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»Ich glaube, es will springen!« sagte ich und lud mein Gewehr durch.

»Nicht schießen! Nicht schießen!« flüsterte Lord John. »Ein Gewehrschuß ist in dieser stillen Nacht meilenweit zu hören. Nur in äußerster Not.«

»Wenn es über die Hecke kommt, sind wir erledigt«, sagte Summerlee und brach in ein nervöses gackerndes Lachen aus.

»Trotzdem - nicht schießen«, sagte Lord John. »Mal sehen, was sich da machen läßt.«

Nie habe ich einen Menschen eine so tapfere Tat vollbringen sehen. Er ging zum Feuer, bückte sich und zog einen brennenden Ast heraus, schlüpfte in Sekundenschnelle durch die Schießscharte in unserer Eingangstür. Das Tier bewegte sich mit einem schrecklichen Knurren auf ihn zu. Lord John zögerte nicht einen Augenblick, rannte schnell und leichtfüßig der Bestie entgegen und stieß ihr das flammende Holz ins Gesicht. Für einen Moment erblickte ich eine entsetzliche Fratze, wie von einer riesigen Kröte, warzige, schuppige Haut und ein weit offenes Maul, über und über mit frischem Blut beschmiert. Im nächsten Augenblick krachte es im Unterholz, und der furchtbare Besucher war verschwunden.

»Ich habe mir gedacht, daß er das Feuer nicht mag«, sagte Lord John lachend, als er zurückkam und den Ast ins Feuer warf.

»Sie hätten sich nicht in solche Gefahr begeben dürfen«, riefen wir.

»Es war die einzige Möglichkeit. Wenn das Untier hier hereingekommen wäre, hätten wir uns beim Versuch, es zur Strecke zu bringen, nur gegenseitig über den Haufen geschossen. Und wenn wir durch die Hecke auf das Vieh geschossen und es verwundet hätten, wäre es erst recht über uns hergefallen. Außerdem hätten wir uns durch eine Schießerei verraten. Wir können froh sein, daß wir so glimpflich davongekommen sind. Wie heißt das Biest eigentlich?«

Unsere Gelehrten sahen sich etwas unschlüssig an.

»Ich persönlich sehe mich außerstande, diese Kreatur mit Sicherheit zu klassifizieren«, sagte Summerlee und zündete sich seine Pfeife am Feuer an.

»Mit Ihrer Vorsicht, sich festzulegen, beweisen Sie angemessene wissenschaftliche Zurückhaltung«, sagte Challenger. »Ich für meine Person will vorerst ganz allgemein feststellen, daß wir es mit großer Wahrscheinlichkeit mit irgendeiner Art von fleischfressendem Dinosaurier zu tun haben. Die Vermutung, daß etwas Derartiges auf dem Plateau vorkommen könnte, habe ich ja schon geäußert.«

»Wir dürfen nicht vergessen«, sagte Summerlee, »daß es noch viele vorgeschichtliche Arten gibt, die uns nicht überliefert sind. Es wäre daher voreilig, zu vermuten, daß wir für alles, was uns hier begegnen könnte, einen Namen parat haben.«

»Genau so ist es. Eine oberflächliche Einordnung ist das Äußerste, was wie versuchen können. Morgen finden wir vielleicht noch weitere Anhaltspunkte, die uns einer Identifizierung näherbringen. Inzwischen wollen wir unseren unterbrochenen Schlaf fortsetzen.«

»Nicht ohne Wachtposten«, sagte Lord John mit Entschiedenheit. »Wir können uns hier keine Unvorsichtigkeit mehr leisten. In Zukunft also Zweistundenwachen für jeden von uns!«

»Dann werde ich gleich die erste übernehmen und dabei meine Pfeife zu Ende rauchen«, sagte Professor Summerlee.

Von da ab wagten wir nicht mehr, ohne Wache zu schlafen.

Am Morgen brauchten wir nach der Ursache des entsetzlichen Tumults, der uns in der Nacht aufgeschreckt hatte, nicht lange zu suchen. Die Iguanodon-Lichtung war zum Schauplatz eines schrecklichen Gemetzels geworden. Beim Anblick der Blutlachen und der riesigen Fleischklumpen, die in allen Richtungen über die niedergewalzte Grasfläche verstreut lagen, glaubten wir zuerst, daß eine ganze Reihe von Tieren abgeschlachtet worden sei. Aber bei näherer Untersuchung der Überreste entdeckten wir, daß alles von einem einzigen dieser plumpen Riesentiere stammte, das von einer Kreatur in Stücke gerissen worden war, die es vielleicht nicht an Größe, gewiß aber an Kraft übertraf.

Unsere beiden Professoren diskutierten und untersuchten währenddessen einen Fleischfetzen nach dem anderen. Daß hier Reißzähne und mächtige Klauen am Werk gewesen waren, stand außer Zweifel.

»Wir dürfen uns noch nicht endgültig festlegen«, sagte Professor Challenger irgendwann. »Alles scheint dafür zu sprechen, daß hier ein Säbelzahntiger, wie wir sie aus Höhlenzeichnungen kennen, seine Beute gerissen hat, aber die Kreatur, die wir gesehen haben, war größer und eindeutig ein Reptil. Ich persönlich tendiere eher zu der Ansicht, daß es ein Allosaurus gewesen ist.«

»Oder ein Megalosaurus«, meinte Professor Summerlee.

»Richtig. Auf alle Fälle handelt es sich um einen Raubsaurier, einen Vertreter dieser scheußlichsten Gattung tierischen Lebens, die ein Fluch für die Erde und ein Segen für die Naturhistorischen Museen gewesen sind.«

Er lachte schallend über seine letzte Bemerkung. Wie fast alle Menschen, die wenig Humor haben, fand er seine krampfthaften Witzchen geradezu köstlich.

»Bitte, etwas weniger lautstark«, mahnte Lord John sofort. »Wir wissen nicht, was uns in der nächsten halben Stunde blüht. Wenn dieses Prachtexemplar von einem Saurier zurückkommt und frühstücken will, wird uns das Lachen vergehen. Was bedeutet übrigens dieses Zeichen am Hals des Iguanodons?«

Auf der schuppigen, schieferfarbenen Haut etwas oberhalb der Schulter war ein sonderbarer kreisrunder Fleck aus einer Substanz, die wie Asphalt aussah. Keiner von uns konnte sich vorstellen, was er zu bedeuten hatte. Summerlee allerdings meinte, vor zwei Tagen etwas Ähnliches an einem der Jungtiere bemerkt zu haben. Challenger äußerte sich nicht dazu, schaute aber so bedeutungsvoll und wichtig drein, als ob er es wüßte. Lord John fragte ihn schließlich nach seiner Meinung.

»Wenn Eure Lordschaft mir gnädigst erlauben, wieder den Mund aufzumachen, muß ich meiner Dankbarkeit Ausdruck verleihen«, sagte er mit ausgesuchtem Sarkasmus. »Ich bin leider nicht gewöhnt, herumkommandiert zu werden, wie Sie das zu tun pflegen. Ich wußte nicht, daß man Sie erst um Erlaubnis fragen muß, bevor man über einen harmlosen Scherz lacht.«

Unser empfindlicher Freund war nicht zu besänftigen, bis er formell um Entschuldigung gebeten wurde. Als sich endlich seine Gefühle wieder beruhigt hatten, hielt er uns einen längeren Vortrag. Wie es seine Gewohnheit war, sprach er, als hätte er ein Auditorium von mindestens tausend Studenten vor sich, denen er kostbarstes Wissen vermittelte.

»Was diese Markierung betriffi«, sagte er, »so bin ich ge-neigt, meinem Freund und Kollegen, Professor Summerlee, darin zuzustimmen, daß die Flecken von Asphalt herrühren. Da dieses Plateau nach seiner ganzen Herkunft in hohem Ausmaß als vulkanisch zu betrachten ist, und da Asphalt eine Substanz ist, die man mit vulkanischen Kräften in Verbindung bringt, bezweifle ich nicht, daß er hier vorhanden ist und die Tiere damit in Berührung kommen.

Ein weitaus bedeutenderes Problem jedoch ist die Frage nach der Existenzmöglichkeit des fleischfressenden Ungeheuers, das seine Spuren auf der Lichtung hinterlassen hat. Wir wissen, daß dieses Plateau nicht größer als eine durchschnittliche englische Grafschaft ist. In diesem begrenzten Territorium haben seit unzähligen Jahren viele Lebewesen, die in der übrigen Welt ausgestorben sind, zusammengelebt. Nun sollte man nach einem so langen Zeitraum erwarten, daß die fleischfressenden Arten - ungehemmte Vermehrung vorausgesetzt - ihre Nahrungsvorräte längst erschöpft und somit entweder ihre Ernährungsweise umgestellt haben oder verhungert sind. Wir sehen, daß dies letztere nicht zutriffi. Wir können deshalb nur vermuten, daß das natürliche Gleichgewicht durch irgendeine Beschränkung aufrechterhalten wird, welche die Anzahl dieser räuberischen Kreaturen begrenzt. Eines der vielen interessanten Probleme also, die noch einer Lösung harren. Ich möchte hoffen, daß sich uns noch ferner Gelegenheit zum näheren Studium der fleischfressenden Dinosaurier bieten wird.«