Man hatte angenommen, daß das Programm damit beendet sei und die beglückwünschenden Worte, die Professor Sergius von der Universität Uppsala sprach, auf allgemeine Zustimmung stoßen würden. Aber es sollte sich zeigen, daß diesem Abend kein so problemloser Ablauf beschieden war. Zwischendurch hatte sich bereits eine gewisse Opposition bemerkbar gemacht, und jetzt erhob sich Dr. Illingworth aus Edinburgh. Er fragte, ob nicht zunächst eine Richtigstellung zu Protokoll genommen werden sollte, bevor man zu einer Resolution käme.
Der Vorsitzende: »Ja, Sir, wenn eine Richtigstellung erforderlich ist.«
Dr. Illingworth: »Euer Gnaden, eine Richtigstellung ist durchaus erforderlich.«
Der Vorsitzende: »Dann wollen wir sie aufnehmen.«
Professor Summerlee, aufspringend: »Darf ich darauf aufmerksam machen, Euer Gnaden, daß dieser Mann seit unserer Kontroverse über die wahre Natur des Bathybius im Journal der Naturwissenschaft mein persönlicher Feind ist?«
Der Vorsitzende: »Ich fürchte, daß ich persönliche Gesichtspunkte hier nicht berücksichtigen kann. Ich übergebe das Wort an Dr. Illingworth.«
Ein Teil von Dr. Illingworths Ausführungen war infolge anhaltender Störungen durch die Freunde der Forschungsreisenden kaum zu vernehmen. Auch wurde wiederholt versucht, ihn auf seinen Sitz herunterzuziehen. Da er jedoch ein Mann von enormen Körperkräften ist und über eine gewaltige Stimme verfügt, übertönte er den Tumult und brachte seine Rede zu Ende. Seit dem Augenblick, in dem er sich erhoben hatte, war es klar, daß er eine Anzahl Freunde und Gleichgesinnter im Saal hatte, wenn sie auch eine Minderheit unter den Zuhörern darstellten. Der größere Teil des Publikums verhielt sich neutral und abwartend.
Dr. Illingworth begann seine Ausführungen damit, daß er den wissenschaftlichen Leistungen von Professor Challenger und auch von Professor Summerlee die höchste Anerkennung zolle. Er bedauere es außerordentlich, betonte er, falls irgendwelche persönlichen Hintergedanken bei seinen Einwänden vermutet würden, die doch allein und ausschließlich von seinem brennenden Verlangen nach wissenschaftlicher Wahrheit bestimmt wären. Und in der Tat entspräche seine Position in allen Punkten derjenigen, die Professor Summerlee auf der letzten Tagung eingenommen habe. Auf jener letzten Zusammenkunft habe Professor Challenger Behauptungen aufgestellt, die von seinem Kollegen Summerlee angezweifelt worden seien. Jetzt wiederholte dieser gleiche Kollege Challengers Behauptungen in der Erwartung, daß niemand ihm widerspreche. Entbehre das nicht der in der Wissenschaft geforderten Logik?
Es folgten Zwischenrufe und Tumulte, während deren Verlauf Professor Challenger den Vorsitzenden mit grimmiger Miene um Erlaubnis bat, Dr. Illingworth vor die Tür setzen zu dürfen - wie mehrere sich in der Nähe befindliche Personen bezeugten.
Als wieder Ruhe eingetreten war, erteilte der Vorsitzende Dr. Illingworth erneut das Wort.
Vor einem Jahr, fuhr dieser fort, habe ein Mann gewisse Behauptungen aufgestellt. Jetzt stellten vier Männer Behauptungen auf, die noch unglaubwürdiger und haarsträubender wären. Sollte damit ein Beweis erbracht sein, ein Beweis für die Richtigkeit von Fragen, die wohl revolutionär, aber äußerst unglaubwürdig seien? Beispiele von Abenteurern, die mit den fabelhaftesten Märchen aus unerforschten Gebieten zurückgekommen seien, gäbe es genug. War das Zoologische Institut von London eine Stätte, wo man sich diese Märchen anhörte und ihnen vielleicht auch noch Glauben schenkte? Die Mitglieder des Komitees seien zugegebenermaßen Männer von Charakter, aber die menschliche Natur sei nun einmal vielschichtig, und selbst ein Professor sei gegen Ruhmsucht nicht gefeit. Wir alle hätten wie die Motte den Drang, ins Licht zu flattern. Großwildjäger tendierten nun einmal dazu, die Rivalen in Jägerlatein zu überbieten, und Journalisten seien Sensationsberichten ja durchaus nicht abgeneigt, auch wenn die Phantasie dabei den Tatsachen gelegentlich etwas nachhelfen müsse. Jedes einzelne Mitglied des Komitees habe seine persönlichen Motive, das Resultat entsprechend aufzubauschen. Empörte Zwischenrufe.
Er wolle, fuhr der Redner unbeirrt fort, weiß Gott niemanden beleidigen, aber das Beweismaterial für diese wunderlichen Geschichten sei doch wirklich recht dürftig. Was läge denn schon vor? Einige Fotografien, wobei man sich fragen müsse, ob in einem Zeitalter geschicktester Fotomontagen und ähnlicher Manipulationen Fotografien überhaupt als Beweismittel zugelassen werden sollten. Aber, wie dem auch sei - einige Fotografien, eine spannende Geschichte über den Aufenthalt in einem unbekannten fernen Land und schließlich über die Flucht und den Abstieg an einem Seil, wodurch die Mitnahme größerer Exemplare ausgeschlossen gewesen sei. Recht hübsch ausgedacht, aber nicht überzeugend. Lord Roxton habe behauptet, den Schädel eines Phororachus mitgebracht zu haben, und diesen Schädel würde er doch zu gerne sehen.
Lord John Roxton empört aufspringend: Will dieser Mensch damit sagen, daß ich lüge?
Zwischenrufe und Tumulte.
Der Vorsitzende: Ruhe, bitte! Ruhe! Dr. Illingworth, ich muß Sie bitten, Ihre Ausführungen zum Abschluß zu bringen und die Richtigstellung zu formulieren.
Dr. Illingworth: Euer Gnaden, ich hätte noch sehr viel zu sagen, aber ich beuge mich Ihrem Wunsch. Ich beantrage also, daß Professor Summerlee für seinen Vortrag der Dank des Zoologischen Instituts ausgesprochen, die Angelegenheit jedoch als unbewiesen erachtet und einem größeren und vertrauenswürdigeren Prüfungskomitee übergeben werden solle.
Das Durcheinander, das auf diesen Antrag folgte, ist schwer zu beschreiben. Ein großer Teil der Zuhörerschaft brachte seinen Unwillen über die Verunglimpfung der Reisenden durch laute Zwischenrufe zum Ausdruck. Die Skeptiker - und es läßt sich nicht bestreiten, daß sie doch recht zahlreich waren - wollten den Antrag durchgebracht sehen und taten dies ebenfalls lauthals kund. In den hinteren Sitzreihen kam es unter den Studenten zu einem Handgemenge. Allein dem schlichtenden Einfluß der zahlreich anwesenden Damen ist es zu verdanken, daß es zu keinem Chaos kam. Zum Erstaunen aller brach der Lärm jedoch plötzlich ab, und eine Stille folgte, in der man eine Stecknadel hätte fallen hören. Professor Challenger hatte sich von seinem Sitz erhoben. Seine Erscheinung und sein Auftreten übten einen seltsamen Zwang aus. Als er die Hand hob und um Ruhe bat, obwohl es bereits mucksmäuschenstill war, saß das Publikum in gespannter Erwartung da.
»Viele der Anwesenden werden sich erinnern«, sagte Professor Challenger, »daß sich während der letzten Versammlung ähnlich alberne und unmanierliche Szenen abgespielt haben. Damals war Professor Summerlee derjenige, der mich am schärfsten angegriffen hat. Er ist inzwischen zwar anderer Meinung, wie Sie alle gehört haben, aber seine Haltung bei der letzten Versammlung ist eine Tatsache. Heute abend habe ich mir nun ähnlich beleidigende, aber noch schärfere Äußerungen von der Person anhören müssen, die sich soeben gesetzt hat. Obwohl ein erhebliches Maß an Selbstverleugnung dazu nötig ist, will ich versuchen, mich auf das geistige Niveau dieser Person hinabzubegeben, um den letzten Zweifel zu zerstreuen, der noch vorhanden sein mag. Professor Summerlee hat zwar in seiner Eigenschaft als Leiter des Untersuchungskomitees heute abend den Bericht über unsere Reise verlesen, aber ich brauche wohl in diesem Kreis nicht zu betonen, daß immer noch ich es gewesen bin, der den Anstoß dazu gegeben hat, und jeglicher Erfolg in erster Linie mir zuzuschreiben ist. Ich habe die drei Herren sicher an den erwähnten Ort geführt, und ich habe sie von der Richtigkeit meiner früheren Behauptungen überzeugt.