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»Einen Moment«, sagte sie. »Sie warten hier, Austin, und Sie kommen bitte hier herein, Sir. Darf ich Sie fragen, ob Sie meinen Mann schon kennen? Persönlich, meine ich.«

»Nein, Madam, ich hatte noch nicht die Ehre.«

»Dann muß ich Sie im voraus um Entschuldigung bitten. Mein Mann ist ein absolut unmöglicher Mensch - absolut unmöglich. Wenn Sie vorgewarnt sind, dann machen Sie vielleicht eher ein Zugeständnis.«

»Das ist sehr gütig von Ihnen, Madam.«

»Wenn mein Mann gewalttätig zu werden droht, dann ergreifen Sie auf der Stelle die Flucht! Lassen Sie sich um Gottes willen auf keine Streitereien ein. Das ist vielen schon zum Verhängnis geworden. Anschließend haben wir dann immer den Skandal und müssen alle darunter leiden. Ich hoffe, Sie wollen ihn nicht wegen Südamerika sprechen, oder?«

Eine Dame konnte ich schließlich nicht anlügen.

»Oh je!« rief sie. »Das ist das gefährlichste ftema. Von dem, was er behauptet, werden Sie nicht ein Wort glauben, aber lassen Sie es sich um Gottes willen nicht anmerken, sonst gerät er in Wut. Tun Sie so, als würden Sie ihm seine Geschichten glauben, dann passiert vielleicht nichts. Sie müssen sich immer vor Augen halten, daß er daran glaubt. Felsenfest. Dabei ist er ein so ehrlicher Mensch. Bleiben Sie nicht länger als nötig, sonst merkt er, daß Sie ihm nicht glauben. Und wenn Sie das Gefühl haben, daß er gefährlich wird, dann klingeln Sie und halten sich ihn vom Leib, bis ich komme. Selbst in den bösesten Situationen schaffe ich es meistens, ihn zurückzuhalten.«

Nach diesen ermutigenden Worten übergab mich die zierliche Dame wieder dem wortkargen Austin, der während des kurzen Interviews wie eine Bronzestatue der personifizierten Diskretion gewartet hatte und mich jetzt durch einen schmalen Gang zum allerhintersten Zimmer führte. Ein Klopfen an der Tür, ein stierhaftes Gebrüll von drinnen, und da stand ich vor dem Professor. Von Angesicht zu Angesicht.

Er saß in einem Drehsessel. Davor ein schwerer, breiter Tisch, auf dem sich Bücher, Landkarten und grafische Darstellungen häuften. Als ich hereinkam, fuhr er mit seinem Sessel herum und sah mich an. Mir hätte es fast den Atem verschlagen. Ich hatte ihn mir irgendwie seltsam vorgestellt, aber gewiß nicht als die überwältigende Persönlichkeit, die er war. Vor allem seine Größe war beeindruckend. Seine Größe und seine ganze Gestalt. Er besaß den größten Kopf, den ich je auf den Schultern eines Menschen gesehen hatte. Ich bin überzeugt davon, daß mir sein Hut - falls er überhaupt einen Hut hatte - über die Ohren gerutscht wäre. Sein Gesicht und der Bart ließen mich instinktiv an einen Assyrischen Stier denken. Während die Hautfarbe frisch und rosig war, war der Bart so schwarz, daß er bereits bläulich schimmerte. Wie ein Spaten aus gekräuselten Haaren ging er ihm bis auf die Brust. Die Kopftaare waren flach angeklatscht und in einer Welle über die breite Stirn gezogen. Die Augen unter den struppigen Brauen waren graublau, ihr Blick sehr klar, sehr kritisch und sehr bestimmend. Weiterhin sah ich über der Tischplatte enorm breite Schultern, eine Brust wie ein Faß und zwei riesige Hände mit schwarzen Haaren auf dem Rücken. Dieses Äußere und die Donnerstimme, das waren meine ersten Eindrücke des berüchtigten Professor Challenger.

»Na?« brüllte er mich an. »Und jetzt?«

Ich dachte erst, daß ich keinen Ton herausbringen würde, aber es ging doch.

»Sie waren so gütig«, sagte ich bescheiden, »mir einen Termin zu bewilligen, Sir.«

Ich zog den Briefumschlag aus der Tasche und deutete darauf.

Professor Challenger wühlte auf seinem Tisch, brachte mein Schreiben zum Vorschein und breitete es vor sich aus.

»Ach ja«, sagte er. »Sie sind der junge Mann, der Sprachschwierigkeiten zu haben, meine Theorien aber anzuerkennen scheint.«

»Ja, Sir«, antwortete ich eifrig. »Ich erkenne Ihre Theorien voll an.«

»Da bin ich aber sehr froh. Ihr Alter und Ihr Auftreten machen die Anerkennung noch gewichtiger. Aber Sie scheinen immer noch besser zu sein als diese Herde von Schweinen in Wien, die im Chor gegen die britische Einzelsau anquieken wollen.« Er sah mich dabei mit entsprechender Miene an.

»Man scheint sich Ihnen gegenüber miserabel betragen zu haben«, sagte ich.

»Ich kann mich selbst verteidigen, das können Sie mir glauben, und brauche Ihr Mitleid nicht. Allein in seinen vier Wänden ist G.E.Ch. der glücklichste Mensch. Deshalb machen wir diese Unterredung kurz. Für Sie kann sie kaum angenehm sein, und für mich ist sie eine Qual. Wenn ich richtig verstanden habe, wollen Sie Änderungsvorschläge bezüglich meiner ^esis machen.«

Seine Art war so direkt, daß es keine Ausflüchte gab. Trotzdem wollte ich noch herumschmarren, bis sich mir ein besserer Einstieg bot. Noch vor ein paar Minuten hatte ich mir alles ganz einfach vorgestellt, aber jetzt schien mich mein irischer Mutterwitz verlassen zu haben. Gerade jetzt, wo ich ihn so dringend brauchte.

Professor Challenger fixierte mich mit Augen aus Stahl.

»Also?« drängte er.

»Ich bin lediglich ein einfacher Student, Sir«, sagte ich und setzte ein einfältiges Lächeln auf. »Eigentlich nur jemand, der ein gewisses ... äh ... Wissen anzusammeln versucht. Beim Studium Ihres Vertrags ist mir eben der Gedanke gekommen, daß Sie mit Weißmann etwas sehr streng verfahren sind. Nach den Versuchsergebnissen der letzten Jahre scheint seine Position doch wieder fester zu werden, oder nicht?«

»Nach welchen Versuchsergebnissen?« fragte Professor Challenger mit einer Stimme, die bedrohlich ruhig klang.

»Es ist mir schon klar«, sagte ich, »daß diese für Sie keinen endgültigen Beweis darstellen. Ich habe eigentlich nur gemeint, daß die moderne Denkweise und der ... äh ... allgemeine wissenschaftliche Standpunkt eher eine Richtung pro Weißmann einschlagen, soweit ich ... äh ...« Ich verstummte.

Professor Challenger lehnte sich mit sehr ernster Miene nach vorn.

»Daß der Schädelindex ein konstanter Faktor ist«, sagte er, »darf ich bei Ihnen doch wohl als bekannt voraussetzen, oder?«

»Selbstverständlich, Sir.«

»Und daß die Telegonie noch sub judice ist, ebenfalls?«

»Zweifelsohne.«

»Auch, daß sich das Samenplasma vom parthenogeneti-schen Ei unterscheidet?«

»Aber gewiß!« rief ich, von meiner eigenen Kühnheit begeistert.

»Aber was beweist das?« fragte er.

»Tja«, murmelte ich. »Was beweist das?«

»Soll ich es Ihnen sagen?«

»Ich bitte darum.«

»Es beweist«, brüllte er in einem plötzlichen Anfall von Wut, »daß Sie der blödeste Eindringling von ganz London sind - ein schmieriger, kriecherischer Journalist, der von naturwissenschaftlichen Dingen genausowenig Ahnung hat wie von Anstand.«

Er war aus seinem Sessel aufgesprungen. Zorn glühte in seinen Augen. Trotz der angespannten Situation war ich erst einmal baß erstaunt: Professor Challenger, den ich für einen Riesen gehalten hatte, reichte mir knapp bis zu den Schultern. Er war ein Sitzriese, dessen Vitalität sich zumeist in die Breite und ins Gehirn verteilt.

»Einen Schmarrn«, schrie er, »einen hundertprozentigen Schmarrn habe ich Ihnen eben erzählt. Sie glauben wohl, Sie können es mit mir aufnehmen und mich reinlegen? Sie mit Ihrer Nuß von einem Gehirn? Ihr widerwärtigen Schreiberlinge haltet euch für omnipotent. Ein lobendes Wort aus eurer verlogenen Feder, und jemand ist ein gemachter Mann. Ein vernichtendes Wort, und jemand ist ruiniert. Auf dem Bauch sollen wir vor euch kriechen, damit ihr uns wohlgesonnen seid. Ekelhaftes Geschmeiß, die Ohren gehören euch abgeschnitten! Keinen Sinn für Maß und Ziel. Aufgeblasene Kotsäcke! Aber ich bringe euch schon noch Respekt bei. Jawohl - mit G.E.Ch. könnt ihr das nicht machen. Ich bin hier der Herr. Ich habe euch gewarnt, aber wenn ihr mich trotzdem pestet, dann seid ihr selber schuld. Genugtuung, mein guter Mr. Malone, ich verlange Genugtuung. Sie haben ein gefährliches Spiel gespielt und haben es, fürchte ich, verloren.«