Lassen Sie mich genau beschreiben, was passiert ist.
Wir pirschten uns vorsichtig durchs Unterholz. Lord John ging wieder voran, unsere Professoren gingen immer wieder in die Knie, um hier ein Gewächs, dort ein Insekt zu inspizieren, das ihnen unbekannt war. So waren wir an die drei Meilen am rechten Ufer des Flüßchens entlanggegangen, als wir wieder zu einer diesmal viel größeren Lichtung kamen, die auf der uns gegenüberliegenden Seite in einen Gürtel von Buschwerk überging, der zu einem Hügel aus Geröll hinaufführte. Uns im Unterholz am Rande der Lichtung haltend, gingen wir auf den Gürtel zu, als wir plötzlich ein sonderbar schnatterndes, pfeifendes Geräusch hörten, das die Luft erfüllte.
Lord John machte uns ein Zeichen, duckte sich, lief wie ein Wiesel auf den Gürtel zu und kletterte im Schutz des Buschwerks die Anhöhe hinauf. Wir folgten ihm auf den Fersen. Oben angekommen, richtete sich Lord John ein wenig auf und spähte über den Rand. Es dauerte einen Moment, bis er uns an seine Seite winkte. Ich sah es ihm an, daß uns etwas höchst Außergewöhnliches, aber auch höchst Gefährliches erwartete.
Wir krochen neben ihn und spähten ebenfalls über den oberen Rand der Geröllhalde. Vor uns lag ein kleiner Krater, der auf seinem Grund, etwa hundert Meter von uns entfernt, flach war wie eine Schüssel. Tümpel mit abgestandenem, faulig grünem Wasser, Schilffüschel am Rand der Tümpel und Hunderte von Pterodactylen.
Wir waren auf den Nistplatz dieser scheußlichen Ungeheuer gestoßen. Weibchen, die auf ihren ledrigen gelben Eiern hockten und brüteten, und zwischen ihnen ein Gewimmel von Jungen, die unauftörlich schnatterten. Der Gestank, der zu uns aufstieg, war unbeschreiblich.
Und am oberen Rand des Kraters, jeder auf einem Stein für sich, hockten die Männchen, die von einer so vertrockneten, abstoßenden Scheußlichkeit waren, daß man es mit Worten nicht beschreiben kann. Nur aus dem Rollen ihrer hervorquellenden Augen und einem gelegentlichen Schnappen nach irgendeinem Insekt konnte man ersehen, daß sie nicht versteinert waren, sondern tatsächlich lebten. Die gewaltigen Hautflügel hatten sie mit verschränkten Vorderbeinen zusammengefaltet und wirkten wie riesige alte Weiber, die sich in einen mit Spinnweben überzogenen Schal gehüllt hatten. Insgesamt etwa tausend dieser ekelerregenden Kreaturen waren hier versammelt.
Unsere Professoren waren so fasziniert und studierten mit einer solchen Intensität diese Überbleibsel prähistorischen Lebens, daß sie am liebsten den ganzen Tag geblieben wären. Sie machten sich gegenseitig auf Reste von Fischen und Vögeln aufmerksam, die im Geröll herumlagen und offensichtlich die Nahrung dieser Kreaturen darstellten, und beglückwünschten sich gegenseitig, daß endlich die Frage gelöst war, warum in eng begrenzten Gebieten immer gleich haufenweise Skelette dieser Flugdrachen gefunden worden waren. Jetzt war bewiesen, daß sie wie die Pinguine in großen Scharen zusammenlebten.
Und so kam es, daß Challenger in seiner Besessenheit, dem Kollegen etwas zeigen zu wollen, den Kopf zu weit vorreckte und uns damit fast ins Unglück stürzte. Im selben Moment hatte auch schon eines der uns am nächsten hockenden Männchen einen schrillen Schrei ausgestoßen, schlug mit den Flügeln, die gut eine Spannweite von zwanzig Fuß hatten, und erhob sich in die Luft. Die Weibchen und die Jungen drängten sich eng zusammen, während sich die Männchen einer nach dem anderen in die Lüfte schwangen. Der Anblick war unglaublich. Gut hundert von diesen abscheulichen Kreaturen verdunkelten den Himmel und zogen Kreise, als wollten sie den Durchmesser der Gefahrenzone erforschen. Die Kreise wurden immer enger, die Drachen kamen immer weiter herunter, bis wir glaubten, das Dröhnen ihres Flügelschlages würde uns das Trommelfell sprengen.
»In den Wald und zusammenbleiben!« rief Lord John und brachte das Gewehr in Anschlag.
In der Sekunde, in der wir die Flucht ergreifen wollten, kreisten uns die Ungeheuer ein und kamen so nah an uns heran, daß ihre Flügelspitzen an unseren Gesichtern zu streifen drohten. Wir schlugen mit den Kolben unserer Gewehre nach ihnen, die Ungeheuer schienen es aber nicht zu spüren. Dann schoß plötzlich ein langer Hals aus dem Kreis wild schlagender Flügel hervor, und ein scharfer Schnabel hackte nach uns. Ein zweiter und ein dritter folgten diesem Beispiel. Summerlee stieß einen Schrei aus und schlug die Hände vor das blutende Gesicht. Ich spürte einen Schlag im Nacken, der so wuchtig war, daß mir schwindelig wurde. Challenger stürzte zu Boden. Als ich mich bückte und ihm auftelfen wollte, bekam ich den zweiten Schlag in den Nacken und fiel auf ihn. Im selben Moment hörte ich Lord Johns Büchse knallen und sah, wie eine der Kreaturen mit gebrochenem Flügel auf dem Boden herumkroch, den Schnabel weit aufgerissen, die blutunterlaufenen Augen auf uns gerichtet. Der Schuß hatte die anderen wieder weiter in die Lüfte hinaufgetrieben.
»Los!« schrie Lord John. »Weg von hier!«
Wir taumelten und stolperten über die Geröllhalde und hatten gerade den Rand des Unterholzes erreicht, als die Bestien erneut angriffen. Challenger bekam einen Schlag ins Genick und ging zu Boden, wir konnten ihn aber gerade noch rechtzeitig ins Gestrüpp ziehen.
Als wir uns zu unserem Lager zurückschleppten, übel zerschunden und erschöpft, sahen wir die Bestien noch geraume Zeit über unseren Köpfen kreisen. Sie flogen mittlerweile so hoch, daß sie nicht größer als Wildtauben aussahen. Nachdem wir dichter bewaldetes Gebiet erreicht hatten, gaben sie die Verfolgung schließlich auf.
»Ein interessantes und sehr lehrreiches Erlebnis«, meinte Professor Challenger, als wir am Bach Rast machten und er sein angeschwollenes Knie kühlte. »Jetzt sind wir über die Verhaltensweisen eines in Rage geratenen Pterodactylos bestens informiert.«
Professor Summerlee wischte sich das Blut von der Platzwunde an der Stirn, während ich mir mein Taschentuch um den Hals band. Das Ungeheuer hatte mir eine relativ große Stichwunde beigebracht, die zwar wenig blutete, dafür aber um so mehr schmerzte. Lord John war am besten weggekommen. Ihm hatte einer der Flugdrachen lediglich das Jackett zerrissen, die Haut an der bloßen Schulter aber nur leicht geritzt.
»Wir müssen also feststellen«, fuhr Professor Challenger fort, »daß unser junger Freund hier eine Stichwunde davongetragen hat, während Lord John lediglich eine leicht zerfetzte Jacke zu beklagen hat. Professor Summerlee ist an der Stirn verletzt, und mir haben sie mit den Flügeln auf den Kopf geschlagen, womit wir eine bemerkenswerte Demonstration ihrer Angriffsmethoden geliefert bekommen haben.«
»Wir sind gerade noch einmal mit dem Schrecken davongekommen«, sagte Lord John ernst. »Ich könnte mir einen schöneren Tod vorstellen, als von so einem Biest in Stücke gehackt zu werden. Es tut mir leid, daß ich mein Gewehr benutzen mußte, aber es blieb mir keine andere Wahl.«
»Wenn Sie es nicht getan hätten, wären wir nicht hier«, sagte ich, und es war meine feste Überzeugung.
»Möglicherweise hat es nicht einmal etwas geschadet«, sagte Lord John. »Hier in diesem Urwald kracht öfter einmal etwas. Zum Beispiel wenn ein Baum splittert oder umstürzt. Für heute, würde ich sagen, haben wir genug Aufregungen gehabt, und unser Bedarf an Spannung dürfte eigentlich gedeckt sein. Ich schlage daher vor, daß wir zum Lager zurückkehren und erst einmal die Wunden ordentlich behandeln. Wer weiß, was für Gift an den Schnäbeln dieser gräßlichen Viecher hängt.«
Unser Bedarf an Aufregung und Spannung war zwar wirklich mehr als gedeckt, als wir jedoch zu unserem Lager kamen, wartete die nächste Katastrophe auf uns.
Der mit Dornengebüsch verbarrikadierte Zugang zum Fort Challenger war unberührt, die stacheldrahtähnliche Umfriedung völlig intakt, aber trotzdem hatte in unserer Abwesenheit eine Kreatur, die Bärenkräfte haben mußte, verheerenden Schaden angerichtet.