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Nicht ein Fußabdruck zu sehen, also mußte sie über die Äste des Gingkobaums gekommen und auf diesem Wege auch wieder verschwunden sein.

Unsere Habseligkeiten waren über den Boden verstreut. Die Büchsen lagen in der Gegend herum. Eine davon war aufgerissen und der Inhalt- es war Corned Beef gewesen - aufgefressen. Eine Munitionskiste war zu Kleinholz verarbeitet, der Metalldeckel total zerfetzt.

Schieres Entsetzen kroch uns über den Rücken. Mit ängstlichen Blicken spähten wir durch die dunklen Schatten, die uns umgaben und voll von neuen Gefahren sein konnten.

Als wir plötzlich die Stimme unseres treuen Zambo durch die Stille zu uns dringen hörten, war es uns, als rücke die Welt wieder in normale Bahnen. Wir liefen zum Rand des Plateaus, und da saß er gegenüber auf der Felszinne und grinste von einem Ohr zum anderen.

»Alles in Ordnung, Master Challenger, alles in Ordnung«, rief er. »Zambo hier bleiben. Keine Angst. Sie mich immer finden, wenn mich brauchen.«

Sein ehrliches schwarzes Gesicht und die Landschaft dahinter riefen uns ins Gedächtnis zurück, daß wir Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts waren, auf der Erde lebten und nicht auf einem Planeten der frühen Entstehungsgeschichte.

Trotzdem fiel es mir schwer, mir vorzustellen, daß sich hinter der violetten, verschwommenen Linie des Horizonts der Amazonas durch den Urwald wälzte, daß Schiffe auf diesem Strom fuhren und Menschen an seinen Ufern lebten, während wir von Kreaturen längst verflossener Zeitalter umgeben und bedroht waren.

Noch eine Erinnerung an diesen aufregenden Tag ist mir geblieben, und mit ihr will ich diesen Bericht abschließen. Unsere Professoren, durch ihre Verletzungen zweifellos noch gereizter als sonst, hatten sich wieder einmal in den Haaren und stritten sich, ob die Ungeheuer, die uns angegriffen hatten, zur Gattung Pterodactylus oder Dimorphodon gehörten. Da ich mir ihre Fachsimpelei nicht länger mit anhören wollte, setzte ich mich etwas abseits auf einen Baumstumpf und rauchte in aller Ruhe eine Pfeife, als auf einmal Lord John sich zu mir gesellte.

»Folgendes, Malone«, sagte er. »Erinnern Sie sich an das Loch, in dem diese ekelhaften Biester hockten?«

»Genau.«

»Das ist doch eine Art Krater, oder?«

»Ist anzunehmen.«

»Ist Ihnen die Bodenbeschaffenheit aufgefallen?«

»Ja - Felsgeröll.«

»Aber auf dem Grund des Kraters - da, wo die Binsen stehen.«

»Da war der Boden lehmig, aber dunkel. Nicht schwarz, sondern eigentlich blau.«

»Eben«, sagte Lord John. »Also handelt es sich um einen vulkanischen Trichter, der bis oben hin voll mit blauem Lehm ist.«

»Und was hat das zu bedeuten?« fragte ich.

»Ach nichts ... nichts.«

Und damit schlenderte Lord John zu den sich immer noch streitenden Wissenschaftlern zurück. Professor Challenger versuchte mit schriller Stimme gegen den sonoren Baß Professor Summerlees anzuschreien.

Ich hätte Lord Johns letzte Bemerkung vergessen, hätte ich sie an dem Abend nicht noch einmal gehört.

»Blauer Lehm«, murmelte er wie zu sich selbst vor sich hin, »ein vulkanischer Trichter, bis oben hin voll.«

Ich hatte seine Worte noch in den Ohren, als ich in einen tiefen Schlaf der Erschöpfung sank.

11

Der Held des Tages

Lord John Roxton hatte recht gehabt mit seiner Vermutung: der Biß der widerlichen Kreaturen, die über uns hergefallen waren, war giftig. Am nächsten Morgen hatten sowohl Summerlee als auch ich starke Schmerzen und hohes Fieber. Challengers Knie war dermaßen dick angeschwollen, daß er nur mühsam hinken konnte. Wir mußten deshalb den ganzen Tag über im Lager bleiben. Lord John beschäftigte sich damit, unsere dornigen Schutzhecken in Höhe und Tiefe zu verstärken, wobei wir ihm halfen, soweit wir dazu fähig waren.

Ich erinnere mich, daß ich während des ganzen Tages das Gefühl nicht loswerden konnte, wir würden beobachtet. Aber ich hatte keine Ahnung, von wem und von welcher Seite aus. Dieser Eindruck wurde so stark, daß ich schließlich Professor Challenger davon erzählte. Er führte ihn jedoch auf den fieberhaften Erregungszustand meiner Nerven zurück. Immer wieder blickte ich in die Runde, überzeugt, plötzlich irgend etwas zu entdecken. Aber ich sah nur das dunkle Gewirr der Hecken und den tiefen Schatten der hohen Bäume, die sich über uns wölbten. Ich mußte an den indianischen Aberglauben von Curupuri, dem schrecklichen Dämon des Urwaldes, denken. Jetzt konnte ich mir vorstellen, wie seine grauenhafte Erscheinung diejenigen verfolgte, die es gewagt hatten, in seinen entlegensten und geheiligten Zufluchtsort einzudringen.

In dieser Nacht - unserer dritten im Maple-White-Land - erwies es sich, wie klug es von Lord John gewesen war, sich mit der Absicherung unserer Behausung so viel Mühe zu geben. Wir schliefen neben unserem langsam verglimmenden Feuer, als wir durch ein Gebrüll geweckt wurden, wie ich es fürchterlicher nie gehört habe. Es kam aus einer Entfernung von ein paar hundert Metern, war ohrenbetäubend und voll Angst und Qual. Wir hielten uns die Ohren zu, um diesen nervenzermürbenden Schrei nicht länger mit anhören zu müssen. Die Not, die darin mitschwang, ließ mir den kalten Schweiß ausbrechen und krampfte mir das Herz zusammen. Das ganze Elend einer gemarterten Kreatur, ihre überwältigende Anklage, ihre qualvolle Not, das alles war verdichtet und konzentriert in diesem einen furchtbaren Schrei. Und dann erscholl neben diesem durchdringenden Ton noch ein anderer, ein leises Gelächter aus gewaltiger Brust, ein grollendes, kehliges Gurgeln voller Vergnügen. Drei bis vier Minuten lang dauerte dieses schauerliche Duett. Das Laubwerk raschelte von den aufgeschreckten und hochfliegenden Vögeln.

Dann verstummte das Geschrei ebenso plötzlich, wie es begonnen hatte. Wir saßen noch lange reglos. Lord John warf ein paar Äste aufs Feuer; der rote Schein beleuchtete die gespannten Gesichter meiner Gefährten und flackerte über die dicken Äste über uns.

»Was war das?« flüsterte ich.

»Das werden wir morgen erfahren«, sagte Lord John. »Es war ganz in unserer Nähe - nicht weiter als bis zum Rand der Lichtung.«

»Wir waren dazu auserkoren«, sagte Professor Challenger mit merkwürdig feierlicher Stimme, »eben eine prähistorische Tragödie mit anzuhören. Ein Trauerspiel, wie es sich am Ufer einer Tränke im Jurazeitalter abgespielt haben mag, in dessen Verlauf der größere Drachen den schwächeren abgewürgt hat. Der Mensch kann Gott danken, daß er erst am Ende der Schöpfungsgeschichte auf der Bildfläche erschienen ist. In der Urzeit waren Mächte am Werk, gegen die er mit seinem Mut und seinem Erfindungsgeist machtlos gewesen wäre. Was hätten seine Schleuder, sein Speer oder sein Pfeil gegen Kräfte ausrichten können, wie sie eben gewütet haben? Selbst mit einem modernen Gewehr ist man gegen derartige Monster nicht gefeit.«

»Da tun Sie aber meinem Freund hier unrecht«, sagte Lord John und strich liebevoll über den Lauf seiner Elefantenbüchse.

Professor Summerlee hob die Hand.

»Ps-sst!« zischte er.

Aus der Stille erklang ein schweres, gleichmäßiges Stampfen. Es war der Schritt irgendeines Tieres - der Rhythmus weicher, aber schwerer Sohlen, die vorsichtig auftraten. Langsam schlich es um unser Lager herum und blieb dann nahe beim Eingang stehen. Wir hörten ein leises, an- und abschwellendes Zischen, den Atem dieser Kreatur. Nur die schwache Hecke trennte uns von diesem schrecklichen Nachtgespenst. Wir alle hatten unsere Gewehre gepackt. Lord John bohrte ein Guckloch in die Hecke und spähte hindurch.

»Großer Gott!« flüsterte er. »Ich glaube, ich kann es sehen!«

Ich beugte mich vor und blickte über seine Schulter. Ja, da war es. Von den düsteren Baumschatten hob sich eine dunkle Masse ab, schwarz, nur angedeutet und unbestimmt - eine geduckte Gestalt, nicht höher als ein Pferd, aber die undeutlichen Umrisse verrieten Massigkeit und Kraft. Dieser fauchende Atem, so regelmäßig und voluminös wie der Dampf einer Lokomotive, sprach für einen ungeheuren Organismus. Einmal meinte ich, zwei grünliche Augen glitzern zu sehen. Ich vernahm ein unheimliches Rascheln, als ob das Tier langsam vorwärtskröche.