»Und ich möchte hoffen, sie bietet sich nicht«, bemerkte ich.
Der Professor hob seine buschigen Augenbrauen.
»Vielleicht hat Professor Summerlee hierzu noch etwas zu bemerken«, sagte er, und die beiden Gelehrten begaben sich gemeinsam in dünne wissenschaftliche Höhenluft, wo die Möglichkeiten einer Modifikation der Geburtsrate und der Nahrungsreduktion als Beschränkungen im Daseinskampf gegeneinander ausgewogen wurden.
An diesem Vormittag erkundeten wir einen kleinen Teil des Plateaus, wobei wir den Sumpf der Pterodactylen sorgsam mieden und uns diesmal östlich vom Bach hielten. In dieser Richtung war das Land durchweg bewaldet und das Unterholz so dicht, daß wir nur langsam vorankamen.
Bisher habe ich nur von den Schrecken des Maple-White-Landes berichtet, es hatte aber auch seine schönen Seiten. Den ganzen Vormittag über wanderten wir zwischen lieblichen Blumen dahin. Sie waren meist weiß oder gelb, und unsere Professoren erklärten, daß dies die primitiven Blumenfarben seien. An vielen Stellen bedeckten sie den Boden wie ein dicker Teppich, in den wir bis zu den Knöcheln einsanken. Ihr Duft war schwer und fast betäubend. Die einheimische Biene summte überall herum. Die Äste vieler Bäume bogen sich unter der Last ihrer Früchte, von denen uns einige bekannt, andere dagegen völlig neu waren. Um eventuellen Vergiftungen vorzubeugen, nahmen wir nur von den Sorten, die von Vögeln angepickt waren. Wir trafen auf zahlreiche von wilden Tieren ausgetretene Pfade. An sumpfigen Stellen sahen wir eine Unmenge seltsamer Fußspuren, darunter viele vom Iguanodon. Einmal beobachteten wir einige dieser riesigen Geschöpfe, die in einem Hain ästen. Lord John konnte mit seinem Fernglas erkennen, daß auch sie Asphaltflecken trugen, allerdings an anderen Stellen als das Tier, das wir am Morgen untersucht hatten. Was dieses Phänomen zu bedeuten hatte, war uns nach wie vor ein Rätsel.
Wir sahen mehrere Kleintiere: Stachelschweine, einen schuppigen Ameisenbären und ein scheckiges Wildschwein mit langen, gebogenen Hauern.
Nach dem rätselhaften Besuch, der unserem Lager bei unserer ersten Abwesenheit abgestattet worden war, kehrten wir mit einer gewissen Bangigkeit dorthin zurück. Diesmal jedoch war alles in Ordnung.
An diesem Abend besprachen wir unsere gegenwärtige Lage und versuchten, einen Plan für die Unternehmungen der nächsten Tage aufzustellen. Ich muß etwas ausführlicher darüber berichten, weil wir zu einem Entschluß kamen, der uns viel Zeit sparen sollte.
Es war Professor Summerlee, der die Debatte eröffnete. Schon während des ganzen Tages war er mürrisch und verdrießlich gewesen, und ein Vorschlag Lord Johns, was am folgenden Tag unternommen werden sollte, hatte prompt zur Folge, daß sich seine angestaute Wut entlud.
»Was wir heute, morgen und schon längst tun müßten«, sagte er gereizt, »ist, einen Ausweg aus der Falle zu finden, in die wir geraten sind. Hier zerbricht sich alles den Kopf, wie wir tiefer in dieses Land hineinkommen, und ich finde, wir sollten lieber zusehen, wie wir wieder herauskommen.«
Professor Challenger schüttelte verständnislos den Kopf und strich sich über den Bart. »Wie ein Wissenschaftler eine derart niedrige Gesinnung an den Tag legen kann, ist mir unbegreiflich, werter Herr Kollege. Sie befinden sich in einem Gebiet, das mit seiner Fülle von Studienobjekten für einen ehrgeizigen Wissenschaftler und Naturforscher das Paradies schlechthin ist, und Sie wollen es verlassen, ehe wir auch nur die oberflächlichste Kenntnis seiner Beschaffenheit und seiner Bewohner sammeln konnten. Ich hatte mehr von Ihnen erwartet, Professor Summerlee.«
»Wenn ich recht informiert bin, mein lieber Challenger«, entgegnete Summerlee, »sind Sie noch nie mit einem Lehrauftrag bedacht gewesen, und daher unterscheidet sich Ihre Lage grundlegend von meiner. Ich nämlich habe in London Studenten zurückgelassen, die im Moment auf die höchst unzulänglichen Vorlesungen meines Vertreters angewiesen sind.«
»Ich habe deshalb die Tätigkeit eines Lehrers immer kategorisch abgelehnt, mein lieber Summerlee«, konterte der Professor, »weil ich es verwerflich finde, wenn ein Gehirn, das der Forschung zur Verfügung stehen sollte, sich im jämmerlichen Dienst des Lehramts verausgabt.«
»Immer kategorisch abgelehnt?« wiederholte Professor Summerlee. »Wann denn zum Beispiel?«
Lord John schaltete sich an dem Punkt schnell ein und wechselte das ffema.
»Ich muß sagen«, warf er ein, »daß ich es höchst bedauerlich fände, nach London zurückzukehren, ehe ich mehr über diesen Ort weiß, als es im Augenblick noch der Fall ist.«
»Und ich«, sagte ich, »würde es nicht wagen, meinem Chef, Mr. McArdle, mit derart dürftigen Ergebnissen unter die Augen zu treten. Er würde es mir nie verzeihen, wenn ich derart sensationelles Material ungenutzt zurückließe. Ganz abgesehen davon nützt alles Abwägen nichts, da wir das Plateau, selbst wenn wir es wollten, nicht verlassen können.«
»Unser junger Freund hier scheint die Lücken in seinem Wissen wenigstens durch ein gewisses Maß an gesundem Menschenverstand auszugleichen«, stellte Professor Challenger fest. »Die Interessen seines bedauerlichen Metiers sind für uns zwar unerheblich, aber seine Feststellung können wir nicht ignorieren: Wir können das Plateau nicht verlassen, also ersparen wir uns alle weiteren Diskussionen über einen eventuellen Rückzug, denn das wäre Energieverschwendung.«
»Etwas anderes zu unternehmen, wäre und ist Energieverschwendung«, brummelte Professor Summerlee hinter seiner Pfeife hervor. »Sie scheinen zu vergessen, daß wir mit einem ganz bestimmten und genau definierten Auftrag hierhergekommen sind. Das Zoologische Institut der Universität London hat uns in diese unwirtliche Gegend geschickt, damit wir die Glaubwürdigkeit von Professor Challengers Behauptungen überprüfen. Dies ist geschehen und wir sind in der Lage, unsere Aussagen zu machen, die - wie ich zugeben muß - zu Gunsten meines Kollegen ausfällt. Unsere Aufgabe ist erfüllt. Was die weiteren Einzelheiten anbelangt, die hier ...«
»Aber«, versuchte sich Lord John einzuschalten, jedoch erfolglos.
»Unterbrechen Sie mich bitte nicht«, schnitt ihm Professor Summerlee grimmig das Wort ab. »Was also die weiteren Einzelheiten anbelangt, die hier noch zu untersuchen bleiben, so sind diese so zahlreich und weitschweifig, daß eine mit den entsprechenden Hilfsmitteln ausgerüstete Expedition daran verzweifeln könnte. Falls wir anmaßend genug sind, diese Aufgabe erledigen zu wollen, kann das nur zur Folge haben, daß wir nie nach London zurückkehren und damit auch das Beweismaterial verloren geht, das wir bisher sammeln konnten.«
Lord John machte einen zweiten Versuch, kam aber wieder nicht zu Wort.
»Ich habe Sie gebeten, mich nicht zu unterbrechen«, sagte Professor Summerlee gereizt. »Als es den Anschein hatte, daß dieses Plateau absolut nicht zugänglich ist, hat Professor Challenger Mittel und Wege gefunden, uns doch hierher zu verschleppen. Ich fordere, daß er seinen Erfindungsgeist ein zweitesmal dazu benutzt, uns wieder herunterzuschaffen. Er soll uns in die Welt zurückführen, aus der wir gekommen sind.«
Ich muß gestehen, daß ich mich der Logik seiner Argumentation im Moment nicht entziehen konnte. Sogar Challenger wurde bei der Vorstellung, seine Feinde könnten recht behalten, nachdenklich. Nur durch unsere Rückkehr nach London konnten deren Behauptungen aus der Welt geschaffen werden. Kehrten wir nicht zurück, so war und blieb Professor Challenger in ihren Augen ein Lügner und Scharlatan.