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»Höchst interessant«, sagte Summerlee, über mein Bein gebeugt. »Eine blutsaugende Riesenzecke, meines Wissens bisher noch nicht erfaßt.«

»Die ersten Früchte unserer Anstrengungen«, sagte Challenger zufrieden. »Ixodes Maloni taufen wir sie - das ist das mindeste, was wir tun können. Leider haben Sie das prachtvolle Exemplar zerquetscht, junger Freund. Die kleine Unannehmlichkeit, gebissen worden zu sein, wird Ihnen sicherlich nichts ausmachen, wenn Sie an das unschätzbare Privileg denken, dafür Ihren Namen in den unvergänglichen Annalen der Zoologie verewigt zu sehen.«

»Vielen Dank für die Ehre«, sagte ich gereizt. Mir war wirklich nicht zum Lachen zumute.

Professor Challenger zog erstaunt eine Augenbraue in die Höhe und legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter.

»Sie sollten danach streben, junger Mann«, sagte er, »Ihr Auge und Ihr Denken in den Dienst der Wissenschaft zu stellen. Für einen Mann wie mich - und ich rühme mich, ein Naturphilosoph zu sein - ist die Zecke mit ihrem lanzettenförmigen Rüssel und ihrem aufgeblähten Bauch ein ebenso prachtvolles Kunstwerk der Natur wie der stolze Pfau oder die Aurora borealis. Sie scheinen sich dessen nicht bewußt zu sein, und das finde ich äußerst bedauerlich. Wenn wir genügend Ausdauer auforingen, werden wir sicher ein zweites Exemplar finden und es dann aufbewahren.«

»Zweifellos«, bemerkte Professor Summerlee trok-ken. »Eben ist nämlich das zweite Exemplar in Ihrem Hemdkragen verschwunden, werter Herr Kollege.«

Professor Challenger gebärdete sich wie ein wütender Bulle, schrie und hüpfte auf und ab und zerrte an seinem Jackett und seinem Hemd zugleich. Summerlee und ich mußten derart lachen, daß wir unfähig waren, ihm zu helfen. Er schaffie es aber auch allein, und endlich war der massige Oberkörper nackt. Aus dem Gewirr von schwarzen Haaren, die an Brust und Schultern wuchsen, befreiten wir die verzweifelt herumirrende Zecke, ehe sie ihr Opfer hatte anzapfen können. - In den Büschen rings um uns herum wimmelte es von diesem Ungeziefer, und so waren wir gezwungen, uns einen anderen Lagerplatz zu suchen.

Erst jedoch mußten wir mit unserem treuen Neger sprechen, der eben wieder auf der Felszinne aufgetaucht war und uns Büchsen mit Kakao und Keksen mitgebracht hatte. Nachdem er sie uns eine nach der anderen zugeworfen hatte, sagten wir ihm, daß er Verpflegung für zwei Monate zurückbehalten und den Rest den Indianern als Lohn für ihre Arbeit und dafür, daß sie die Briefe mitnahmen, geben sollte.

Einige Stunden später sahen wir die Indianer im Gänsemarsch über die Ebene wandern, jeder ein Bündel auf dem Kopf. Sie gingen auf dem Weg zurück, den wir gekommen waren. Zambo bezog unser Zelt am Fuße der Felszinne, und dort blieb er - unser einziges Bindeglied zu der Welt unter uns.

Und nun verlegten wir unser Lager von den zeckenverseuchten Büschen in eine kleine Lichtung, die ringsum von Bäumen umgeben war. In der Mitte der Lichtung ein paar flache Felsplatten und gleich daneben eine Quelle. Dort saßen wir, sauber und bequem, und besprachen unseren ersten Vormarsch in dieses neue Land. Vögel zwitscherten in den Bäumen, manche davon mit seltsam heulendem Unterton, aber sonst war alles still.

Als erstes stellten wir eine Liste unserer Vorräte auf, denn wir mußten wissen, wie lange wir damit durchhalten konnten. Insgesamt waren wir mit den Sachen, die wir selbst mitgebracht hatten, und denen, die uns Zambo nachgeliefert hatte, relativ gut versorgt.

Bei den Gefahren, von denen wir umzingelt sein mochten, waren jedoch unsere Gewehre die wichtigsten Ausrüstungsgegenstände. Jeder von uns hatte dreihundert Schuß Munition, außerdem hatten wir noch die Schrotflinte mit hundertfünfzig Patronen. Der Proviant reichte für gut drei Wochen, Tabak besaßen wir ausreichend, und sogar einige Geräte für Forschungszwecke waren vorhanden, darunter ein Teleskop und ein gutes Zeiss-Glas.

All das schaffien wir auf die Lichtung, nachdem wir zur Vorsicht dorniges Gestrüpp geschlagen und uns um die Felsplatten herum einen Schutzwall von einem Durchmesser von vielleicht fünfzehn Metern gebaut hat-ten. Das sollte zunächst unser Hauptquartier sein- unser Zufluchtsort bei plötzlich auftretender Gefahr und natürlich Lagerplatz für unsere Reichtümer.

Wir tauften den Platz »Fort Challenger«.

Bis wir alles so weit hatten, war es Mittag geworden. Die Hitze war nicht quälend, und sowohl Temperatur als auch Vegetation auf dem Plateau entsprachen den Bedingungen, die man in gemäßigten Zonen vorfindet. Unter den Bäumen, die unsere Lichtung umstanden, Buchen, Eichen und sogar Birken. Ein gewaltiger Gingkobaum, der alle anderen überragte, breitete seine langen Äste mit den Fächerblättern bis über das Lager aus, das wir gebaut hatten.

In seinem Schatten hielten wir Kriegsrat, wobei Lord John wieder das Kommando übernommen hatte und uns seine Ansichten auseinandersetzte.

»Solange uns weder Mensch noch Tier gesehen oder gehört haben, sind wir sicher«, sagte er. »Sobald sie aber wissen, daß wir hier sind, geht der Zirkus los. Nichts spricht dafür, daß sie uns bereits gesichtet haben. Wir müssen uns also vorerst einmal möglichst ruhig verhalten und das Land heimlich auskundschaften. Ehe wir unsere Nachbarn aufsuchen, wollen wir sie uns gründlich anschauen.«

»Aber wir können nicht hier sitzenbleiben, sondern müssen raus«, sagte ich.

»Allerdings müssen wir das, junger Mann«, sagte Lord John, der Challengers Art, mich wie einen Schulbuben zu behandeln, übernommen hatte. »Wir werden das Lager verlassen, aber mit Verstand. Wir dürfen uns nie so weit davon entfernen, daß wir nicht zurückkommen können. Und vor allem dürfen wir unter keinen Umständen von unseren Waffen Gebrauch machen.«

»Wobei Sie gestern geschossen haben«, sagte Summerlee.

»Das mußte sein. Zum Glück wehte der Wind so, daß der Schall über die Ebene und nicht hier herüber getragen wurde. Es ist nicht anzunehmen, daß man hier etwas gehört hat. Übrigens, wie sollen wir das Neuland nennen?«

Es kamen ein paar Vorschlage, von denen keiner so recht befriedigend war. Challenger hatte schließlich die Idee, der alle zustimmten.

»Da kommt doch nur ein Name in Frage«, sagte er. »Das Land muß den Namen des Mannes bekommen, der es entdeckt hat - nämlich Maple White. Wir nennen es Maple-White-Land, schlage ich vor.«

Damit war es beschlossene Sache, und ich trug den Namen in die Karte ein, mit deren Entwurf ich beauftragt worden war.

Die friedliche Eroberung des Maple-White-Landes war nun unser dringliches Anliegen. Wir hatten mit eigenen Augen gesehen, daß hier unbekannte Lebewesen hausten, und aus dem Zeichenheft des Amerikaners wußten wir, daß wir früher oder später mit dem Auftauchen gefährlicher Untiere rechnen mußten. Daß es auch Menschen auf dem Plateau gab, schien durch das Skelett bewiesen zu sein, das wir im Bambus gefunden hatten. Daß James Colver nicht das Opfer eines Unfalls gewesen, sondern absichtlich von den Klippen gestoßen worden war, bezweifelte niemand mehr.

Unsere Situation, durch die Tatsache, daß wir das Plateau nicht verlassen konnten, verschärft, war höchst gefährlich und verlangte größte Vorsichtsmaßnahmen. Trotzdem konnten wir, endlich am Saum dieser mysteriösen Welt angekommen, nicht untätig auf unserer Lichtung sitzen bleiben. Die Ungeduld trieb uns hinaus. Wir mußten bis ins Herz des Neulandes vordringen.

Wir verbarrikadierten daher den Zugang zu unserem Lager und machten uns auf den Weg. Wir folgten dem Wasserlauf, der aus unserer Quelle sprudelte. Er sollte uns auch als Wegweiser für den Rückweg dienen.

Wir waren kaum aufgebrochen, als wir auf Anzeichen stießen, die uns davon überzeugten, daß uns tatsächlich wundersame Dinge erwarteten. Nach ein paar hundert Metern dichten Unterholzes - die Bäume, die es überragten, waren mir größtenteils fremd, aber Professor Summerlee, der Botaniker unter uns, hatte für jeden einen exotisch klingenden Namen parat -, kamen wir in ein Gelände, in dem der Bach breiter wurde und der Boden sumpfig war. Dichtes, eigenartiges Schilf wuchs hier, dazwischen standen vereinzelt Baumfarne. Es wehte ein kräftiger Wind.