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Er nahm sich eine Zigarre, lehnte sich mit kritischem Blick zurück und wartete auf meine Reaktion.

Ich hatte das Heft aufgeschlagen und rechnete eigentlich damit, etwas Tolles darin zu entdecken, hatte aber keinerlei Vorstellung davon, worum es sich handeln könnte. Das erste Blatt war enttäuschend. Lediglich das Bild eines dicken Mannes in einer erbsengrünen Jacke. Jimmy Colver auf dem Postboot<, stand darunter. Die nächsten Blätter waren voll mit Skizzen von Indianern. Indianer beim Essen, Indianer beim Fischfang, Indianer beim Tanz. Dann kam eine Zeichnung, die einen fröhlichen, fettleibigen Priester mit Schlapphut darstellte, der einem dünnen Europäer gegenübersaß. >Mittagessen mit Bruder Cristofero in Rosario<, stand darunter. Anschließend Seiten voll von Weibern und Kindern und schließlich eine Reihe von Tierstudien mit entsprechenden Erklärungen. Zum Beispiel >Seekuh auf Sandbank< oder >Schildkröte mit Eiern< oder >Schwarzes Ajouti unter Miritipalme<. Danach folgte eine Doppelseite von wirklich ekelhaft aussehenden Reptilien mit langgestreckten Schnauzen.

Ich konnte mit den Zeichnungen mit dem besten Willen nichts anfangen und sagte dies dem Professor auch.

»Sollen das Krokodile sein?« fragte ich.

»Aber nein - Alligatoren. In Südamerika gibt es doch keine Krokodile. Der Unterschied zwischen einem Krokodil und einem Alligator ...«

»Ich wollte damit bloß sagen, daß ich nichts Ungewöhnliches entdecken kann«, wagte ich, ihm ins Wort zu fallen.

Der Professor lächelte nachsichtig. »Blättern Sie um und betrachten Sie die nächste Seite.«

Die nächste Seite ließ mich aber immer noch kalt. Die Skizze einer Landschaft, wohl ein spärlicher, in den Farben nur angedeuteter Entwurf für ein späteres Gemälde. Ein blaßgrüner Vordergrund mit gefiederter Vegetation. Dahinter ein Hügel, der zu einer Reihe rostroter Klippen anstieg. Diese waren seltsam gerippt und erinnerten mich an Basaltformationen, die ich irgendwo einmal gesehen hatte. Die Klippen erstreckten sich wie eine Mauer über den ganzen Hintergrund. Nur an einer Stelle ragte ein pyramidenförmiger, von einem Baum gekrönter Felsen über ihren oberen Rand heraus, den ein dünner grüner Streifen, offensichtlich Pflanzenwuchs, einsäumte. Und über allem tropisch blauer Himmel.

»Nun?« fragte Professor Challenger.

»Zweifellos eine merkwürdige Formation«, sagte ich.

»Leider verstehe ich zu wenig von Geologie, um weitere Schlüsse daraus ziehen zu können.«

»Weitere Schlüsse!« wiederholte der Professor. »Da sind keine weiteren Schlüsse nötig. Das ist eine so einmalige Zeichnung, daß niemand auf Erden davon zu träumen gewagt hätte. Und jetzt die nächste Seite.«

Ich blätterte um und schlug auch schon die Hand vor den Mund. Das Abbild der scheußlichsten Kreatur, die ich jemals gesehen hatte, nahm die ganze Seite ein. Der Alptraum eines Opiumrauchers, die Visionen eines Alkoholikers im Delirium konnten nicht schlimmer sein. Der Kopf des Ungeheuers glich dem eines Vogels, der reptilhafte Körper war aufgebläht, der lang nachschleppende Schwanz war mit nach oben gerichteten Stacheln bestückt, und auf dem Rücken befand sich ein gezackter Kamm. Vor dem Untier stand ein lächerlich kleines Männlein, ein Zwerg in Menschengestalt. »Und was sagen Sie jetzt?« rief der Professor und rieb triumphierend die Hände.

»Daß ich die Zeichnung ganz besonders scheußlich finde«, sagte ich trocken.

»Aber was hat Maple White veranlaßt, sie zu Papier zu bringen?«

»Billiger Gin, nehme ich an.«

»Mehr fällt Ihnen dazu nicht ein?«

»Nein, Sir, leider nicht. Was haben Sie denn für eine Erklärung dafür?«

»Die naheliegendste. Nämlich, daß diese Kreatur tatsächlich existiert und die Skizze nach der Natur gezeichnet ist.«

Ich hätte am liebsten laut aufgelacht. Die Erinnerung an unseren gemeinsamen Quickstep durch Gang und Eingangshalle hielt mich davon ab.

»Zweifelsohne«, sagte ich. »Allerdings muß ich gestehen, daß mir das Männlein im Vordergrund ein Rätsel ist. Wenn es andere Züge hätte, könnte man daraus schließen, daß es auch auf dem südamerikanischen Kontinent so etwas ähnliches wie Pygmäen gibt, aber meiner Meinung nach soll das ein Europäer sein. Schon der Hut spricht dafür.«

Der Professor schnaubte wie ein zorniger Stier. »Sie können einen zur Verzweiflung bringen«, grollte er. »So etwas an geistiger Trägheit ist mir noch selten begegnet. Cerebrale Parese. Eindeutig ein Fall von cerebraler Parese.«

Der Mann war so absurd, daß ich beschloß, mich ab jetzt nicht mehr zu ärgern. Entweder man ärgerte sich pausenlos über ihn oder gar nicht. Da ich nichts von Energieverschwendung halte, kam also nur das letztere in Frage.

Ich lächelte verbindlich.

»Ich wollte damit eigentlich nur sagen, daß mir der Mann reichlich klein vorkommt.«

»Ist er auch, ist er auch!« rief der Professor. Er deutete mit einem behaarten Finger auf die Zeichnung. »Sehen Sie die Pflanze da?« fragte er. »Sie haben wahrscheinlich gedacht, daß es ein Löwenzahn oder Rosenkohl ist, was? Eine Elfenbeinpalme ist es - damit Sie es wissen, und diese Palmen werden immerhin bis zu achtzehn Metern hoch. Der Mensch ist mit Absicht dazu gezeichnet, mein lieber Mr. Malone. Das Größenverhältnis soll dadurch veranschaulicht werden. Ein Durchschnittseuropäer ist ungefähr einsfünfundsiebzig groß, die Palme ist zehnmal so groß wie der Mensch, und wenn Sie genau hinschauen, werden Sie sehen, daß es stimmt.«

»Großer Gott!« rief ich. »Sie wollen damit doch nicht etwa sagen, daß dieses Monster - das paßt ja nicht einmal in eine Bahnhofshalle.«

»Dort hat es auch nichts zu suchen«, entgegnete der Professor mit zwingender Logik.

»Aber man kann doch nicht alles menschliche Wissen über die Natur einfach beiseite schieben, weil plötzlich eine Zeichnung mit einem Fabelwesen auftaucht.« Ich hatte umgeblättert und festgestellt, daß nur noch leere Seiten folgten. »Noch dazu«, fuhr ich fort, »wo es sich um die Zeichnung eines Wandervogels mit künstlerischen Ambitionen handelt. Vielleicht hat er das Untier im Drogenrausch erfunden. Oder in Fieberträumen. Sie als Naturwissenschaftler können doch so etwas nicht als Beweismaterial anerkennen.«

Professor Challenger stand auf und holte ein Buch aus einem Regal.

»Das hier«, sagte er und deutete auf den Band, »ist eine fabelhafte Monografie von meinem begabten Freund Ray Lankester. Ich zeige Ihnen jetzt eine Illustration ... ja, da ist sie. Wahrscheinliches Lebensbild des Dinosauriers Stegosaurus aus dem Jurazeitalter, steht darunter. Allein die Hinterbeine sind doppelt so hoch wie ein ausgewachsener Mensch. So, und was sagen Sie jetzt dazu?«

Er reichte mir das aufgeschlagene Buch. Ich betrachtete die Illustration genau. Die Rekonstruktion des Tieres aus einer längst toten Welt hatte erstaunlich viel Ähnlichkeit mit der Zeichnung des unbekannten Künstlers.

»Das ist natürlich bemerkenswert«, sagte ich.

»Aber kein schlagender Beweis?« fragte der Professor.

»Ich würde eher sagen, ein unglaublicher Zufall. Vielleicht hat dieser Amerikaner ja auch irgendein ähnliches Bild gesehen, ich meine, so eine Rekonstruktion, und im Delirium ist es dann wieder aus seinem Gedächtnis aufgetaucht.«

»Aha«, sagte Professor Challenger. »Dann lassen wir das erst einmal. Ich fordere Sie nun auf, sich diesen Knochen anzusehen.«

Er drückte mir den Knochen in die Hand, den er im Rucksack des Amerikaners gefunden hatte. Er war ungefähr fünfzehn Zentimeter lang und etwas dicker als mein Daumen. An einem Ende Spuren vertrockneter Knorpelmasse.