»Und dann?«
»Dann dachte ich, daß jetzt alles aus ist, aber da kam plötzlich die Wende. Die Affen gackerten und schnatterten, bis sich endlich einer aus ihrer Mitte löste und neben Challenger stellte. Sie werden es nicht glauben, Malone, aber ich gebe Ihnen mein Wort, daß die beiden hätten Brüder sein können. Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, würde ich es selbst nicht glauben. Dieser alte Affenmensch - er war ganz offensichtlich der Anführer der Meute - war ein Challenger in rot, mit denselben Schönheitsmerkmalen ausgestattet wie unser Professor. Derselbe gestauchte Körperbau, dieselben breiten Schultern, derselbe gewölbte Brustkasten, auch kaum ein Hals, ein roter, gewellter Bart, buschige Brauen und dieser herausfordernde Blick, der einen auch bei Challenger rasend machen kann.«
»Weiter«, drängte ich, als Lord John seine Erzählung unterbrach, um nach allen Seiten prüfende Blicke zu werfen.
»Als der Affenmensch unserem Professor dann auch noch eine Pranke auf die Schulter legte«, fuhr er schließlich im Flüsterton fort, »war das Schauspiel komplett, und Summerlee lachte, bis ihm die Tränen über das Gesicht liefen. Nicht, daß er sich über seinen Kollegen lustig gemacht hätte, ich glaube, es war eher ein Anfall von Hysterie. Wie dem auch sei, die Affenmenschen stimmten plötzlich in das Lachen ein, klatschten sich auf die Bäuche und hüpften auf und ab. Die Fröhlichkeit hielt jedoch nicht lange an, und es wurde wieder blutiger Ernst. Die Affenmenschen schleppten uns durch den Wald. Unsere Waffen, die Munition und die anderen Geräte rührten sie nicht an. Sie hatten allem Anschein nach Angst davor. Dafür nahmen sie aber mit, was sie an Lebensmitteln finden konnten - bis auf die Konserven. Die ließen sie liegen, weil sie nicht ahnten, daß sich darin etwas Eßbares befindet. Summerlee und ich wurden herumgeboxt und herumgestoßen und durch die Dornen gezerrt. Sie brauchen sich ja bloß anzuschauen, wie ich aussehe. Den Affenmenschen macht das Gestrüpp nichts aus, denn sie haben eine Haut wie Leder.«
»Sie sprechen immer nur von Summerlee und sich«, sagte ich. »Was war mit Challenger?«
»Das will ich eben erzählen. Challenger wurde eine Sonderbehandlung zuteil. Ihn trugen vier von den Affen wie einen römischen Kaiser ... Haben Sie das gehört?«
In der Ferne ein klickendes Geräusch. Ähnlich wie das rhythmische Schlagen von Kastagnetten.
»Da sind sie«, zischte Lord John und lud beide Läufe seines Gewehrs. »Alles durchladen, Malone. Wir lassen uns nicht lebend fangen, das schwöre ich Ihnen. Den Krach machen sie, wenn sie aufgeregt sind . Hören Sie noch etwas?«
»Nur noch ganz weit entfernt«, antwortete ich.
»Der kleine Haufen kann nicht viel ausrichten«, sagte Lord John, »aber wir müssen damit rechnen, daß es überall von ihren Suchtrupps wimmelt. Aber zurück zu dem, was geschehen ist. Sie haben uns in ihr Dorf geschleppt. Es besteht aus vielleicht tausend Hütten aus großen Blättern und Zweigen, die in einem Hain ziemlich dicht am Rand der Klippen stehen. Von hier aus sind es vielleicht drei bis vier Meilen dorthin. Diese stinkenden Kreaturen haben mich überall angefaßt, es graust mir vor mir selber. Sie haben uns gefesselt, derjenige, der mich eingeschnürt hat, konnte Knoten machen wie ein alter Seebär. Und da lagen wir dann unter einem Baum, die Beine am Stamm hochgebunden, und wurden von einer der größten dieser Mißgeburten bewacht, während Professor Challenger in einer Baumkrone hockte, Ananas aß und den lieben Gott einen guten Mann sein ließ. Ich muß allerdings sagen, daß er uns Obst zusteckte und schließlich eigenhändig unsere Fesseln löste. Aber erst einmal hockte er mit seinem Zwillingsbruder auf dem Baum und trällerte ein Liedchen, um die Affen bei Laune zu halten. Die Szene war eigentlich zum Lachen, nur war Summerlee und mir absolut nicht zum Lachen zumute. Challenger hatte praktisch Narrenfreiheit, aber wir durften uns nicht mucksen. Der einzige Trost für uns war, daß wenigstens Sie noch frei herumliefen und das Tagebuch in Verwahrung hatten.«
»Was auch nicht ganz den Tatsachen entsprach«, sagte ich.
»Sicherlich, aber das konnten wir nicht wissen. Und jetzt werde ich Ihnen etwas erzählen, Malone, was Sie erstaunen wird. Sie sagen, daß Sie auf Spuren von Eingeborenen gestoßen sind. Sie haben das Feuer in ihren Höhlen gesehen und am eigenen Leib verspürt, daß sie in der Lage sind, Fallen zu bauen. Wir haben aber nicht nur ihre Spuren, sondern wir haben die Eingeborenen mit eigenen Augen gesehen.«
»Was?« rief ich, einen Ton zu laut.
»Sind Sie wahnsinnig?« zischte Lord John. »Wollen Sie uns verraten?«
»Verzeihen Sie«, flüsterte ich. »Das ist mir in der Aufregung so herausgerutscht. Bitte, erzählen Sie weiter.«
»Gut«, sagte Lord John. »Wir haben also die Eingebore-nen mit eigenen Augen gesehen. Arme Teufel sind das, kleine Kerle mit hängendem Kopf. Dazu haben sie allerdings jeden Grund. Die Menschen beziehungsweise die Eingeborenen, wenn wir sie einmal so nennen wollen, haben die eine Hälfte des Plateaus besetzt - dort, wo Sie die Höhlen gesehen haben - und die Affenmenschen die andere Hälfte. Sie führen seit Urzeiten einen blutigen Krieg, und das ist die Situation. Gestern haben die Affenmenschen an die zehn Eingeborene gefangen und in ihr Dorf geschleppt. Ein solches Geschrei und Geschnatter haben Sie in Ihrem Leben noch nicht gehört, Malone. Die Affenmenschen waren halb wahnsinnig in ihrem Siegesrausch, während die kleinen, rothäutigen Kerle von Eingeborenen - es sind Indianer - so zerschunden und zerbissen waren, daß sie sich kaum mehr aufrecht halten konnten. Die Affen haben zwei von ihnen an Ort und Stelle umgebracht. Einem haben sie glatt den Arm ausgerissen. Es war grauenvoll anzusehen. Und die tapferen kleinen Burschen haben keinen Laut von sich gegeben. Summerlee hat die Besinnung verloren, und sogar Challenger war grün im Gesicht ... Ich glaube, jetzt sind sie weg, oder?«
Wir lauschten, aber außer dem Zwitschern der Vögel war nichts zu hören. Lord Roxton fuhr in seinem Bericht fort.
»Sie hatten ein unverschämtes Glück, Malone. Wenn die Affenmenschen nicht zufällig die Indianer gefangen genommen und Sie dadurch vergessen hätten, wären sie bestimmt zu unserem Lager zurückgelaufen und hätten Sie geholt. Sie hatten recht, Malone. Die Affen haben uns von Anfang an beobachtet, und sie wußten ganz genau, daß einer fehlte. Sie dachten aber bloß an ihre Beute, und so kam es, daß Sie eben nicht von den Affenmenschen, sondern von mir geweckt worden sind.«
»Aber wie sind Sie denn entkommen?« fragte ich.
»Immer der Reihe nach«, sagte Lord John, als ob nicht er es gewesen wäre, der eben das Ende vorweggenommen hatte. »Wir haben noch etwas Schreckliches erlebt. Der reinste Alptraum ist das gewesen. Sie erinnern sich doch an die Stelle, wo wir das Skelett des Amerikaners gefunden haben, oder?«
»Allerdings!«
»Gut. Genau über diesem Bambusgestrüpp befindet sich das Dorf der Affenmenschen. Am Rande der Klippen ist ihre Hinrichtungsstätte, die ihnen gleichzeitig als Vergnügungsort dient, weil die Feinde, die sie gefangennehmen, zum Gaudium aller da hinunterspringen müssen. Von den armen Teufeln mußte sich einer nach dem anderen in die Tiefe stürzen, während die Affen am Rand der Klippen hockten und zusahen, ob ihre Opfer nun aufgespießt wurden oder auf dem Boden auftrafen und sich alle Knochen brachen. Sie haben uns gezwungen, das grausame Schauspiel mit anzusehen.«