Einen Augenblick überlegte ich, wo ich dieses abscheuliche Untier schon gesehen haben könnte, diesen gewölbten, mit dreieckigen Platten besetzten Rücken und diesen seltsamen, vogelartigen Kopf, der sich dicht über dem Boden dahinschob. Dann fiel es mir wieder ein. Das war der Stegosaurus - die gleiche Kreatur, die Maple White in seinem Skizzenbuch festgehalten und die Challengers Aufmerksamkeit erregt hatte. Da stand er - vielleicht sogar derselbe, der dem Amerikaner begegnet war. Die Erde erzitterte unter seinem unheimlichen Gewicht, und sein geräuschvolles Saufen tönte weit in die stille Nacht hinein. Fünf Minuten lang stand er so dicht neben meinem Felsen, daß ich die scheußlichen, wackelnden Kämme auf seinem Rücken beinahe mit der ausgestreckten Hand hätte berühren können. Dann schwankte er davon und verschwand hinter den Felsen.
Ich blickte auf die Uhr und stellte fest, daß es schon halb drei war und damit höchste Zeit für mich, den Rückzug anzutreten. Die Orientierung bereitete keine Schwierigkeiten, denn auf meinem Hinweg hatte ich den kleinen Bach immer zu meiner Linken gehabt, und dieser mündete keinen Steinwurf von meinem Lavablock entfernt in den See. Ich machte mich also auf den Weg, zufrieden, daß ich den anderen tolle Neuigkeiten berichten konnte. Das wichtigste war natürlich die Entdeckung der erleuchteten Höhlen und die Gewißheit, daß sie von Menschen bewohnt wurden. Aber darüber hinaus konnte ich aus eigener Anschauung über den Gladys-See berichten. Ich konnte bezeugen, daß er voller seltsamer Lebewesen war. Auch hatte ich urzeitliche Geschöpfe gesehen, denen wir bisher noch nicht begegnet waren.
Ich stapfte den Abhang hinauf und hatte schon etwa den halben Weg zum Lager zurückgelegt, als meine Gedanken durch ein sonderbares Geräusch hinter mir wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt wurden. Es klang wie ein Schnarchen oder Grollen, tief und überaus bedrohlich. Irgendeine absonderliche Kreatur befand sich offenbar ganz in meiner Nähe, es war aber nichts zu sehen, und so beeilte ich mich, weiterzukommen. Ich hatte ungefähr eine halbe Meile zurückgelegt, als das Geräusch sich plötzlich wiederholte, immer noch hinter mir, aber viel lauter und noch bedrohlicher als vorher. Bei dem Gedanken, daß die Bestie hinter mir her sein könnte, stand mir schier das Herz still. Es überlief mich kalt, und die Haare sträubten sich mir bei dieser Überlegung. Daß sich diese Ungeheuer gegenseitig in Stücke rissen, erschien im Rahmen ihres Daseinskampfes nicht verwunderlich; aber daß sie sich auch gegen mich wenden könnten, diese Vorstellung war einfach ungeheuerlich. Wieder fiel mir die blutbeschmierte Fratze ein, die wir im Schein von Lord Johns Fackel erblickt hatten, gleich einer Vision aus Dantes Inferno.
Mit schlotternden Knien blieb ich stehen und starrte den mondbeschienenen Pfad hinter mir entlang. Alles war still wie in einer Traumlandschaft, silbrige Lichtungen und die schwarzen Flecke der Büsche waren alles, was ich sah. Doch dann plötzlich wieder das tiefe, kehlige Krächzen, jetzt noch lauter und näher als zuvor. Es gab keinen Zweifel mehr. Irgend etwas war hinter mir her und kam mit jeder Minute näher.
Ich stand wie gelähmt und spähte immer noch durch das Gelände, das ich durchquert hatte. Und dann sah ich es plötzlich! Das Gebüsch auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung geriet in Bewegung. Ein großer, dunkler Schatten tauchte daraus hervor und hüpfte heraus ins helle Mondlicht. Ich sagte bewußt >hüpfte<, denn das Ungeheuer bewegte sich wie ein Känguruh und sprang in aufrechter Haltung auf seinen kräftigen Hinterbeinen vorwärts, wobei die Vorderbeine vor der Brust angewinkelt waren. Es war größer als ein ausgewachsener Elefant. Trotz seiner ungeheuren Massigkeit waren seine Bewegungen jedoch außerordentlich behende. Im ersten noch hoffnungsvollen Moment glaubte ich, es sei ein Iguanodon, eines jener abgrundhäßlichen, aber harmlosen Tiere.
Aber das war nicht der sanfte, rehartige Kopf des großen, dreizehigen Blattfressers, sondern ein breites, gedrungenes, krötenartiges Gesicht. Das grausige Schreien und die unbändige Energie seiner Verfolgung gaben mir vollends die Gewißheit, daß es sich hier um einen der großen fleischfressenden Dinosaurier handeln mußte, um eine jener schrecklichsten Bestien, die es je auf Erden gegeben hat. Mitten in seinem leichtfüßigen Vorwärtsspringen ließ sich das Untier alle zwanzig Meter auf die Vorderpfoten nieder und schnupperte am Boden. Es schnüffelte meiner Spur nach. Manchmal verlor es sie für ein paar Sekunden. Dann fand es sie aber wieder und sprang in riesigen Sätzen weiter.
Der Angstschweiß stand mir auf der Stirn. Was sollte ich tun? Meine Vogelflinte nützte mir wenig. Ich sah mich verzweifelt nach einem Felsen oder Baum um, aber ich befand mich ausgerechnet in einem mit Buschwerk bewachsenen Gelände, wo nichts Höheres zu sehen war. Außerdem wußte ich, daß die Bestie einen ausgewachsenen Baum wie einen Strohhalm umreißen konnte. Meine einzige Chance lag in der Flucht. Auf dem unebenen, rissigen Boden kam ich nicht schnell vorwärts. Ich sah mich voller Verzweiflung um und entdeckte einen hartgetretenen Pfad, der den Bach kreuzte. Auf unseren Erkundungen hatten wir schon mehrere solcher Wildwechsel angetroffen. Dort konnte ich vielleicht meinen Vorsprung halten. Ich bin ein guter Läufer und war in ausgezeichneter Form.
Ich warf die wertlose Flinte fort und rannte um mein Leben. Mein Glieder schmerzten, mein Atem ging keuchend, meine Kehle brannte, aber ich rannte weiter, dieses Schreckgespenst im Nacken.
Schließlich mußte ich anhalten, kaum mehr fähig, mich auf den Beinen zu halten. Für einen Augenblick dachte ich schon, ich hätte das Ungeheuer abgeschüttelt. Ruhig lag der Pfad da. Und dann war plötzlich mit Krachen und Splittern, mit dem Getrappel riesiger Füße und dem Keuchen gigantischer Lungen der Drache wieder hinter mir her. Er war mir unmittelbar auf den Fersen.
Was für ein Narr war ich gewesen, so lange zu überlegen, ehe ich die Flucht ergriffen hatte. Bis dahin hatte er mich nur nach dem Geruch verfolgt und war verhältnismäßig langsam vorangekommen. Als ich aber zu rennen anfing, hatte er mich gesehen. Und von da ab sprang er in gewaltigen Sätzen. Das Mondlicht schien auf seine riesigen vorstehenden Augen, auf die gewaltigen Zahnreihen in seinem offenen Maul und die blanken Krallen an seinen kurzen, mächtigen Vorderarmen. Mit einem Entsetzensschrei warf ich mich herum und stürzte kopflos weiter. Hinter mir wurde der schwere, keuchende Atem des Ungeheuers lauter und lauter. Schon waren seine schweren Tritte neben mir, und ich erwartete jeden Augenblick, seinen Würgegriff im Nacken zu spüren. Da gab es plötzlich einen Krach - ich stürzte ins Leere, und alles versank in Stille und Dunkelheit.
Als ich wieder zu mir kam - lange konnte ich nicht besinnungslos gewesen sein, höchstens ein paar Minuten -, bemerkte ich als erstes den ekelerregenden Gestank. Ich tastete umher und griff mit der einen Hand in etwas, das sich wie ein Klumpen Fleisch anfühlte, während ich in der anderen plötzlich einen Knochen hatte. Über mir ein kreisrunder Ausschnitt des Sternenhimmels - ich lag also auf dem Grund einer Grube.
Ich rappelte mich auf. Jeder einzelne Knochen tat mir weh, aber gebrochen schien nichts zu sein. Ich konnte alle Glieder und Gelenke bewegen.