite hätte es mich erwischt, und dann würde ich jetzt in seiner Trophäensammlung hängen. >An diesem spitzigen Geschoß hängt seine einzige Chance<, hat Gordon einmal gesagt. >Es ist der gebührende Vorteil des Schwachen.< Gordon kennen Sie doch hoffentlich, oder? Er ist der Dichter, der eine geschickte Hand mit Waffen und mit Pferden hat. So - hier hätten wir eine brauchbare Büchse mit Zielfernrohr und Doppelauswerfer. Schießt auf dreihundertfünfzig Meter einer Fliege das Auge aus. Mit ihr habe ich vor drei Jahren in Peru die Sklaventreiber verjagt. Damals war ich die strafende Hand Gottes, das können Sie mir ruhig glauben, junger Mann. Es gibt nämlich Zeiten, wo jeder die Menschenrechte verteidigen muß, auch wenn es dabei Blutvergießen gibt.
Wenn ich nicht diesen kleinen Privatkrieg angezettelt hätte, ich müßte mich mein Leben lang schämen. Ich habe ihn selber erklärt, selber ausgefochten und selber wieder beendet. Jede von diesen Kerben steht für einen Sklavenmörder. Eine ganz hübsche Strecke, was? Ich erwischte sie alle. Die dicke da ist für Pedro Lopez, ihren Anführer. Ihm habe ich am Ufer eines Nebenflusses des Putomayo das Handwerk gelegt ... So, und hier haben wir genau das Richtige für Sie.« Er hob ein Prachtexemplar von einem Gewehr aus dem Schrank. »Kolben schön der Schulter angepaßt, genaues Visier und fünf Schuß Munition. Dem Schießeisen können Sie Ihr Leben anvertrauen.«
Er gab es mir und machte seinen Gewehrschrank zu.
»Übrigens«, sagte er, als er sich wieder setzte, »was wissen Sie eigentlich über diesen Challenger?«
»Ich habe ihn heute zum erstenmal gesehen.«
»Ich auch. Es ist schon komisch, daß wir für einen Mann in den Dschungel gehen, den wir gar nicht kennen. Ein halsstarriger alter Vogel ist das und bei seinen Kollegen offensichtlich nicht allzu beliebt. Wie kam es denn überhaupt dazu, daß Sie sich für die Sache interessierten?«
Ich erzählte ihm kurz von den Begebenheiten des Vormittags, und er hörte mir aufmerksam zu. Dann holte er eine Karte von Südamerika aus seiner Schublade und breitete sie auf dem Tisch aus.