Ich war noch keine hundert Meter weit gegangen, als ich meinen voreiligen Entschluß schon bereute. Ich habe eine zu lebhafte Phantasie, um ein wirklich mutiger Mann zu sein, aber allein schon der Gedanke, für ängstlich gehalten zu werden, macht mich krank. Ich brachte es einfach nicht fertig, mich unverrichteter Dinge wieder zurückzuschlei-chen, also ging ich weiter, obwohl sich alles in mir dagegen sträubte.
Es war grauenvoll. Die Bäume standen so dicht, und ihre Zweige waren so ineinander verfilzt, daß ich vom Mondlicht nichts sehen konnte. Nur da und dort bildeten die hohen Bäume vor dem Hintergrund des bestirnten Himmels ein wirres Netz. Als meine Augen sich an die Finsternis gewöhnt hatten, lernte ich verschiedene Grade der Dunkelheit unter den Bäumen unterscheiden. An einzelnen Stellen konnte man undeutliche Umrisse sehen. Dazwischen lagen wie Höhlenöffnungen tiefschwarze Schatten, vor denen ich voller Schrecken zurückzuckte. Ich mußte an den verzweifelten Schrei des gemarterten Iguanodons denken, jenen entsetzlichen Schrei, der die Wälder hatten erzittern lassen, und an die warzige, von Blut triefende Schnauze, die ich im Schein von Lord Johns Fackel gesehen hatte. Im Jagdgebiet dieser Bestie befand ich mich jetzt. Jeden Augenblick konnte sie sich aus dem Schatten auf mich stürzen - dieses namenlose, schreckliche Ungeheuer. Ich hielt an, nahm eine Patrone aus der Tasche und öffnete die Kammer meines Gewehrs. Als ich den Hebel berührte, setzte mein Herz aus. Was ich mitgenommen hatte, war die Schrotflinte und nicht mein Gewehr!
Wieder war ich nahe daran umzukehren, aber wieder wehrte sich mein verrückter Stolz gegen den Gedanken. Ich konnte und durfte nicht aufgeben. Letzten Endes war ein Gewehr bei den Gefahren, die mir begegnen konnten, ebenso nutzlos wie eine Schrotflinte.
War schon die Dunkelheit im Walde erschreckend genug gewesen, so wirkte das stille weiße Mondlicht auf der Wiese der Iguanodons noch unheimlicher. Im Gebüsch versteckt, blickte ich lange Zeit hinüber. Keines der riesigen Tiere war zu sehen. Vielleicht hatte die Tragödie, der eines von ihnen zum Opfer gefallen war, sie von der Weide vertrieben. Im dunstigen, silbrigen Licht konnte ich keine Spur von irgendeinem Lebewesen entdecken. Ich raffie mich auf und huschte rasch über die Lichtung. Im Dschungel auf der anderen Seite fand ich den Bach wieder, der mein Wegweiser sein sollte. Wenn ich ihm folgte, mußte ich zum See kommen, und wenn ich an ihm entlang zurückging, konnte ich unser Lager nicht verfehlen. Das verfilzte Gestrüpp zwang mich mehrmals, ihn aus den Augen zu lassen, aber ich blieb stets in Hörweite seines Plätscherns und Rauschens.
Auf meinem Weg den Hang hinab lichtete sich der Wald, und Büsche mit einzelnen hohen Bäumen dazwischen traten an seine Stelle. Hier kam ich gut vorwärts und konnte sehen, ohne selbst gesehen zu werden. Ich ging dicht am Sumpf der Pterodactylen vorbei. Eines dieser großen Untiere stieg mit trockenem, ledernem Flügelschlag ganz in meiner Nähe auf - es hatte eine Spannweite von mindestens zwanzig Fuß - und schoß in die Lüfte empor. Als es vor dem Mond vorbeiflog, schien das Licht durch seine Hautflügel hindurch, und es sah aus wie ein fliegendes Gerippe. Ich duckte mich tief zwischen die Büsche, denn ich wußte, daß die Kreatur mit einem einzigen Schrei Hunderte ihrer abscheulichen Genossen auf mich hetzen konnte. Erst als sie weg war, wagte ich es, mich weiterzuschleichen.
Die Nacht war bisher außerordentlich still gewesen, doch jetzt vernahm ich plötzlich ein leises, polterndes Geräusch, ein unauftörliches Gemurmel, irgendwo vor mir. Je weiter ich kam, desto lauter wurde es, bis es endlich unmittelbar in meiner Nähe war. Als ich stehenblieb, hörte ich das Geräusch gleichmäßig laut, also mußte es von derselben Stelle kommen. Es klang wie ein überkochender Kessel oder wie das Brodeln in einem großen Topf. Bald entdeckte ich die Ursache. In der Mitte einer kleinen Lichtung stieß ich auf einen Teich aus einer schwarzen, teerartigen Masse, deren Oberfläche sich in großen Blasen hob und senkte. Die Luft darüber zitterte vor Hitze, und der Boden in der Umgebung war so heiß, daß ich ihn nicht anfassen konnte.
Der vulkanische Ausbruch, der vor so vielen Jahren dieses Plateau emporgehoben hatte, war also noch nicht am Ende seiner Kraft. Da und dort waren mir schon geschwärzte Felsen und Lavahügel unter der üppigen Vegetation aufgefallen, aber dieser Asphaltteich im Dschungel war für mich das erste Anzeichen dafür, daß der alte Vulkan noch aktiv war. Für eine eingehende Untersuchung hatte ich jedoch keine Zeit, denn ich mußte mich beeilen, wenn ich bis zum Morgen wieder im Lager sein wollte.
Wie gesagt, es war grauenvoll, und ich werde mich noch lange an diese nächtliche Wanderung erinnern. Ich schlich mich am Rande großer Lichtungen entlang, ich tastete mich durch den Dschungel und blieb mit klopfendem Herzen stehen, wenn ein Ast knackte. Immer wieder tauchten für einen Augenblick riesige Schatten auf und waren sofort wieder verschwunden. Große, schweigende Schatten, die auf weichen Sohlen dahinschlichen. Wie oft hielt ich an und wollte umkehren, aber jedesmal besiegte mein Stolz die Furcht und befahl mir unerbittlich, weiterzugehen.
Endlich, gegen ein Uhr früh, sah ich Wasser durch die Bäume schimmern. Und nach weiteren zehn Minuten stand ich im Schilf am Ufer des Gladys-Sees. Ich war sehr durstig, und so legte ich mich zunächst auf den Bauch und trank in langen Zügen von dem frischen, kalten Wasser. Dicht am Seeufer lag ein riesiger einzelner Lavablock. Dort hinauf stieg ich, und flach auf seiner Oberfläche ausgestreckt, hatte ich von dort aus nach allen Richtungen einen ausgezeichneten Ausblick.
Schon das erste, was ich sah, erfüllte mich mit Erstaunen. Als ich das Panorama von der Spitze des großen Baumes beschrieb, sagte ich, daß ich an der gegenüberliegenden Seite der Klippen eine Anzahl dunkler Flecken bemerkt hatte, die ich für Höhlenöffnungen hielt. Als ich nun zu diesen Klippen hinaufolickte, sah ich dort überall Lichtkreise, scharf begrenzte, rötliche Flecken, die wie erleuchtete Bullaugen eines Dampfers bei Nacht wirkten. Im ersten Moment dachte ich an glühende Lava, doch dann war mir sofort klar, daß sich jede Art von vulkanischer Tätigkeit in einem Krater und nicht an seinen Rändern abspielt. Was also dann? Es schien unmöglich und dennoch konnte es nicht anders sein: Diese rötlichen Flecken waren der Widerschein von Feuern, die in den Höhlen brannten - von Feuern, die von Menschenhand entzündet sein mußten.
Demnach gab es also doch Menschen auf dem Plateau, und damit war mein Erkundungsgang gerechtfertigt!
Ich lag lange auf dem Lavabrocken und beobachtete die roten, flackernden Lichtkreise, die an die zehn Meilen von mir entfernt waren. Nach einer Weile war mein Blick sogar so konzentriert, daß ich es erkennen konnte, wenn jemand vor dem Widerschein eines Feuers vorbeiging.
Was hätte ich darum gegeben, wenn ich zu diesen Höhlen hinaufschleichen, hineinspähen und den anderen am Morgen hätte berichten können, wie die Lebewesen aussahen, die dort oben hausten. Im Moment war daran jedoch nicht zu denken, aber Maple-White-Land zu verlassen, ohne sich in diesem Punkt Gewißheit verschaffi zu haben, daran war erst recht nicht zu denken.
Der Gladys-See - mein See - lag vor mir wie Quecksilber, das Spiegelbild des Mondes leuchtete hell aus seiner Mitte. Er war flach, an vielen Stellen sah ich niedrige Sandbänke aus dem Wasser ragen. Überall auf seiner Oberfläche bemerkte ich Lebenszeichen, manchmal nur Ringe und kleine Wellen im Wasser, manchmal glitzernd einen großen Fisch mit silbernen Flanken durch die Luft schnellend, und zuweilen tauchte der gewölbte, schieferfarbene Rücken eines schwimmenden Ungeheuers auf. Einmal sah ich auf der gelben Sandbank ein Tier, das wie ein riesiger Schwan aussah, mit plumpem Körper und langem, biegsamem Hals. Nach einem Moment glitt es schon wieder ins Wasser, tauchte unter und war nicht mehr zu sehen.
Bald wurde meine Aufmerksamkeit von diesen fernen Erscheinungen abgelenkt und wandte sich dem zu, was sich direkt zu meinen Füßen abspielte. Zwei Wesen, die riesigen Gürteltieren glichen, waren zur Tränke herabgekommen und hockten am Ufer. Ihre langen, geschmeidigen Zungen bewegten sich beim Trinken wie rote Bänder. Ein riesenhafter Hirsch mit weit verzweigtem Geweih, ein prachtvolles Tier von königlicher Haltung, kam mit einer Hirschkuh und zwei Kitzen und trank neben den Gürteltieren. Es war ein Prachtexemplar von einem Hirsch. Unsere europäischen Elche hätten ihm nicht einmal bis zum Blatt gereicht. Er stieß plötzlich einen kehligen, warnenden Schrei aus und verschwand mit seiner Familie im Schilf. Auch die Gürteltiere flohen. Ein Neuankömmling, ein ganz ungeheuerliches Tier, stapfte den Pfad herab.