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»Was liegt dort?« rief der Lord im Verlauf seines Berichtes und deutete nach Norden. »Wälder, Moor und undurchdringlicher Dschungel. Wer weiß, was sich dort verborgen hält? Und im Süden? Eine Wildnis aus sumpfigen Wäldern, die noch kein Weißer betreten hat. Von allen Seiten umgibt uns das Unbekannte. Kennt jemand das Land dort jenseits der engen Flußläufe? Wer will sagen, was dort möglich ist und was nicht? Warum sollte der gute alte Challenger nicht recht haben?«

Bei so direkten Herausforderungen pflegt dann das verbohrte, verächtliche Lächeln wieder auf Professor Summerlees Gesicht zu erscheinen. Er sitzt dann schweigend da, schüttelt mißbilligend den Kopf und hüllt sich in die Wolken, die seiner Pfeife entsteigen.

Soviel über meine beiden weißen Gefährten, deren Vorzüge und Schwächen im weiteren Verlauf dieser Erzählung noch deutlicher zutage treten werden. Wir haben aber auch schon eine Anzahl von Hilfskräften angeheuert, die für die weitere Entwicklung nicht ohne Bedeutung sein werden. Der erste ist ein hünenhafter Neger namens Zambo, ein schwarzer Herkules, willig wie ein Pferd und wohl auch von entsprechender Intelligenz. Wir haben ihn in Para eingestellt, auf Empfehlung der Schiffahrtsgesellschaft, auf deren Dampfern er auch sein holperiges Englisch gelernt hat.

Ebenfalls in Para traten Gomez und Manuel in unsere Dienste, zwei Mestizen, die weiter stromaufwärts leben und gerade mit einer Ladung Mahagoni heruntergekommen waren. Sie sind dunkelhäutige Burschen, bärtig und wild, vital und geschmeidig wie Panther. Beide haben ihr ganzes Leben am oberen Lauf des Amazonas verbracht, also genau in dem Gebiet, das wir erforschen wollen. Dieser Umstand hat Lord John bewogen, sie anzustellen. Der eine von ih-nen, Gomez, spricht ausgezeichnet englisch. Die Männer erklärten sich bereit, uns gegen einen Monatslohn von fünfzehn Dollar dienlich zu sein, für uns zu kochen, zu rudern und sich anderweitig nützlich zu machen. Ferner haben wir drei Mojo-Indianer aus Bolivien angeworben, die unter allen am Fluß lebenden Stämmen die geschicktesten Fischer und Bootsbauer sein sollen. Ihren Anführer nennen wir Mojo, nach seinem Stamm, und die anderen hören auf die Namen Jose und Fernando.

Drei Weiße also, zwei Mischlinge, ein Neger und drei Indianer bilden die Mannschaft der kleinen Expedition, auf die jetzt in Manaos Instruktionen warten, um endlich auforechen zu können.

Nach einer Woche mühseligen Wartens waren endlich Tag und Stunde gekommen. Versuchen Sie, sich den kühlen Wohnraum der Fazenda St. Ingatio vorzustellen, zwei Meilen landeinwärts von Manaos. Draußen das gleißende Licht einer gnadenlosen Sonne. Die Schatten der Palmen ebenso schwarz wie die Bäume selbst. Kein Lüftchen regt sich, und über allem das ewige Summen der zahllosen Insekten. An die Veranda schließt sich ein kleiner, von Kakteen gesäumter Garten an. Die dichten, von Blüten übersäten Sträucher sind von Schmetterlingen umschwärmt, Kolibris schweben zitternd in der Luft, die langen Schnäbel in Blütenkelche getaucht.

Wir saßen um den Bambustisch herum, auf dem der versiegelte Umschlag lag. Instruktionen an Lord John Roxton und seine Begleiter, stand in Challengers eckiger Handschrift darauf. Zu öffnen am 15. Juli 12 Uhr mittags in Manaos.

Lord John hatte seine Uhr vor sich auf den Tisch gelegt.

»Noch sieben Minuten«, sagte er. »Der alte Querkopf soll seinen Willen haben.«

Mit einem säuerlichen Lächeln nahm Professor Summerlee den Umschlag vom Tisch.

»Jetzt oder in sieben Minuten«, sagte er, »das wird doch bitteschön nichts ausmachen, oder? Die Zwänge, die man uns da auferlegen will, gehören doch bloß zu dem System aus Betrug und Schwindel, wofür Professor Challenger nun einmal berühmt und berüchtigt ist.«

»Ich bin dafür, daß wir uns an die Spielregeln halten«, meinte Lord John. »Wie ich eben schon sagte, lassen wir ihm doch seinen Willen. Ohne ihn säßen wir nicht hier, und für mein Dafürhalten wäre es verdammt ungehörig, wenn wir seine Instruktionen mißachten würden.«

»Da haben wir uns auf etwas eingelassen«, maulte der Professor. »Schon in London ist mir die Angelegenheit nicht geheuer vorgekommen, und jetzt, das muß ich schon sagen, kommt sie mir erst recht nicht geheuer vor. Wenn in diesem Umschlag nicht ganz genaue Angaben stecken, nehme ich den nächsten Dampfer nach Para, um die Bolivia noch zu erwischen, und fahre nach Hause.

Ich habe schließlich Wichtigeres zu tun, als in der Weltgeschichte herumzuirren und die hirnrissigen Behauptungen eines Wahnsinnigen zu widerlegen. Also, wie steht es, Roxton?«

»Es ist soweit«, sagte Lord John. »Einen Tusch, bitte.«

Er schnitt den Umschlag mit seinem Taschenmesser auf, zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus, glättete es vorsichtig und legte es auf den Tisch.

Das Blatt war leer.

Lord John drehte es um. Auch auf der Rückseite nicht ein Wort.

Wir sahen uns schweigend an, bis Professor Summerlee laut herauslachte.

»Das ist allerdings ein offenes Geständnis«, sagte er grimmig, als er sich wieder gefangen hatte. »Reicht Ihnen das als Beweis, daß der Kerl ein Schwindler ist? Wir sind einem hundsgemeinen Betrüger auf den Leim gegangen und können uns jetzt zum Gespött machen lassen.«

»Vielleicht hat er mit unsichtbarer Tinte geschrieben«, sagte ich.

»Das glaube ich nicht«, sagte Lord John und hielt das Blatt gegen das Licht. »Es hat keinen Sinn, sich etwas vormachen zu wollen, junger Mann. Auf diesem Blatt Papier - dafür lege ich die Hand ins Feuer - ist nie ein Wort geschrieben worden.«

Und genau in dem Moment dröhnte eine Stimme von der Veranda zu uns herein.

»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?«

Wir fuhren herum und trauten unseren Augen nicht, aber da stand er im Türrahmen, einen Strohhut mit buntem Band auf dem Kopf, die Hände in die Taschen vergraben und die Füße in spitzigen Segeltuchschuhen. Er warf den Kopf in den Nacken, reckte den Bart nach vorn und blickte uns unter halb gesenkten Lidern hervor mit unduldsamen Augen an.

»Ich fürchte«, sagte Professor Challenger und zog die Uhr aus der Tasche, »daß ich ein paar Minuten zu spät gekommen bin. Ich hatte nämlich von Anfang an beabsichtigt, vor dem angegebenen Termin bei Ihnen zu sein. Daß Sie den Umschlag nun doch selbst geöffnet haben, ist ein bedauerliches Mißgeschick, an dem ein Stümper von einem Steuermann und eine Sandbank schuld sind. Ich nehme an, daß mein verehrter Kollege, Professor Summerlee, die Gelegenheit bereits genutzt und seine Meinung über mich zum besten gegeben hat - womit bewiesen wäre, daß alles auch sein Gutes hat.«

»Ihr unerwartetes Auftauchen, Sir«, sagte Lord John steif, »empfinde ich zwar als Erleichterung, da dadurch unsere Mission doch nicht verfrüht zu Ende zu sein scheint, aber ich finde Ihre Methoden reichlich ungewöhnlich, um nicht zu sagen lächerlich.«

Professor Challenger ersparte sich eine Antwort, kam herein und schüttelte uns der Reihe nach die Hand. Professor Summerlee bedachte er sogar mit einer leichten Verbeugung, bevor er sich in einen Korbsessel fallen ließ, der unter dem beachtlichen Gewicht ächzte und stöhnte.

»Ist alles vorbereitet?« fragte er.

»Wir können morgen auforechen.«

»Perfekt- dann werden Sie morgen auforechen. Einen Marschplan brauchen Sie mittlerweile nicht mehr, weil Sie in den Genuß meiner persönlichen Führung kommen werden. Es dürfte Sie eigentlich nicht erstaunen, wenn ich Ihnen sage, daß ich gleich zu Anfang beschlossen habe, die Expedition persönlich zu leiten. Selbst ein Marschplan, in den jeder Busch und Strauch eingezeichnet gewesen wären, würde nur ein jämmerlicher Ersatz für meine intelligente, wohlbedachte Führung sein. Und was diesen kleinen Trick mit dem Umschlag anbelangt, so sah ich mich aus dem Grund dazu gezwungen, als ich es unter allen Umständen vermeiden wollte, die Reise mit Ihnen zusammen über mich ergehen lassen zu müssen. Sie hätten ja doch versucht, mich dazu zu überreden, mit Ihnen in See zu stechen.«